Noch wach
Als Jans Wecker heute Morgen klingelte war ich immer noch wach. Obwohl ich sechs Stunden vorher ins Bett gegangen war, konnte ich kein Auge zumachen. Nachdem ich den Sleep-Timer für das Hörbuch bereits zum zweiten Mal weitergestellt und Harry Potter (Dank Dobbys Hilfe) die zweite Aufgabe des trimagischen Turniers bewältigt hatte, gab ich den ersten Einschlafversuch auf. Ich sah mir Videos der Daily Show bei Facebook an (z.B. Jordan Klepper at the Capitol Insurrection), sah zu, wie Christoph Waltz mit Jimmy Fallon ein „German Words Quiz“ veranstaltet und guckte ein YouTube-Video, in dem Jude Law und Natalie Portman Google-Suchanfragen zu ihrer eigenen Person beantworten. Danach spielte ich auf meinem Handy ein bescheuertes Spiel Namens Ball Sort Puzzle, bei dem ich mich bereits im Level 455 befinde. Außerdem stieß ich noch auf eine Dokumentation über das Lipödem. Das ist RICHTIG scheiße und alle Betroffenen haben mein volles Mitgefühl. Meine Krankheit ist zwar echt übel, aber immerhin wuchern meine Fettzellen nicht ungebremst vor sich hin. Je nachdem, welche Medikamente ich bekomme, kann es aber sein, dass ich zeitweise aufquelle (z.B. durch Cortison). In seltenen Fällen kann auch meine Leber Schaden nehmen, sodass ich dann dick und gelb werde. Das muss man sich mal vorstellen… ich sähe dann aus wie ein Pfannkuchen! Dick, gelb und glatzköpfig. Immerhin sagt Jan, dass er mich dann immer noch lieben würde. Als wir im August 2019 geheiratet haben, versprachen wir uns, in guten wie in schlechten Tagen füreinander da zu sein. Dass die schlechten Tage aber schon ein Jahr später beginnen würden, hatten wir nicht geahnt.
2020
Allerdings muss ich hier auch mal erwähnen, dass 2020 für mich – von der Krankheit mal abgesehen – ein echt schönes Jahr war. Ich hatte viel Zeit für meine Freunde, meine Familie und für Dinge, die ich sonst nie geschafft habe. Zum Glück sind wir gleich zu Beginn des Jahres, noch bevor Corona ein großes Thema war, zu Irina und Alessio nach Paris geflogen und hatten dort ein paar echt schöne Tage. Unser Urlaub im April wurde gestrichen, weshalb wir die freie Zeit und das schöne Wetter vorzugsweise mit einem Gin Tonic auf unserem Balkon in der Sonne verbrachten. Durch den Lockdown hatten plötzlich alle mehr Zeit. Fitnessstudios waren geschlossen, Mannschaftssportarten verboten und sogar die Golfplätze waren dicht. In diesen Monaten trafen wir uns auch häufiger mit meinem Bruder und seiner Freundin, kochten und spielten zusammen. Ich finde es sehr schön, dass unsere Geschwisterbeziehung wieder inniger wurde. Ohne Corona hätte mein Bruder (der auch Jan heißt, weshalb ich ihn hier jetzt nicht beim Namen nenne, weil das verwirrend wäre) sein Haus in der Nähe von Lüneburg verkauft, wäre weggezogen und wir hätten uns wahrscheinlich nur noch ein paar Mal im Jahr gesehen. Gut, dass das nicht so gekommen ist. Von daher: Danke Corona!
Sommerschule
Die ersten zwei Wochen der Sommerferien verbrachte ich vor allem im Garten unseres Jugendrotkreuz-Hauses. Auf Antons Initiative hin veranstalteten wir dort eine vierwöchige Sommerschule für Grundschüler, die durch den Lockdown schulischen Nachholbedarf hatten oder betreut werden mussten, damit ihre Eltern arbeiten konnten. Neben Mathe und Deutsch standen auch Tanzen, Malen und Ausflüge auf dem Plan.
Camping
In der dritten Woche startete ich mit Jan zu einer Camper-Tour. Wir fuhren zunächst nach Bad Iburg, wo wir ein wunderbares Sommerfrühstück mit Jochen und Sylvia aßen, besuchten dann Linda in Bad Lippspringe und fuhren von dort aus weiter nach Heidelberg. Nachdem wir Falafel bei Mahmoud‘s in der Innenstadt gegessen hatten, fuhren wir am nächsten Morgen weiter nach Straßburg und Colmar. Es war superheiß und Colmar – bzw. der Weg vom Campingplatz in die Stadt – machte zunächst keinen schönen Eindruck. Als wir jedoch (endlich) ankamen, war es tatsächlich malerisch und sah teilweise so aus wie eine Disneyland-Attraktion. Auf unserer weiteren Reise besuchten wir Basel, den Luganersee See, Verona, Bardolino (mega schöner Campingplatz direkt am Gardasee) und Meran, wo wir auch unseren ersten Hochzeitstag (mit Tretbootfahren und Minigolf) verbrachten. Als wir in Südtirol mit der Seilbahn zum Wandern auf einen Berg gefahren sind, wurden wir mit etwa 30 Personen in eine Gondel gequetscht, die unter Coronabedingungen eigentlich für 6 Personen ausgelegt war. Es stand sogar auf der Tür, dass man mind. einen Meter Abstand halten soll, aber am Ende klemmte ich mit fremden Ellbogen in den Rippen in einer Ecke. Kein Wunder, dass sich Corona in Norditalien so gut ausbreiten konnte!
