-8 An­kom­men

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Un­wirk­lich

Bis zum letz­ten Mo­ment war für mich der an­ste­hen­de Kran­ken­haus­auf­ent­halt in­klu­si­ve Che­mo­the­ra­pie und Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­on eine ziem­lich un­greif­ba­re, selt­sa­me und ir­gend­wie sur­rea­le An­ge­le­gen­heit. Ich füh­le mich ein­fach nicht wie eine schwer­kran­ke Per­son, de­ren letz­ter Aus­weg die hef­tigs­te Be­hand­lung ist, die man ei­nem Men­schen zu­mu­ten kann. Ges­tern lief ich noch to­tal kon­fus durch die Woh­nung und über­leg­te, ob mein Kof­fer auch wirk­lich voll­stän­dig ge­packt war, heu­te lie­ge ich im Kran­ken­haus­bett und bin ei­gent­lich recht entspannt.

Te­le­fo­nat mit der Transplantationskoordinatorin

Ges­tern Mor­gen ha­ben wir erst­mal die Trans­plan­ta­ti­ons­ko­or­di­na­to­rin an­ge­ru­fen, um zu fra­gen, ob ich tat­säch­lich das rich­ti­ge Im­plan­tat in mei­nem Bauch habe. Sie konn­te mich glück­li­cher­wei­se be­ru­hi­gen und sag­te, die An­zahl der Frau­en, die vor den Wech­sel­jah­ren eine Hoch­do­si­schemo durch­ma­chen müss­ten, sei sehr ge­ring, wes­halb die An­wen­dung in die­sem spe­zi­el­len Fall we­der im Bei­pack­zet­tel noch in ir­gend­wel­chen In­ter­net­fo­ren Be­ach­tung fän­de. Puh. 

Schmin­ke

Im wei­te­ren Ge­spräch klär­ten wir alle noch of­fe­nen Fra­gen. So er­fuhr ich z.B., dass ich mich ent­ge­gen mei­ner bis­he­ri­gen An­nah­me wei­ter­hin schmin­ken darf, so­lan­ge mei­ne Haut es zu­lässt. Das mag ba­nal klin­gen, aber für mich und mei­ne Psy­che war es ziem­lich be­ru­hi­gend, weil ich un­ge­schminkt ein­fach echt fer­tig und krank aus­se­he und mich mit ein biss­chen Con­cea­ler und Wim­pern­tu­sche ein­fach woh­ler fühle. 

Lieb­lings­es­sen

Abends koch­te Jan für mich al­les was mein Herz be­gehr­te. Wer weiß, wie lan­ge mei­ne Ge­schmacks­ner­ven brau­chen, um nach der Be­hand­lung wie­der rich­tig zu funk­tio­nie­ren. Vie­le Pa­ti­en­ten sa­gen, dass durch die Che­mo al­les nach Pap­pe, Zwie­beln oder ir­gend­was an­de­rem Ek­li­gen schmeckt. 

Auf­re­gung und Vorangst

Als mei­ne Kof­fer ge­schlos­sen, be­schrif­tet und be­reit wa­ren, schau­ten wir auf dem Sofa lie­gend ei­nen un­se­rer Lieb­lings­fil­me („deut­scher“ Ti­tel: Can a song save your life? Ori­gi­nal­ti­tel: Be­gin Again). In mei­nem Bauch herrsch­te ein ähn­li­ches Ge­fühl wie vor ei­ner gro­ßen Rei­se. Ich glau­be, mein Ma­gen kann nicht zwi­schen po­si­ti­ver und ne­ga­ti­ver Auf­re­gung un­ter­schei­den. Mein Kopf muss­te ihm qua­si im­mer wie­der sa­gen: „Hör auf dich zu freu­en! Es geht nicht in den Ur­laub!!!“ Hin­zu kam die selt­sa­me Tat­sa­che, dass ich die­se Rei­se ganz al­lein ma­chen muss und nie­mand mitkommt. 

