Unwirklich
Bis zum letzten Moment war für mich der anstehende Krankenhausaufenthalt inklusive Chemotherapie und Stammzelltransplantation eine ziemlich ungreifbare, seltsame und irgendwie surreale Angelegenheit. Ich fühle mich einfach nicht wie eine schwerkranke Person, deren letzter Ausweg die heftigste Behandlung ist, die man einem Menschen zumuten kann. Gestern lief ich noch total konfus durch die Wohnung und überlegte, ob mein Koffer auch wirklich vollständig gepackt war, heute liege ich im Krankenhausbett und bin eigentlich recht entspannt.
Telefonat mit der Transplantationskoordinatorin
Gestern Morgen haben wir erstmal die Transplantationskoordinatorin angerufen, um zu fragen, ob ich tatsächlich das richtige Implantat in meinem Bauch habe. Sie konnte mich glücklicherweise beruhigen und sagte, die Anzahl der Frauen, die vor den Wechseljahren eine Hochdosischemo durchmachen müssten, sei sehr gering, weshalb die Anwendung in diesem speziellen Fall weder im Beipackzettel noch in irgendwelchen Internetforen Beachtung fände. Puh.
Schminke
Im weiteren Gespräch klärten wir alle noch offenen Fragen. So erfuhr ich z.B., dass ich mich entgegen meiner bisherigen Annahme weiterhin schminken darf, solange meine Haut es zulässt. Das mag banal klingen, aber für mich und meine Psyche war es ziemlich beruhigend, weil ich ungeschminkt einfach echt fertig und krank aussehe und mich mit ein bisschen Concealer und Wimperntusche einfach wohler fühle.
Lieblingsessen
Abends kochte Jan für mich alles was mein Herz begehrte. Wer weiß, wie lange meine Geschmacksnerven brauchen, um nach der Behandlung wieder richtig zu funktionieren. Viele Patienten sagen, dass durch die Chemo alles nach Pappe, Zwiebeln oder irgendwas anderem Ekligen schmeckt.
Aufregung und Vorangst
Als meine Koffer geschlossen, beschriftet und bereit waren, schauten wir auf dem Sofa liegend einen unserer Lieblingsfilme („deutscher“ Titel: Can a song save your life? Originaltitel: Begin Again). In meinem Bauch herrschte ein ähnliches Gefühl wie vor einer großen Reise. Ich glaube, mein Magen kann nicht zwischen positiver und negativer Aufregung unterscheiden. Mein Kopf musste ihm quasi immer wieder sagen: „Hör auf dich zu freuen! Es geht nicht in den Urlaub!!!“ Hinzu kam die seltsame Tatsache, dass ich diese Reise ganz allein machen muss und niemand mitkommt.
Vorfreude ist zwar absolut das falsche Wort für das, was ich empfand, aber es ist nun mal so, dass nichts vorübergehen kann, ohne anzufangen. Also verspürte ich neben dem flauen Magengrummeln auch ein wenig Erleichterung, als ich heute Morgen mit Jan und meinen gepackten Koffern ins Auto einstieg. Wir fuhren zu meinen Eltern, ich verabschiedete mich von Papa und dem Kater, dann fuhren wir mit meiner Mutter Richtung Hamburg. Da es in der letzten Nacht gefroren hatte und nun die Sonne schien, lag die ganze Welt in einem glitzernden Weiß.
