Stammzelltransplantation
Allogene Stammzelltransplantation
Unter dem Begriff Stammzelltransplantation versteht man die Übertragung von Stammzellen von einem Spender an einen Empfänger. Es gibt drei verschiedene Transplantationsarten: die allogene, die autologe und die syngene. Ich erhielt eine allogene Spende, welche die häufigste Transplantationsart darstellt, bei der weltweit nach Menschen mit verträglichen Gewebemerkmalen gesucht wird. Allogene Stammzelltransplantationen werden vor allem bei den verschiedenen Formen der Leukämie eingesetzt, wenn andere Behandlungsmethoden nicht zum Erfolg geführt haben, aber auch bei verschiedenen anderen Erkrankungen wie z.B. bei MDS. Für mich und viele andere Patienten ist eine Transplantation die einzige Chance auf eine vollständige Heilung.
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transplantation
Wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Transplantation ist die Verfügbarkeit eines kompatiblen Spenders. Hierzu werden bestimmte Gewebemerkmale, die so genannten HLA-Typen, untersucht. Da die Gewebemerkmale durch ihre Vielfalt millionenfache Kombinationen ermöglichen, gestaltet sich die Suche nach dem passenden Spender als überaus schwierig. Je genauer Spender und Empfänger in ihren HLA-Merkmalen übereinstimmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Transplantation. Umgekehrt sinkt mit jeder Unstimmigkeit in den HLA-Merkmalen, den so genannten HLA-Mismatches, die Chance auf ein erfolgreiches Anwachsen der transplantierten Zellen und das Risiko für den Patienten steigt. Beispielsweise erhöht sich bei nicht komplett passenden Merkmalen die Wahrscheinlichkeit, an einer so genannten Graft-versus-Host (GvH)-Reaktion zu erkranken, einer Abstoßungsreaktion, bei der die transplantierten Immunzellen des Spenders die Organe des Patienten als fremd erkennen und bekämpfen. Die Auswirkungen einer GvH können zwar meist mit Medikamenten kontrolliert werden, sodass Empfänger leichtes (teils chronisches) Unbehagen spüren können, schwerere GvH-Verläufe können jedoch Organschäden hervorrufen oder zum Tod des Empfängers führen. Zunächst wird geprüft, ob Geschwister als Spender in Frage kommen. Leider waren die HLA-Merkmale meines Bruders und mir nur haplo(=halb)identisch. Zu meinem großen Glück konnte aber innerhalb weniger Wochen ein perfekt passender Fremdspender gefunden werden!
Spendersuche
Nur etwa 30 % aller Patienten, die eine Stammzellspende benötigen, finden einen geeigneten Spender im eigenen Verwandtenkreis. Die übrigen sind auf einen Fremdspender angewiesen. Für die Vermittlung solcher Spender haben sich weltweit zahlreiche Organisationen gegründet, die eine Knochenmarkspenderdatei betreiben. Obwohl sich inzwischen die HLA-Merkmale vieler Millionen freiwilliger Spender in den Datenbanken befinden, dauert die Suche nach einem passenden Fremdspender meist einige Monate.
Interessierte Spender können sich z.B. beim ZKRD oder bei der DKMS typisieren lassen. Die dabei erfassten persönlichen Daten dienen nur dazu, später mit dem Spender Kontakt aufnehmen zu können. In die nationalen und internationalen Datenbanken gelangen alle Informationen nur in anonymisierter Form unter einer Spenderkennziffer. Mit der Aufnahme in ein Spenderregister verpflichtet sich aber noch niemand, später tatsächlich zu spenden.
Blutgruppe
Übrigens spielt bei der Spendersuche die Blutgruppe keine wesentliche Rolle – Spender und Empfänger können unter bestimmten Voraussetzungen auch unterschiedliche Blutgruppen besitzen. Bei mir war dies der Fall. Ich wechselte von A+ (der häufigsten Blutgruppe Deutschlands) zu 0+. Da beim Empfänger vor der SZT das gesamte blutbildende System zerstört und anschließend durch die Stammzellen des Spenders neu aufgesetzt wird, hat der Empfänger nach einer erfolgreich verlaufenen Transplantation immer die Blutgruppe des Spenders – auch wenn er vorher eine andere hatte.
