Vor­be­rei­tun­gen

Vor­be­rei­tun­gen

21.01.21

Ges­tern war der 21. Tag des 21. Jah­res des 21. Jahr­hun­derts. Und was ist Groß­ar­ti­ges pas­siert?! Nicht so wirk­lich viel, zu­min­dest nicht bei mir. Kurz nach 12 hab ich mich in mei­nem Auto auf den Weg zur Apo­the­ke ge­macht, um dort die Im­plan­tat-Sprit­ze ab­zu­ho­len, um an­schlie­ßend da­mit ins Kran­ken­haus zu fah­ren. Na­tür­lich ist mir erst zwei Kreu­zun­gen spä­ter auf­ge­fal­len, dass ich an der Apo­the­ke vor­bei­ge­fah­ren bin. Also wie­der zu­rück und für irre viel Geld (512€) die Sprit­ze ge­kauft. Das Re­zept hat­te ich am Vor­tag per Mail vom UKE be­kom­men und di­rekt an die Apo­the­ke wei­ter­ge­lei­tet. End­lich im Kran­ken­haus an­ge­kom­men, mach­te ich zu­erst ei­nen Ter­min für ei­nen Lun­gen­funk­ti­ons­test. Da­für muss­te ich die Trep­pe in den ers­ten Stock des Neu­baus neh­men (Muss­te ist ei­gent­lich falsch, ich hät­te auch den Fahr­stuhl neh­men kön­nen). Als ich an der An­mel­dung an­kam und mein An­lie­gen vor­trug, war ich so au­ßer Atem, dass die net­te An­mel­de­frau sag­te, ich sol­le mich erst­mal hin­set­zen. Hab mich so­fort wie 80 ge­fühlt. Als sie sag­te: „Sie kön­nen mor­gen um 9Uhr kom­men“, hab ich mich nicht ge­traut zu sa­gen, dass ich der­zeit nor­ma­ler­wei­se bis 11.30Uhr schlafe.

Im­plan­tat-Sprit­ze

Ich be­dank­te mich also für den zeit­na­hen Ter­min und be­gab mich in den drit­ten Stock. Die Frau in der An­mel­dung mei­nes Gy­nä­ko­lo­gen (Se­kre­tä­rin? Re­zep­tio­nis­tin? Emp­fangs­da­me? Arzt­hel­fe­rin? Ich weiß nicht ge­nau, wie ihre Be­rufs­be­zeich­nung lau­tet, aber es ist die Frau, mit der man auch im­mer te­le­fo­niert und die ei­nem sagt, man soll bit­te noch kurz Platz neh­men) be­grüß­te mich freund­lich mit mei­nem Mäd­chen­na­men. Ich kor­ri­gier­te sie, in­dem ich sag­te, dass ich in­zwi­schen Hobst hei­ße. „Ach, ich kenn‘ Sie schon so lan­ge, da ist es im­mer schwie­rig, sich um­zu­ge­wöh­nen. Sie sind ja hier we­gen ei­ner Sprit­ze. Wo­für ist die denn?“ „Ich be­kom­me eine Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­on und das Im­plan­tat soll da­für sor­gen, mei­nen Zy­klus für drei Mo­na­te aus­zu­set­zen, da­mit mei­ne Ei­er­stö­cke wäh­rend der Hoch­do­si­schemo ge­schont wer­den.“ Da sie eine Mas­ke trug, konn­te ich nur Tei­le ih­res Ge­sichts se­hen, aber ich glau­be, die­se Nach­richt nahm sie ziem­lich mit. Ich weiß in sol­chen Si­tua­tio­nen meist nicht so recht, wie ich mit den Emo­tio­nen im Raum um­ge­hen soll. Meis­tens grin­se ich be­scheu­ert und sage, dass es schon ok ist. Na­tür­lich ist es nicht OK, dass ich krank bin, aber ich kann bis­her ganz gut mit der Tat­sa­che krank zu sein umgehen.

Wie macht man das?