Ankommen
Im UKE angekommen, nutzten Jan und ich den Moment im Parkhaus, um nochmal zu knutschen, denn auf dem ganzen UKE-Gelände herrscht Maskenpflicht und wie soll man sich Bitteschön für mind. 4–6 Wochen von seinem geliebtem Mann verabschieden, wenn man eine Maske trägt?! Im richtigen Gebäude angekommen, musste ich erstmal zur Anmeldung. Mama und Jan durften mit meinem Gepäck in der Eingangshalle warten. Ich musste 9(!!!) Zettel unterschreiben. Das ist mal wieder so typisch deutsch. Wahrscheinlich wären es 7 Formulare weniger gewesen, wenn ich auf die privatärztlichen Leistungen verzichtet hätte, aber dann würde ich die Ärztin, bei der ich mich bisher so wohlgefühlt habe, nicht täglich bei der Visite sehen und sprechen können. Ansonsten gibt es glaube ich gar keine Vorteile für Privatpatienten, denn wie albern wäre es, auf der Isolationsstation Mehrbettzimmer zu betreiben?! Ich habe jetzt schon ein bisschen Mitleid mit Jan, der nun alle Einzelabrechnungen zugeschickt bekommt und bearbeiten muss. Damit er das überhaupt machen darf, muss übrigens eine Vollmacht bei der Beihilfestelle vorliegen. Die hatte ich in weiser Voraussicht bereits im Juli 2020 gemeinsam mit einem Beihilfeantrag abgeschickt. Der Antrag wurde bearbeitet, die Vollmacht sei aber angeblich nicht angekommen. Zum Glück haben wir das noch rechtzeitig festgestellt, sodass ich die Vollmachtserklärung noch schnell per Post verschicken konnte. Wahrscheinlich ist das gerade total uninteressant zu lesen, aber das ist der Sch***, mit dem ich mich in letzter Zeit immer wieder beschäftigen musste.
Abschied
Ausnahmsweise durfte Jan mich und die Koffer bis in den vierten Stock begleiten. Im Fahrstuhl knutschten wir noch einmal illegal. Dann musste ich tschüss sagen… Mir ging es im Gegensatz zu Jan und Mama ganz gut, weshalb ich froh war, dass sie mich gemeinsam hergebracht hatten und keiner allein nach Hause fahren musste. Als ich in meinem vorläufigen Zimmer angekommen war, stellte ich fest, dass ich direkt auf die Straße gucken konnte und rief Jan an. Aus einiger Entfernung konnte ich den beiden zum Abschied winken. Dann legte ich mich in mein sonnenbeschienenes Bett, holte mir Trinken und Süßigkeiten, steckte meine Kopfhörer in die Ohren und begann eine neue Netflix-Serie.
Urlaubsfeeling
Abgesehen von der Blutabnahme, dem Coronatest und der Gewichtsmessung hätte ich auch ebenso gut im Urlaub sein können. Irgendwann kam ein Herr mit Weste in mein Zimmer und überreichte mir die Speisekarte. Ich hatte bzw. habe eine Auswahl von 19 Gerichten! Ok, wenn man nur die ohne Laktose zählt, sind es lediglich 5 und wenn man von diesen 5 Gerichten die histaminhaltigen rausrechnet bleibt nur noch die bunte Hühnersuppe mit Reisnudeln übrig, aber die ist bestimmt lecker! Der (ich nenne ihn mal) Kellner sagte mir aber auch, dass es eine Extraküche mit einer Diätberaterin gäbe, die mir ein komplett histaminarmes und laktosefreies Menü zusammenstellen könne. Allerdings wäre es dann eine Überraschung. Da ich keine große Lust auf eine Überraschung (wie z.B. Sellerie) hatte, entschied ich mich für die Kartoffelsuppe mit Würstchen und eine Lactase-Tablette.
Alles ist möglich
Im weiteren Tagesverlauf kam ein Arzt und führte ein sehr langes Aufklärungsgespräch mit mir. Das meiste von dem, was er sagte, wusste ich allerdings längst aus der Patientenbroschüre und dem Internet. Trotzdem war es natürlich notwendig und gut, auch da ich ihn alles fragen konnte, was mir noch nicht ganz klar war. Im Anschluss musste ich wieder einen Stapel Papiere unterzeichnen und mir den Aufklärungstext noch einmal in aller Ruhe durchlesen. Quintessenz des Ganzen: „ALLES ist möglich“ oder auch „Alles kann, nichts muss“. Wobei es natürlich Nebenwirkungen gibt, die so gut wie bei jedem Patienten auftreten. Der Arzt sagte auch, dass ich während des ersten Jahres mit großer Wahrscheinlichkeit noch mal ins Krankenhaus aufgenommen werden muss. „Das ist bei fast jedem SZT-Patienten so. Sie bekommen bestimmt irgendeinen Infekt oder Virus.“ OK! Dann weiß ich das immerhin jetzt schon und kann mich darauf einstellen.