Stammzellentnahme
Grundsätzlich gibt es derzeit zwei Methoden der Stammzellgewinnung, die klassische Knochenmarksentnahme und die inzwischen üblichere Periphere Blutstammzellspende. Die Entnahme des Transplantats muss nicht zwangsläufig in der Klinik stattfinden, in der der Patient behandelt wird; vielmehr wird von den Spenderdateien versucht, eine Entnahme in der Nähe des Wohnortes des Spenders zu organisieren, damit dieser keine weite Reise zu unternehmen braucht. Das Transplantat wird am selben Tag von einem Kurier zum Patienten gebracht. Mein Spender hat beispielsweise in Köln gespendet. Anschließend wurden seine Stammzellen zu mir nach Hamburg gebracht. Da an dem Tag meiner Transplantation heftiges Glatteis herrschte, hatte ich echt Angst, ob die Zellen heil bei mir ankommen.
Knochenmarkspende
Die klassische Methode der Stammzelltransplantation ist die Übertragung von rotem Knochenmark. Dem Spender wird dabei in der Regel aus dem Beckenkamm durch eine spezielle Nadel etwa 1 Liter Knochenmark-Blut-Gemisch entnommen. Die Stammzellen werden hieraus isoliert und ggf. weiter aufgereinigt und dem Empfänger später transfundiert. Die Prozedur der Entnahme erfolgt unter Narkose und dauert inklusive Ein- und Ausleitung der Narkose etwa 1 bis 1½ Stunden.
Periphere Blutstammzellspende
Inzwischen wurde die klassische Knochenmarkspende von der Peripheren Blutstammzellspende weitgehend abgelöst. Das Verfahren ist ähnlich einer Blutplasmaspende. Im Vorfeld wird dem Spender der Wachstumsfaktor G‑CSF verabreicht. Dies bewirkt, dass Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut übergehen. Dort können sie dann herausgefiltert werden.
Phase 1: Konditionierung
Als Konditionierung bezeichnet man die Chemotherapie oder kombinierte Strahlen-Chemotherapie, die direkt vor der Transplantation durchgeführt wird. Sie hat die Aufgabe, die eigene Blutbildung auszuschalten und bösartige Zellen zu vernichten. Zusätzlich wird das eigene Immunsystem funktionsunfähig gemacht, damit die neuen Stammzellen besser anwachsen können. Je gründlicher dies geschieht, desto schwerer sind die Nebenwirkungen, aber desto geringer ist die Gefahr eines Rückfalls. Die verbleibenden Reste des alten Knochenmarks werden dann vom neuen Immunsystem, das vom Spender stammt, zerstört. Je nachdem, welche Konditionierung ausgewählt wird, liegt die Dauer zwischen 5 und 12 Tagen.
Phase 2: Transplantation
Im Gegensatz zu den tatsächlich im Körper stattfindenden Prozessen ist die Übertragung der Stammzellen relativ unspektakulär. Das Transplantat wird direkt aus dem Beutel über einen Venenkatheter in den Blutkreislauf des Empfängers übertragen. Die Stammzellen suchen sich selbstständig den Weg in das Knochenmark, wachsen dort an und nehmen ihre Arbeit auf.
Phase 3: Aplasie (Isolation)
Nach der Transplantation benötigen die neuen Stammzellen etwa 12 bis 14 Tage, bis sie voll funktionstüchtig sind. Da während und nach der Chemotherapie das alte Knochenmark die Blutbildung einstellt, fallen die Blutwerte ab und erreichen spätestens 5 bis 7 Tage nach Transplantation ihren Tiefpunkt. Diese Phase, in der das alte Knochenmark nicht mehr und das neue Knochenmark noch nicht funktioniert, wird Aplasie genannt.