Ich ging mit ei­ner net­ten Kran­ken­schwes­ter und mei­ner über­teu­er­ten Im­plan­tatsprit­ze in ein Be­hand­lungs­zim­mer, in dem sie mir die Sprit­ze ge­ben soll­te. Ge­mein­sam be­gan­nen wir, die zwei­sei­ti­ge An­lei­tung zu le­sen. Sie hat­te so ein Im­plan­tat auch noch nie ein­ge­setzt. Theo­re­tisch wuss­ten wir nun zwar, wie es ge­macht wer­den soll­te, aber da wir ja nur ei­nen Ver­such hat­ten und die Kon­se­quen­zen im Fall ei­nes Schei­terns ziem­lich hef­tig ge­we­sen wä­ren, be­schlos­sen wir, ei­nen Arzt hin­zu­zu­ho­len, dem wir im Zwei­fel die Schuld ge­ben könn­ten. Die Schwes­ter ver­ließ den Raum und kam nach ein paar Mi­nu­ten mit ei­nem net­ten, jun­gen Arzt zu­rück. Auch er be­gann nun, die An­lei­tung zu le­sen, da er so­was noch nie ge­macht hat­te. Ich ging wäh­rend­des­sen die Ne­ben­wir­kun­gen auf dem Bei­pack­zet­tel durch…Hitzewallungen, Kno­chen­schmer­zen, De­pres­sio­nen… Herz­in­farkt… HERZ­IN­FARKT?! „Ähm, hier steht bei häu­fi­gen Ne­ben­wir­kun­gen Herz­in­farkt. Was be­deu­tet noch mal häu­fig?“ Arzt: „1–10 von 100. Aber da wird na­tür­lich die gan­ze Pa­ti­en­ten­band­brei­te er­fasst.“ Ir­gend­wie be­ru­hig­te mich sei­ne Ant­wort nicht. Noch un­ru­hi­ger wur­de ich al­ler­dings, als er mit der vor­be­rei­te­ten Sprit­ze vor mir stand. Ich habe ei­gent­lich über­haupt kei­ne Angst vor Sprit­zen, aber die­se Na­del war ein­fach MEGA DICK (2,1mm). „Sooo, sind sie be­reit?“ „Nein!!!“ Der Arzt guck­te selbst et­was zwei­felnd auf die Sprit­ze: „Oh, sie ha­ben die Na­del jetzt schon ge­se­hen, ne?“ Er wand­te sich an die Schwes­ter und bat sie, eine klei­ne Be­täu­bungs­sprit­ze auf­zu­zie­hen. „Sehr ger­ne!“ Im Nu war sie zu­rück, der Arzt gab mir die Be­täu­bung in den Bauch und setz­te an­schlie­ßend die Sprit­ze an. Dank der Be­täu­bung merk­te ich fast nichts. So­mit war al­les halb so schlimm. Lei­der ver­gaß ich beim Ge­hen, nach dem Bei­pack­zet­tel zu fra­gen. Ich hat­te ja gar kei­ne Ge­le­gen­heit ge­habt, ihn ge­wis­sen­haft durch­zu­le­sen. Falls ich Ne­ben­wir­kun­gen be­kom­me, will ich sie we­nigs­tens zu­ord­nen können.

Zo­la­dex

Abends goo­gel­te ich da­her Zo­la­dex 10,8 mg Bei­pack­zet­tel und wur­de be­reits beim Le­sen des ers­ten Punk­tes skeptisch:

1 Was ist Zo­la­dex 10,8 mg und wo­für wird es an­ge­wen­det?
1.1 Zo­la­dex 10,8 mg ver­hin­dert die Bil­dung des männ­li­chen Se­xu­al­hor­mons Tes­to­ste­ron in den Ho­den.
1.2 Zo­la­dex 10,8 mg wird an­ge­wen­det
– bei Pa­ti­en­ten mit fort­ge­schrit­te­nem Pro­sta­ta­krebs, bei de­nen eine hor­mo­nel­le Be­hand­lung an­ge­zeigt ist.

Ääääähm, ok?! Da ich kein Mann bin, habe ich we­der Ho­den noch eine Pro­sta­ta. Mehr Un­ter­punk­te gibt es üb­ri­gens nicht. Ich lese also wei­ter, um zu er­fah­ren, war­um mir die Ärz­tin vom UKE die­ses Me­di­ka­ment ver­schrie­ben hat. Tat­säch­lich gibt es auch ei­nen kur­zen Text über die Ver­wen­dung bei Frauen:

2 Was soll­ten Sie vor der An­wen­dung von Zo­la­dex 10,8 mg be­ach­ten?
2.1 Zo­la­dex 10,8 mg darf nicht an­ge­wen­det wer­den,
bei Kin­dern,
bei Frau­en, da die Un­ter­drü­ckung des Se­xu­al­hor­mons Öst­ra­di­ol nicht be­legt ist.