Mundspülprogramm
Nachdem der Arzt gegangen war, brachte mir ein „Kellner“ Tee und Kekse. Eine nette Krankenschwester brachte mir Bepanthol-Körperlotion, Duschgel und zwei therapeutische Mundspülungen. Die erste Spülung (entzündungshemmend, antibakteriell) nimmt man aus einem kleinen Becher in den Mund, muss damit gurgeln und darf sie aber nicht runterschlucken. Das ist voll schwer, weil ich beim Gurgeln die ganze Zeit Angst habe, aus Versehen zu schlucken. Die zweite Spülung (wirkt gegen Pilze) ist eigentlich ein Mundspray, dass in die Mundhöhle gesprüht und anschließend mehrere Minuten im Mund behalten wird, bevor man es hinunterschlucken darf. Vermutlich bekomme ich schnell Routine bezüglich dieses Mundspülprogramms, denn schließlich muss ich es jeden Tag mindestens 4–5 Mal durchführen. „Lassen Sie keinesfalls eines der Präparate bei der Durchführung ihrer Mundpflege aus.“ Übrigens darf ich danach zwei Stunden lang nichts essen. Ich glaub, ich stell mir mal ein paar Wecker im Handy ein.
Ablauf
Da ich schon wieder viel zu viel geschrieben habe, möchte ich nur noch kurz erzählen, wie der weitere Ablauf geplant ist: Morgen wird ein Herzecho gemacht, ich bekomme den zentralen Venenkatheter gelegt und ziehe anschließend (vielleicht auch davor) auf die Isolierstation. Zuerst hieß es, ich würde 3–4 Tage auf der normalen Station bleiben, aber vielleicht ist ja gerade ein Zimmer frei geworden. Ich finde den Umzug ganz gut, da ich auf der Station wahrscheinlich an die drei Wochen liegen werde. Dann kann ich meinen Koffer auspacken und mich einrichten (z.B. Fotos an die Wand kleben). Übermorgen, am 28.1. beginnt dann die Chemotherapie. Je nachdem wie schnell mein Körper darauf reagiert, werde ich irgendwann meinen Kopf scheren lassen. Die Transplantation ist bereits für den 3.2. geplant! Das wird dann also mein neuer Geburtstag, an dem ich zukünftig großzügige Geschenke erwarten werde (Natürlich zusätzlich zu meinem eigentlichen Geburtstag). Stellt euch also drauf ein. Die 14 Tage nach der Transplantation werden dann so richtig schön kacke. Das ist der Zeitraum, in dem die meisten Komplikationen zutage treten. Aber mal sehen. Vielleicht wird ja auch alles halb so schlimm.
Hey, ich wünsche dir ganz viel Kraft für die Zeit und dass die 14 Tage nach der Transplantation (und auch darüber hinaus natürlich) alles so läuft wie es sich gehört!
Wenn ich darf, dann komme ich nächste Woche zur Blutspende ins UKE. Vielleicht können wir uns dann gegenseitig zuwinken 🙂
Also ich finde, dass alle Jans hier ihren zweiten Vornamen oder ein anderes Erkennungsmerkmal dazu schreiben müssen!
Das hab ich mir auch schon gedacht 😅
Immerhin kann ich sehen, von wem sie sind. Die Nachricht über deinem Kommentar kommt von deinem Bruder Jan Erich 😜
Hallo meine Liebe. Habe gestern fest an dich gedacht und werde es auch weiterhin tun bis du da wieder raus bist. Halt die Ohren steif. Sieht bislang aus wie ein All-inclusive Hotel mit merkwürdigen Betten. Scheint auch ein netter Kellner zu sein. Mit denen sollte man es sich nicht verscherzen.
Ich drücke dich!
Bärbel