Heute ist Samstag, der 27.02. (Tag +24 nach der SZT) und ich habe mir fest vorgenommen, endlich einen neuen Tagebucheintrag zu schreiben. OK, eigentlich hab ich mir das auch schon gestern, vorgestern und vorvorgestern vorgenommen, war dann allerdings immer zu müde oder zu unmotiviert. Aber jetzt mache ich das wirklich!
Gepäcklösung
Als ich am Dienstagmorgen erwachte, konnte ich es kaum erwarten, mit all meinen Sachen das Zimmer und das Krankenhaus zu verlassen. Ich ging schnell duschen, zog mich an, frühstückte, packte mein Kopfkissen ein und wartete. Eine nette Schwester kam zu mir und sagte, dass ich noch die Visite abwarten müsse, weil die Ärzte sich von mir verabschieden wollten. Gleichzeitig bekam ich von Jan die Nachricht, dass er und meine Mutter bereits am UKE angekommen seien. Die Schwester bot an, mein ganzes Gepäck (2 Koffer, eine Tüte voller Süßkram, eine Tüte mit meinem Kopfkissen, ein Tisch, eine Tüte mit Handschuhen, Cremes, Pflaster, etc.) schon mal nach unten zu bringen. Dafür war ich sehr dankbar, denn ich hatte schon überlegt, wie ich das bewerkstelligen sollte. Außerdem wäre es mir unangenehm gewesen, mit so vielen Sachen aus dem Fahrstuhl auszusteigen. Mithilfe eines Wagens und einer weiteren Krankenschwester brachte sie also mein Gepäck nach unten, wo es sogleich von Jan im Auto verstaut wurde. Nun saß ich da also in meinem leeren Zimmer, das mir plötzlich ganz anders vorkam, so kahl und steril. (Das Farbkonzept in Zimmer und Bad ist übrigens grau-orange-weiß, so gar nicht meins!)
Startklar
Nachdem sie sich meiner Sachen entledigt hatte, kam die Schwester wieder zu mir und sagte, ich könne auch gerne auf dem Balkon warten, sie würde die Visite dann zu mir schicken. Das Angebot nahm ich gerne an, griff Schal und Mantel und ging durch die Schleuse, durch den Aufenthaltsraum auf den Balkon. Da ich meine Mütze bereits mit nach unten gegeben hatte, setze ich die Kapuze meiner langen Strickjacke auf (und sah damit aus wie ein Sith). An den Füßen trug ich übrigens Adiletten, weil meine Füße immer noch sehr weh taten und nicht in meine Schuhe passen wollten. Vom Balkon aus konnte ich Jan und Mama sehen, die neben dem Auto auf mich warteten. Jan rief mich an und wir sprachen miteinander. Ich wollte einfach nur noch nach unten!!! Das Warten kam mir unendlich lang vor. Wo blieb die verdammte Visite? Als ich nach links über das Geländer guckte, konnte ich in „mein“ Zimmer sehen, das bereits gereinigt und für den nächsten Patienten vorbereitet wurde.
Letzte Visite
Da mir langsam kalt wurde, ging ich in den Aufenthaltsraum und setze mich auf den dort stehenden Stresslesssessel (so viele s in einem Wort!). Kaum hatte ich mich niedergelassen, öffnete sich die Tür und der Chefarzt kam herein, gefolgt von der lieben Oberärztin und zwei weiteren Ärztinnen. Der Typ, der mit mir am Vorabend das Abschlussgespräch geführt hatte, war nicht dabei. Er bekam aber trotzdem einen strafenden Blick vom Chefarzt, denn er hatte vergessen, mit mir die Patientenzufriedenheitsbefragung durchzuführen. Egal. Die Ärzte fragten mich allerlei Abschlusskram, sagten ich solle unbedingt eine Mütze tragen, wünschten mir viel Glück und wiesen mich noch einmal auf meinen Kontrolltermin am Donnerstag hin. Dann gingen sie. Während ich den Fahrstuhlknopf drückte, schrieb ich Jan, dass ich nun endlich runterkommen würde.
Körperkontakt!!!