Vor­freu­de ist zwar ab­so­lut das fal­sche Wort für das, was ich emp­fand, aber es ist nun mal so, dass nichts vor­über­ge­hen kann, ohne an­zu­fan­gen. Also ver­spür­te ich ne­ben dem flau­en Ma­gen­grum­meln auch ein we­nig Er­leich­te­rung, als ich heu­te Mor­gen mit Jan und mei­nen ge­pack­ten Kof­fern ins Auto ein­stieg. Wir fuh­ren zu mei­nen El­tern, ich ver­ab­schie­de­te mich von Papa und dem Ka­ter, dann fuh­ren wir mit mei­ner Mut­ter Rich­tung Ham­burg. Da es in der letz­ten Nacht ge­fro­ren hat­te und nun die Son­ne schien, lag die gan­ze Welt in ei­nem glit­zern­den Weiß. 

An­kom­men

Im UKE an­ge­kom­men, nutz­ten Jan und ich den Mo­ment im Park­haus, um noch­mal zu knut­schen, denn auf dem gan­zen UKE-Ge­län­de herrscht Mas­ken­pflicht und wie soll man sich Bit­te­schön für mind. 4–6 Wo­chen von sei­nem ge­lieb­tem Mann ver­ab­schie­den, wenn man eine Mas­ke trägt?! Im rich­ti­gen Ge­bäu­de an­ge­kom­men, muss­te ich erst­mal zur An­mel­dung. Mama und Jan durf­ten mit mei­nem Ge­päck in der Ein­gangs­hal­le war­ten. Ich muss­te 9(!!!) Zet­tel un­ter­schrei­ben. Das ist mal wie­der so ty­pisch deutsch. Wahr­schein­lich wä­ren es 7 For­mu­la­re we­ni­ger ge­we­sen, wenn ich auf die pri­vat­ärzt­li­chen Leis­tun­gen ver­zich­tet hät­te, aber dann wür­de ich die Ärz­tin, bei der ich mich bis­her so wohl­ge­fühlt habe, nicht täg­lich bei der Vi­si­te se­hen und spre­chen kön­nen. An­sons­ten gibt es glau­be ich gar kei­ne Vor­tei­le für Pri­vat­pa­ti­en­ten, denn wie al­bern wäre es, auf der Iso­la­ti­ons­sta­ti­on Mehr­bett­zim­mer zu be­trei­ben?! Ich habe jetzt schon ein biss­chen Mit­leid mit Jan, der nun alle Ein­zel­ab­rech­nun­gen zu­ge­schickt be­kommt und be­ar­bei­ten muss. Da­mit er das über­haupt ma­chen darf, muss üb­ri­gens eine Voll­macht bei der Bei­hil­fe­stel­le vor­lie­gen. Die hat­te ich in wei­ser Vor­aus­sicht be­reits im Juli 2020 ge­mein­sam mit ei­nem Bei­hil­fe­an­trag ab­ge­schickt. Der An­trag wur­de be­ar­bei­tet, die Voll­macht sei aber an­geb­lich nicht an­ge­kom­men. Zum Glück ha­ben wir das noch recht­zei­tig fest­ge­stellt, so­dass ich die Voll­machts­er­klä­rung noch schnell per Post ver­schi­cken konn­te. Wahr­schein­lich ist das ge­ra­de to­tal un­in­ter­es­sant zu le­sen, aber das ist der Sch***, mit dem ich mich in letz­ter Zeit im­mer wie­der be­schäf­ti­gen musste. 

Ab­schied

Aus­nahms­wei­se durf­te Jan mich und die Kof­fer bis in den vier­ten Stock be­glei­ten. Im Fahr­stuhl knutsch­ten wir noch ein­mal il­le­gal. Dann muss­te ich tschüss sa­gen… Mir ging es im Ge­gen­satz zu Jan und Mama ganz gut, wes­halb ich froh war, dass sie mich ge­mein­sam her­ge­bracht hat­ten und kei­ner al­lein nach Hau­se fah­ren muss­te. Als ich in mei­nem vor­läu­fi­gen Zim­mer an­ge­kom­men war, stell­te ich fest, dass ich di­rekt auf die Stra­ße gu­cken konn­te und rief Jan an. Aus ei­ni­ger Ent­fer­nung konn­te ich den bei­den zum Ab­schied win­ken. Dann leg­te ich mich in mein son­nen­be­schie­ne­nes Bett, hol­te mir Trin­ken und Sü­ßig­kei­ten, steck­te mei­ne Kopf­hö­rer in die Oh­ren und be­gann eine neue Netflix-Serie.