Na geil. Im­mer­hin wird durch das Me­di­ka­ment das Tes­to­ste­ron un­ter­drückt, was be­deu­tet, dass ich nicht männ­li­cher, son­dern wenn über­haupt noch weib­li­cher wer­de (eine Ne­ben­wir­kung ist Brust­wachs­tum). Vor dem Herz­in­farkt habe ich jetzt kei­ne Angst mehr, weil der vor al­lem bei Män­nern mit Pro­sta­ta­krebs auf­tritt. Al­ler­dings be­zweif­le ich, dass das Im­plan­tat bei mir den ge­wünsch­ten Er­folg bringt. Soll­te ich in nächs­ter Zeit nur noch de­pres­si­ven Scheiß schrei­ben, wisst ihr, dass ich da gar nichts für kann, weil die Sprit­ze an al­lem Schuld ist.

Han­nes

Üb­ri­gens hat­te der 21.01. auch eine rich­tig süße Sei­te! Nach dem Kran­ken­haus war ich bei mei­nen El­tern zum Mit­tag­essen. Wieb­ke war eben­falls bei ih­ren El­tern (ne­ben­an) und hat dort Cla­ra zum Ei­sen­bahn­spie­len ab­ge­ge­ben. An­schlie­ßend sind wir zu mir ge­fah­ren, um ein paar Fo­tos zu schie­ßen. Sie war aber nicht al­lein, denn An­fang Ja­nu­ar hat ihr klei­ner Han­nes das Licht der Welt er­blickt. Wäre ich di­rekt zu Jah­res­be­ginn ins UKE ge­kom­men, hät­te ich ihn ver­passt und das wäre echt scha­de ge­we­sen, denn er ist so nied­lich und klein und riecht noch rich­tig schön nach Baby! Wir dra­pier­ten den schla­fen­den Han­nes in di­ver­sen Po­sen und ich gab mein Bes­tes, ihn in sei­ner gan­zen Sü­ßig­keit abzulichten.

Lun­gen­funk­ti­on

Um 8.15Uhr hat­te mein We­cker be­reits vier­mal ge­klin­gelt und ich be­gab mich noch halb schla­fend un­ter die Du­sche. An­schlie­ßend trank ich ei­nen drei­fa­chen Es­pres­so (wie je­den „Mor­gen“) und ver­such­te zu früh­stü­cken. Das klapp­te aber nicht so gut, da ich we­der Hun­ger hat­te, noch schmerz­frei es­sen konn­te. Ich hat­te über Nacht eine neue Aph­te auf der Zun­ge be­kom­men. Mei­ne Mut­ter hol­te mich ab, um zu ver­hin­dern, dass ich schlaf­trun­ken ge­gen den nächs­ten Baum fah­re. Im Kran­ken­haus an­ge­kom­men, nahm ich dies­mal den Fahr­stuhl und setz­te mich an die An­mel­dung. Mit der FFP2-Mas­ke im Ge­sicht fiel mir das At­men re­la­tiv schwer, aber es war aus­zu­hal­ten. Nach 20 Mi­nu­ten sprach mich Dr. Dör­ner (liebs­ter Arzt der Welt) an und frag­te, ob es mir gut gehe. Ich sah an­schei­nend et­was fer­tig aus. Nach wei­te­ren 10 Mi­nu­ten durf­te ich end­lich in den Be­hand­lungs­raum ge­hen und die Mas­ke ab­neh­men. Mir war schon ziem­lich schwin­de­lig und ich be­kam erst­mal ei­nen Be­cher Was­ser. Wäh­rend­des­sen wur­de mein Ohr mit ei­ner Pfef­fer­sal­be heiß ge­macht und an­g­e­pikst. In der Ver­gan­gen­heit habe ich be­reits zwei Lun­gen­funk­ti­ons­test ge­macht. Das Gan­ze ist völ­lig schmerz­frei und ziem­lich sim­pel. Man sitzt auf ei­nem Stuhl in ei­ner ge­schlos­se­nen Glas­kam­mer, be­kommt eine Na­sen­klem­me und at­met dann nach An­wei­sung in ein Ge­rät. Am Ende muss man ein Edel­gas ein­at­men und die Luft an­hal­ten, be­vor man es mit viel Kraft aus­at­met. Nach dem ers­ten von drei Durch­gän­gen leg­ten wir eine kur­ze Pau­se ein, da durch das kräf­ti­ge Ein- und Aus­at­men mein Schwin­del stär­ker ge­wor­den war. Nach dem zwei­ten Durch­gang muss­te ich mich ge­gen die Wand der Kam­mer leh­nen und spür­te, wie mir Trä­nen übers Ge­sicht lie­fen und mein Kreis­lauf weg­sack­te. To­tal be­scheu­ert, weil so ein Lun­gen­funk­ti­ons­test wie ge­sagt ei­gent­lich echt nicht schlimm ist. Die net­te Frau, die den Test mit mir durch­führ­te, war sehr mit­füh­lend und et­was be­sorgt. Sie wies eine Schwes­ter an, den Arzt und eine Lie­ge zu ho­len, auf die ich mich le­gen soll­te. Mein Blut­druck und mei­ne Sau­er­stoff­sät­ti­gung wur­den ge­mes­sen, ich er­hielt ein Ta­schen­tuch und noch ei­nen Be­cher Was­ser. Nach ein paar Mi­nu­ten ging es mir zum Glück wie­der bes­ser und ich konn­te die drit­te Run­de hin­ter mich bringen.