Schöne Momente
Selbst nach meiner Diagnose hatte 2020 noch viele schöne Momente. Zum Beispiel habe ich mit meinem Patenkind Drachen gebastelt, wir sind mit unseren Freunden und deren Kindern Laterne gelaufen, haben Spieleabende gemacht, Freunde getroffen, mit Anna und Kimbo eine große Höhle im ganzen Wohnzimmer gebaut, Actionpainting praktiziert und mit Steffi und Jan (schon wieder ein anderer Jan) auf ihrer Veranda leckeren Alkohol getrunken. Ich werde glaube ich gleich mal ein paar Fotos von 2020 in meinem Fotoalbum hochladen, bevor nur noch deprimierende Bilder der glatzköpfigen Nele aus dem Krankenhaus kommen
Weihnachten, Silvester & Essen
Die Weihnachtszeit konnte ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten in vollen Zügen genießen. Am Ende hatten wir ein sehr besinnliches Weihnachtsfest und eine echt schöne Silvesterparty zu viert mit Jans leckerem Curry, Turnhalle & Karaoke. Da ich nach der Transplantation erstmal sehr viele Dinge nicht mehr essen darf, achte ich derzeit viel bewusster darauf, alle leckeren Sachen vorher noch einmal zu essen. Jan ist zum Glück ein sehr guter Koch. Deshalb gab es bei uns in den letzten Monaten mehrfach ultraleckere Rouladen, Gulasch, Steak, Curry und noch viel mehr. Weil ich zunächst keine Nüsse mehr essen werden darf, hat meine Mutter in den letzten Monaten mehr Marzipan-Nusstorten gebacken, als in den letzten 5 Jahren. Auch meine Schwiegereltern haben uns mehrfach zum Essen eingeladen. Nächstes Wochenende gibt es noch mal Schaschlikspieße!
Neues
Zur aktuellen Lage: Wie bereits erwähnt, sollte meine Behandlung eigentlich direkt Anfang Januar starten. Daraus wurde nichts, da das UKE noch auf eine externe Terminbestätigung warteten muss. Die Auskunft erhielt ich letzte Woche und auch am letzten Montag, als ich wieder im UKE anrief. „Wir bekommen die Terminbestätigungen leider auch erst immer sehr kurzfristig und es kann sein, dass wir Sie bis mittags anrufen und Ihnen sagen, dass Sie am nächsten Tag hier sein müssen. Vielleicht müssen Sie noch ein paar Tage, vielleicht aber auch noch eine Woche warten.“ Dieses ständige Bereithalten hat mich völlig fertig gemacht. Ohne, dass ich es gemerkt habe, habe ich anscheinend meinen Kiefer so stark zusammengepresst, dass meine kompletten Zähne, mein rechtes Ohr, mein Nacken und mein Rücken unglaublich schmerzten. Am Dienstag bekam ich zum Glück gleich einen Termin bei meiner Zahnärztin. Sie schliff meine Kieferschiene (ich habe CMD) ab, sodass sie mir wieder passte und verordnete mir dringende Krankengymnastik. Mithilfe von Wärme, der Schiene und einer Zahncreme, die ich über eine Freundin bekommen hatte, habe ich meine Schmerzen einigermaßen in den Griff bekommen.
Telefonat mit der Transplantationskoordinatorin
Nachdem ich erst gegen 6 Uhr eingeschlafen bin, hat Jan heute Vormittag bei der Transplantationskoordinatorin angerufen. Sie konnte ihm zum Glück mehr Informationen geben, als die Frau, die ich am Montag am Hörer hatte. Sie sagte, der Spender sei weiter bereit, müsse aber vorher noch einige private Termine abklären. Das UKE sei startklar. Sie sagte, sie plane meine Aufnahme momentan für den 25.01., die Transplantation für den 03.02. Mit dieser Nachricht kann ich gut leben, da ich endlich einen Termin vor Augen habe und nicht mehr in ständiger Alarmbereitschaft leben muss. Übrigens ist die Anzahl der Blasten in meinem Knochenmark von 3,7% im September auf 7% im Dezember gestiegen. Ab 20% spricht von Leukämie. Der Anstieg der Blasten bestärkt mich darin, dass eine baldige Stammzelltransplantation die richtige Entscheidung ist. Hoffentlich kann ich heute Nacht besser schlafen.
Yeeeey, ein Datum! Immerhin nicht mehr von Tag zu Tag hangeln.
Ja! Letzte Nacht bin ich deshalb auch schon um 2 Uhr eingeschlafen 😉
Ach Schwesterherz ♥️♥️
Ich hatte übrigens schon ewig keine Nusstorte! Bei unserem Adventskaffee nicht, an Papas Geburtstag nicht, Weihnachten nicht…gab‘s wohl nur wenn ich nicht da war 🤷🏻♂️
Lieber Jan, in der Weihnachtszeit war das Tortenmarzipan überall vergriffen aber jetzt habe ich mir einen Vorrat angelegt. Du bekommst dein Torte!