Wenn man hört, dass jemand schwer krank ist und eine Transplantation benötigt, scheint dieser Tag, an dem die Person das Transplantat erhält, der rettende Tag zu sein, von dem an alles besser wird und nur noch bergauf geht. Aber so ist das leider nicht. Erstmal wird es scheiße, verdammt scheiße.
In dieser letzten Nacht vor der Transplantation hab ich kaum ein Auge zu bekommen. Meine Gedanken kreisten ununterbrochen um all die schlimmen Dinge, die mit mir in den nächsten Wochen mit den neuen Stammzellen passieren können und werden. Mir war total übel und als ich mich schließlich fürs Bett fertigmachen wollte, sah ich, dass ich nun auch noch einen roten Ausschlag im Gesicht hatte.
Morgens fühlte ich mich völlig gerädert. Ich brachte kaum etwas von meinem Frühstück herunter. Eigentlich wusste ich, dass die Aufregung völlig unnötig war, denn die Auswirkungen des heutigen Tages würde man erst in Wochen abschätzen können und der Akt der Transplantation an sich war mehr als unspektakulär. Aber natürlich ist es psychisch ein ziemlich großes Ding, wenn da die fremden Stammzellen eines netten Spenders in meinen Körper hinein fließen, um meine eigenen Zellen zu ersetzen.
Zugeschnürte Kehle
Ich ging also duschen, bezog mein Bett neu und rief die Schwester, damit sie das Pflaster auf meinem ZVK wechseln konnte. Mein roter Gesichtsausschlag war übrigens fast völlig verschwunden. Dafür hatte die Haut unter den Pflasterrändern aber sehr empfindlich mit einer Rötung reagiert. Um die gereizte Haut zu schonen, klebte mir die Schwester daher ein MEGA großes Pflaster an den Hals, was zwar seinen Zweck erfüllte, mir aber im wahrsten Sinne des Wortes die Kehle zuschnürte. Das Fremdkörpergefühl des eh schon nervigen ZVKs stieg damit gleich um 100%. Ich konnte meinen Hals kaum drehen und spürte jedes kleine Schlucken, was mich in meiner psychisch angespannten Situation nur noch mehr fertigmachte.
Die Transplantation
Bei der Visite sagten mir die Ärzte, dass die Zellen gegen 13 Uhr ankommen sollten. Um kurz vor halb begann daher eine Schwester damit, mich auf die Transplantation vorzubereiten. Nachdem ich noch kurz auf Klo durfte, wurde ich wieder an allen Seiten verkabelt: EKG, Blutdruckmanschette, Sauerstoffsättigung, Prämedikation. So hing ich da also. Alle 10 Minuten pumpte sich die Manschette an meinem Arm auf. Ansonsten passierte lange Zeit nichts. Um halb 4 schrieb ich mit meinem Bruder, der wissen wollte, ob „alles drin“ sei? Gerade in dem Moment als ich ihm meine deprimierte Antwort tippte, kamen zwei Ärzte in mein Zimmer. Einer von ihnen hielt einen etwas eklig aussehenden Infusionsbeutel in der Hand. Der Inhalt war nicht ganz so rot wie Blut. Er fragte, ob ich ein Foto machen wolle, verglich meine Daten mit denen auf dem Beutel und schloss diesen anschließend an meinen Turm an. Das war‘s. Als die Ärzte mein Zimmer verließen, kam eine Schwester rein und brachte mir eine Postkarte mit einem großen Panda drauf, die für mich angekommen war. Sie kam genau im richtigen Moment, um die seltsame Situation für mich ein bisschen schöner zu machen.
Lass es vorbei sein
Nach etwa einer Stunde waren alle Spenderzellen in mir angekommen. Allerdings musste ich noch mindestens eine Stunde unter der Überwachung bleiben. Ich lag den ganzen Tag im Bett, ohne mich wirklich bewegen zu können. Ich hatte keine Lust, einen Film oder eine Serie zu gucken. Ich wollte nichts lesen und auch nichts erklären, ich wollte einfach nur, dass alles vorbei ist. Und mit vorbei meine ich die Transplantation inklusive ihrer Auswirkungen, den Krankenhausaufenthalt, die Einsamkeit und vor allem die Angst. Ich habe furchtbare, luftraubende Angst. Niemand weiß wie die Zukunft aussieht und niemand kann mir Mut zusprechen, denn es ist nicht der Mut, der mir fehlt, es ist der sichere Glaube daran, dass am Ende alles gut wird, der mir hier langsam abhandenkommt.
Das Schlimmste ist, dass es nichts auf der Welt gibt, was mir gerade helfen könnte.
Völlig erschöpft und mit starken Rückenschmerzen legte ich mich schließlich ins Bett, ließ mir von der Schwester Schmerzmittel anschließen und träumte von meiner schönen Kindheit. Ich versuchte, mich so genau wie möglich an Dinge, Personen und Situationen zu erinnern und schaffte es auf diese Weise, die negativen Gedanken zumindest in dieser Nacht aus dem Weg zu räumen.