Ur­laubs­fee­ling

Ab­ge­se­hen von der Blut­ab­nah­me, dem Co­ro­na­test und der Ge­wichts­mes­sung hät­te ich auch eben­so gut im Ur­laub sein kön­nen. Ir­gend­wann kam ein Herr mit Wes­te in mein Zim­mer und über­reich­te mir die Spei­se­kar­te. Ich hat­te bzw. habe eine Aus­wahl von 19 Ge­rich­ten! Ok, wenn man nur die ohne Lak­to­se zählt, sind es le­dig­lich 5 und wenn man von die­sen 5 Ge­rich­ten die hist­amin­hal­ti­gen raus­rech­net bleibt nur noch die bun­te Hüh­ner­sup­pe mit Reis­nu­deln üb­rig, aber die ist be­stimmt le­cker! Der (ich nen­ne ihn mal) Kell­ner sag­te mir aber auch, dass es eine Ex­t­ra­kü­che mit ei­ner Di­ät­be­ra­te­rin gäbe, die mir ein kom­plett hist­amin­ar­mes und lak­to­se­frei­es Menü zu­sam­men­stel­len kön­ne. Al­ler­dings wäre es dann eine Über­ra­schung. Da ich kei­ne gro­ße Lust auf eine Über­ra­schung (wie z.B. Sel­le­rie) hat­te, ent­schied ich mich für die Kar­tof­fel­sup­pe mit Würst­chen und eine Lactase-Tablette. 

Al­les ist möglich

Im wei­te­ren Ta­ges­ver­lauf kam ein Arzt und führ­te ein sehr lan­ges Auf­klä­rungs­ge­spräch mit mir. Das meis­te von dem, was er sag­te, wuss­te ich al­ler­dings längst aus der Pa­ti­en­ten­bro­schü­re und dem In­ter­net. Trotz­dem war es na­tür­lich not­wen­dig und gut, auch da ich ihn al­les fra­gen konn­te, was mir noch nicht ganz klar war. Im An­schluss muss­te ich wie­der ei­nen Sta­pel Pa­pie­re un­ter­zeich­nen und mir den Auf­klä­rungs­text noch ein­mal in al­ler Ruhe durch­le­sen. Quint­essenz des Gan­zen: „AL­LES ist mög­lich“ oder auch „Al­les kann, nichts muss“. Wo­bei es na­tür­lich Ne­ben­wir­kun­gen gibt, die so gut wie bei je­dem Pa­ti­en­ten auf­tre­ten. Der Arzt sag­te auch, dass ich wäh­rend des ers­ten Jah­res mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit noch mal ins Kran­ken­haus auf­ge­nom­men wer­den muss. „Das ist bei fast je­dem SZT-Pa­ti­en­ten so. Sie be­kom­men be­stimmt ir­gend­ei­nen In­fekt oder Vi­rus.“ OK! Dann weiß ich das im­mer­hin jetzt schon und kann mich dar­auf einstellen.

Mund­spül­pro­gramm

Nach­dem der Arzt ge­gan­gen war, brach­te mir ein „Kell­ner“ Tee und Kek­se. Eine net­te Kran­ken­schwes­ter brach­te mir Be­pan­thol-Kör­per­lo­tion, Dusch­gel und zwei the­ra­peu­ti­sche Mund­spü­lun­gen. Die ers­te Spü­lung (ent­zün­dungs­hem­mend, an­ti­bak­te­ri­ell) nimmt man aus ei­nem klei­nen Be­cher in den Mund, muss da­mit gur­geln und darf sie aber nicht run­ter­schlu­cken. Das ist voll schwer, weil ich beim Gur­geln die gan­ze Zeit Angst habe, aus Ver­se­hen zu schlu­cken. Die zwei­te Spü­lung (wirkt ge­gen Pil­ze) ist ei­gent­lich ein Mund­spray, dass in die Mund­höh­le ge­sprüht und an­schlie­ßend meh­re­re Mi­nu­ten im Mund be­hal­ten wird, be­vor man es hin­un­ter­schlu­cken darf. Ver­mut­lich be­kom­me ich schnell Rou­ti­ne be­züg­lich die­ses Mund­spül­pro­gramms, denn schließ­lich muss ich es je­den Tag min­des­tens 4–5 Mal durch­füh­ren. „Las­sen Sie kei­nes­falls ei­nes der Prä­pa­ra­te bei der Durch­füh­rung ih­rer Mund­pfle­ge aus.“ Üb­ri­gens darf ich da­nach zwei Stun­den lang nichts es­sen. Ich glaub, ich stell mir mal ein paar We­cker im Han­dy ein.