Bei mei­nen Eltern

Mei­ne Mut­ter hol­te mich vor dem Kran­ken­haus ab. Ich früh­stück­te bei mei­nen El­tern, ku­schel­te mit Mucki in der Son­ne, rich­te­te Net­flix ein (mein Bru­der hat­te mei­nen El­tern zu Weih­nach­ten eine Fire TV Box ge­schenkt, sie aber noch nicht an­ge­schlos­sen), er­klär­te mei­ner Mut­ter, wie sie mit ih­rem Echo Show (eben­falls ein Ge­schenk mei­nes Bru­ders) in der Kü­che You­Tube-Vi­de­os gu­cken kann und aß schließ­lich Steck­rü­ben-Möh­ren-Kar­tof­fel­ein­topf (ei­nes mei­ner Leib­ge­rich­te) wäh­rend wir bei Net­flix den Tat­ort­rei­ni­ger guckten.

Pa­nik­at­ta­cke

Ge­gen 16Uhr fuhr mich mei­ne Mut­ter nach Hau­se, wo be­reits Jan auf mich war­te­te. Er spiel­te ge­ra­de Gi­tar­re und ich leg­te mich ne­ben ihn aufs Sofa. Viel­leicht lag es an dem frü­hen Auf­ste­hen, viel­leicht an dem Lied, das er spiel­te, viel­leicht an dem Im­plan­tat in mei­nem Bauch oder viel­leicht auch ein­fach an der Tat­sa­che, dass in ein paar Ta­gen mein Le­ben vor­sätz­lich in Ge­fahr ge­bracht und ra­di­kal ver­än­dert wird. Je­den­falls zog sich mei­ne Keh­le zu­sam­men, so­dass ich kaum noch at­men oder spre­chen konn­te. Mein Brust­korb schmerz­te und ich be­gann zu wei­nen und zu schluch­zen, wo­durch das En­ge­ge­fühl im Hals noch schlim­mer wur­de. Ich hat­te eine Pa­nik­at­ta­cke. Jan nahm mich in den Arm und ver­such­te mich zu be­ru­hi­gen. Was ist, wenn ich im Kran­ken­haus eine Pa­nik­at­ta­cke be­kom­me? Jan wird nicht da sein. Bei dem Ge­dan­ken be­kam ich gleich noch we­ni­ger Luft.
Als das Gröbs­te vor­bei war, brach­te mir Jan ein gro­ßes Glas Weiß­wein. Das half ganz gut. Au­ßer­dem schlug er vor, ein biss­chen spa­zie­ren zu ge­hen. Drau­ßen war es dun­kel und kalt, aber wir wa­ren ent­spre­chend ge­klei­det und die fri­sche Luft tat gut. Wir schau­ten bei Bär­bel und El­mar im Gar­ten vor­bei und quatsch­ten ein biss­chen (na­tür­lich mit aus­rei­chen­dem Ab­stand). Als wir wie­der zu­hau­se wa­ren, kam Kim­bo vor­bei und wir guck­ten The Aven­gers.

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