Durch das Fehlen der Zellen entstehen verschiedene Probleme. Im Vordergrund steht die erhöhte Infektionsgefahr, so dass in dieser Phase besondere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden müssen. Isolationsmaßnahmen (keimfreie Ernährung, Luftfiltration der Station) sowie eine Infektionsprophylaxe mit Medikamenten sollen den Patienten in dieser Zeit schützen. Der Thrombozytenabfall führt zu einer gesteigerten Blutungsneigung, die sich z. B. in vermehrtem Nasenbluten oder Blutungen der Mundschleimhaut zeigt. Bei Bedarf erhält der Patient Thrombozytenkonzentrate, um schwerwiegendere Komplikationen zu vermeiden. Körperliche Schwäche kann Ausdruck eines Abfalls der roten Blutkörperchen sein. Wenn die Werte eine bestimmte Grenze unterschreiten, werden Erythrozytenkonzentrate verabreicht.
Immunsystem
Nach der Transplantation wird zwar das Immunsystem des Spenders in den neuen Körper übertragen, die Informationen über bereits durchgestandene Krankheiten jedoch nicht. Das Immunsystem des Patienten entspricht daher in etwa dem eines Säuglings. Alle Impfungen müssen entsprechend erneuert werden. Viele Stammzellempfänger erkranken an typischen Kinderkrankheiten, auch wenn sie diese schon einmal hatten. Erst nach einigen Jahren entsprechen die Abwehrkräfte wieder denen eines gesunden Erwachsenen. Normalerweise kann nach etwa sechs Monaten (wenn der Patient keine Immunsuppressiva mehr nimmt) mit dem Impfen der Totimpfstoffen begonnen werden. Die Lebendimpfstoffe können allerdings erst nach frühestens zwei Jahren verabreicht werden. In manchen Fällen übernimmt der Empfänger aber auch einige Impfungen seines Spenders!
Nach der Entlassung
Die Entlassung aus der stationären Versorgung stellt einen wichtigen Schritt im Rahmen der Stammzelltransplantation dar. Obwohl das neue Blutsystem angewachsen ist und arbeitet, ist es noch sehr jung und einige Vorsichtsmaßnahmen sind auch zu Hause notwendig, um den Transplantationserfolg nicht zu gefährden.
Das Immunsystem ist durch die Therapie stark geschwächt. Es kann zur Zeit der Entlassung schon wieder einige Keime abwehren, doch ist es noch ziemlich schwach und kann schnell überfordert werden. Bakterien und Viren, aber auch Pilze stellen (viel mehr als für andere Menschen) eine Gefahr dar. Auch die Medikamente, die zur Unterdrückung der Spender-gegen-Wirt-Reaktion notwendig sind, wie Sandimmun (Ciclosporin A), Prograf oder auch Cortison, schwächen das Immunsystem zusätzlich.
Nebenwirkungen der Konditionierung
- Entzündung der Mundschleimhaut (Mucositis)
- Haarausfall
- Fieber
- Akute Spender-gegen-Wirt-Reaktion (akute GvHD: aGvHD)
- Chronische Spender-gegen-Wirt-Krankheit (chronische GvHD, cGvHD)
Kosten
Falls sich das jemand fragt: Eine Stammzelltransplantation kostet in Deutschland etwa 100.000 Euro! Ich bin privatversichert und gleichzeitig beihilfeberechtigt. Meine Krankenkasse rechnet ihren Anteil zum Glück direkt mit dem UKE und dem ZKRD ab und verfügt außerdem über eine App, die die Abrechnung sehr vereinfacht. Die Beihilfe hingegen ist leider nicht in der Lage, irgendeine Rechnung direkt abzurechnen. Ich muss das Geld (50% der Gesamtrechnung) jedes Mal erst auslegen, einen Antrag ausfüllen, diesen per Post verschicken und dann darauf hoffen, es erstattet zu bekommen.