Als sich die Tür öffnete und ich Jan vor mir stehen sah, war ich einfach überglücklich. Wir fielen uns in die Arme (Küssen ging mit Maske ja nicht), drückten uns ganz fest und dann bekam ich auch endlich meinen Ehering wieder aufgesteckt (Die Ärztin hatte beim Vorgespräch gesagt, ich solle ihn aufgrund evtl. geschwollener Finger und Diebstahlgefahr zuhause lassen). Anschließend umarmte ich auch meine Mama. Es ist schon krass, wie sehr man Körperkontakt vermissen kann.
Auf dem Heimweg durch Hamburg genoss ich den Blick aus dem Fenster. Es war einfach schön, Menschen, Häuser, Bäume und Leben zu sehen.
Zuhause
Wir fuhren zunächst zu meinen Eltern, wo ich herzlich von meinem Vater und Mucki (Kater) begrüßt wurde. Das Wohnzimmer war mit einer Wimpelkette und Luftballons dekoriert. Es fühlte sich seltsam angenehm an, einfach auf dem Sofa zu sitzen und in den Garten zu gucken. Die Sonne war inzwischen herausgekommen und strahlte Frühlingsgefühle in den Raum. Schon im Krankenhaus hatte ich große Lust verspürt, in der Siedlung meiner Kindheit spazieren zu gehen. Allerdings hatte mich der Vormittag ziemlich erschöpft, sodass aus dem Spaziergang (für mich) eine Spazierfahrt wurde. Jan schob mich in einem alten Klapprollstuhl – den wir noch von meinem Großvater hatten – durch die komplette Nachbarschaft. Er machte auch nicht vor Feldwegen Halt, sodass ich teilweise ziemlich durchgeschüttelt wurde. Außerdem fand er es besonders witzig, den Rollstuhl beim Betreten eines Bordsteins seeehr weit nach hinten zu kippen. Meine Mama begleitete uns. Die Sonne schien so herrlich warm vom Himmel, dass man hätte meinen können, wir befänden uns bereits im Mai. Kinder spielten in den Gärten und fuhren mit Roller, Trecker und Longboard auf den Straßen, man sah alte Frauen bei der Arbeit im Gemüsebeet, Väter beim Bohren und Schrauben, unterhielt sich mit der Nachbarin auf dem Balkon und wurde von kleinen Hunden angebellt. Mir wurde noch einmal vor Augen geführt, was für eine schöne Kindheit wir hier – umgeben von Wiesen, Feldern und einer Horde Gleichaltriger – verbracht hatten. Damals wie heute war meine Freundin Wiebke immer ein Teil davon gewesen. Wie passend war es da doch, dass sie gerade heute ihre Eltern besuchte. Wir standen in unseren Gärten – sie mit dem kleinen Hannes auf dem Arm – und unterhielten uns unter anderem darüber, wie erstaunlich gut es mir doch gehe, obwohl die SZT kaum drei Wochen her war. Ich war überglücklich und dankbar für die schnelle Entlassung, den wunderbaren Frühlingstag, meine Familie, meine Freunde, die vielen Nachrichten, die Aufmerksamkeiten und vor allem natürlich für meine gute gesundheitliche Entwicklung. Klar, ich bin längst nicht „über den Berg“, aber die Steine, die mir bisher in den Weg gelegt wurden, konnte ich allesamt überwinden und das ist ja schon mal ein guter Anfang.
Lichterketten-Leuchtturm
Abends fuhren wir zu meinen Schwiegereltern. Vorher holten wir meine Medikamente aus der Apotheke ab und machten noch einen kleinen Abstecher zu unserer Wohnung. Jan hatte die Lichterkette in unserem großen Wohnzimmerfenster durchgehend brennen lassen. „Das ist wie ein Leuchtturm. Ich lasse sie so lange an, bis du wieder nach Hause gefunden hast“, hatte er mir vor einigen Wochen erklärt. Nun war es endlich so weit. Da er noch eine Ladung Wäsche aufhängen und einige Dinge zusammensammeln musste, beschloss ich, nicht im Auto zu warten, sondern stattdessen den großen Anstieg der 4 1/2 Treppen zu unserer Wohnung zu wagen. Noch während Jan im Keller die Waschmaschine entleerte machte ich mich an den Aufstieg. „Schatz, wo bist du?“, hörte ich ihn schließlich von unten rufen. Sowohl zu seiner als auch zu meiner eigenen Überraschung hatte ich es in einem Anlauf direkt bis nach oben geschafft. (Um das Treppengeländer anfassen zu können, hielt ich ein mit Sakrotan getränktes Tuch in der rechten Hand. Die Schule ist nämlich saudreckig. Das Schultreppenhaus wurde zuletzt im März 2020 gereinigt…von mir!) Oben angekommen war ich dann aber doch sehr erschöpft und ließ mich erstmal aufs Sofa fallen von wo aus ich Jan beim Wäscheaufhängen zusah. Als wir gingen zog ich den Stecker der Lichterkette.