Ab­lauf

Da ich schon wie­der viel zu viel ge­schrie­ben habe, möch­te ich nur noch kurz er­zäh­len, wie der wei­te­re Ab­lauf ge­plant ist: Mor­gen wird ein Herz­echo ge­macht, ich be­kom­me den zen­tra­len Ve­nen­ka­the­ter ge­legt und zie­he an­schlie­ßend (viel­leicht auch da­vor) auf die Iso­lier­sta­ti­on. Zu­erst hieß es, ich wür­de 3–4 Tage auf der nor­ma­len Sta­ti­on blei­ben, aber viel­leicht ist ja ge­ra­de ein Zim­mer frei ge­wor­den. Ich fin­de den Um­zug ganz gut, da ich auf der Sta­ti­on wahr­schein­lich an die drei Wo­chen lie­gen wer­de. Dann kann ich mei­nen Kof­fer aus­pa­cken und mich ein­rich­ten (z.B. Fo­tos an die Wand kle­ben). Über­mor­gen, am 28.1. be­ginnt dann die Che­mo­the­ra­pie. Je nach­dem wie schnell mein Kör­per dar­auf re­agiert, wer­de ich ir­gend­wann mei­nen Kopf sche­ren las­sen. Die Trans­plan­ta­ti­on ist be­reits für den 3.2. ge­plant! Das wird dann also mein neu­er Ge­burts­tag, an dem ich zu­künf­tig groß­zü­gi­ge Ge­schen­ke er­war­ten wer­de (Na­tür­lich zu­sätz­lich zu mei­nem ei­gent­li­chen Ge­burts­tag). Stellt euch also drauf ein. Die 14 Tage nach der Trans­plan­ta­ti­on wer­den dann so rich­tig schön ka­cke. Das ist der Zeit­raum, in dem die meis­ten Kom­pli­ka­tio­nen zu­ta­ge tre­ten. Aber mal se­hen. Viel­leicht wird ja auch al­les halb so schlimm.

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  • Beitrags-Kommentare:4 Kommentare

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Jan

    Hey, ich wün­sche dir ganz viel Kraft für die Zeit und dass die 14 Tage nach der Trans­plan­ta­ti­on (und auch dar­über hin­aus na­tür­lich) al­les so läuft wie es sich gehört!
    Wenn ich darf, dann kom­me ich nächs­te Wo­che zur Blut­spen­de ins UKE. Viel­leicht kön­nen wir uns dann ge­gen­sei­tig zuwinken 🙂

    1. Bärbel

      Also ich fin­de, dass alle Jans hier ih­ren zwei­ten Vor­na­men oder ein an­de­res Er­ken­nungs­merk­mal dazu schrei­ben müssen!

      1. Nele

        Das hab ich mir auch schon gedacht 😅
        Im­mer­hin kann ich se­hen, von wem sie sind. Die Nach­richt über dei­nem Kom­men­tar kommt von dei­nem Bru­der Jan Erich 😜

  2. Bärbel

    Hal­lo mei­ne Lie­be. Habe ges­tern fest an dich ge­dacht und wer­de es auch wei­ter­hin tun bis du da wie­der raus bist. Halt die Oh­ren steif. Sieht bis­lang aus wie ein All-in­clu­si­ve Ho­tel mit merk­wür­di­gen Bet­ten. Scheint auch ein net­ter Kell­ner zu sein. Mit de­nen soll­te man es sich nicht verscherzen.
    Ich drü­cke dich!
    Bärbel

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