Betreutes Wohnen
Bei meinen Schwiegereltern angekommen, freute ich mich zunächst über den Fahrstuhl, der uns in den vierten Stock brachte. Nochmal hätte ich so einen Treppenanstieg auch nicht geschafft. Wir wurden freudig begrüßt und umarmt. (Ich hatte vorher mit meiner Ärztin darüber gesprochen, wie viel Abstand ich zu anderen Personen halten bzw. wann ich eine Maske tragen soll. Sie hatte gesagt, dass es innerhalb der Familie – wenn alle gesund sind – ohne Maske und Abstand völlig ok sei, ich aber bei Freunden und Bekannten auf die Umarmung verzichten und lieber eine Maske aufsetzen solle). Meine Schwiegermutter zeigte uns sogleich das hergerichtete Gästezimmer, in dem sich normalerweise Claus‘ Büro befindet. Er ist für die Zeit unseres Aufenthalts mit all seinen Sachen in ein anderes Zimmer gezogen. Das Bett sah herrlich einladend aus. Ich war von den letzten Wochen weder schöne Bettwäsche noch flauschige Decken gewohnt. Quer über dem Bett hing eine zarte Lichterkette und am Fenster war eine Girlande mit einer süßen Willkommensbotschaft angebracht. Ich hätte mich sofort hinlegen und einschlafen können, aber vorher musste ich noch etwas sehr Wichtiges tun, was sich nicht auf den nächsten Tag verschieben ließ.
Medikamente
Wow. Es waren SO viele Tabletten! (Obwohl die Schwester sagte, manche Patienten würde sogar doppelt so viele bekommen.) Ich saß am Tisch, vor mir elf Packungen mit diversen Medikamenten gegen Übelkeit, gegen Pilzinfektionen, diverse Antibiotika, zwei Immunsuppressiva, Magenschoner, Vitamin D, Magnesium und noch einige andere. Vom UKE hatte ich einen Medikamentenplan bekommen, in dem stand, wann ich welche Tabletten nehmen sollte. Die Einnahmezeiten durfte ich für mich anpassen, was ich auch tat, denn ich hatte keine Lust, jeden Tag um 8Uhr aufzustehen, um Medikamente zu schlucken. Trotz des Plans stellte es sich als schwieriger heraus als gedacht, die Tabletten „vorzubereiten“. Ich hatte aus dem Krankenhaus Pillendosen mitgenommen, die ich nun mit Jans Hilfe bestücken wollte. Die Einnahmezeiten schrieb ich mit Edding auf die verschiedenen Fächer. Soweit so gut, aber dann war da ein Medikament, das ich nur dienstags und freitags nehmen sollte (morgens und abends), ein anderes Medikament musste in einigem Abstand zu einem weiteren nehmen und die Immunsuppressiva passten größentechnisch nicht in die Dose. Dann fiel Jan auf, dass ich von dem Pilzmedikament 300mg nehmen sollte, also drei Tabletten statt einer. Obwohl es eigentlich ganz einfach schien, überforderte mich diese Aufgabe am ersten Abend. Deshalb suchte ich mir die Tabletten heraus, die ich noch am gleichen Tag schlucken musste und verschob den Rest auf morgen.
Apropos „den Rest auf morgen verschieben“… Als ich anfing, diesen Text zu schreiben, war es Vormittag. Zwischendurch habe ich einige andere Dinge gemacht, unter anderem habe ich einen Heinz Erhardt-Film (Immer die Radfahrer) bei meinen Eltern geguckt, habe Pizza gegessen und The First Avenger geguckt. Jetzt ist es schon 00:48Uhr und Jan schnarcht bereits neben mir. Ich werde das Weiterschreiben also auf morgen verschieben. Gute Nacht!