Krank
Fieber, Hitzewallungen, Hustenanfälle, Übelkeit und dröhnende Kopfschmerzen. Als ich am Samstagmorgen (20.03.) aufwachte, hatte ich eigentlich gar nicht geschlafen. Von einem Tag auf den anderen war ich KRANK. Ich fühlte mich wie damals als Kind, wenn ich mir die Grippe oder irgendeinen anderen Infekt eingefangen hatte und einfach nur noch im Bett liegen konnte, während mich meine Eltern umsorgten und mich Bernhard und Bianca gucken ließen.
Ich blieb also im Bett und sah mir eine Netflix-Serie an. Jan brachte mir Essen und Paracetamol. Leider gingen meine Kopfschmerzen überhaupt nicht weg und machten mich in Kombination mit der Übelkeit und dem Fieber völlig fertig. Schließlich rief ich auf der Station im UKE an (am Wochenende ist die KMT-Ambulanz geschlossen und die Station zuständig). Man sagte mir, ich könne als Alternative zu Paracetamol auch Novalgin-Schmerztropfen nehmen sowie MCP-Tabletten gegen die Übelkeit. Außerdem sollte ich am nächsten Tag wieder anrufen, wenn bis dahin das Fieber nicht zurückgegangen sein sollte. Meine Mutter holte die Medikamente aus der Apotheke und brachte sie mir vorbei. Ich nahm alles und wurde daraufhin ziemlich müde.
Fieber
Am Sonntag war das Fieber immer noch da. Natürlich hatte ich Angst, dass die Temperatur ein Anzeichen für eine Graft-versus-Host-Reaktion sein könnte, weil einem das auch immer eingeschärft wird („Sobald Sie Fieber oder erhöhte Temperatur haben, melden Sie sich bitte sofort in der KMT-Ambulanz oder auf der Station. Das muss abgeklärt werden!“). Hinzukommt, dass ich seit Ewigkeiten kein Fieber mehr gehabt hatte. Es war schon ziemlich ungewöhnlich, dass ich komplett ohne Fieber durch die Chemo, die SZT und die anschließende Aplasie gekommen war. Naja, jetzt hatte ich halt Fieber und musste deshalb wieder auf der Station anrufen. Der Tag neigte sich schon dem Abend zu. Die nette Ärztin am anderen Ende der Leitung schien ziemlich besorgt und hatte glaube ich Angst, mir einen falschen Rat zu geben. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Jan mich sofort in die Notaufnahme des UKE gefahren, damit ich im Zweifel gleich hätte dableiben können. Allein bei dem Gedanken daran, wieder im Krankenhaus schlafen zu müssen, stieg eine leichte Panik in mir hoch und das bockige Kind in mir schrie: „Ich will das nicht! Mir geht es gut. Ich hab nur ein bisschen Fieber.“ Die Ärztin sagte, es müsse unbedingt geklärt werden, ob mein Entzündungswert (CRP) erhöht sei. Da ich Jan schon das Wochenende versaut hatte, wollte ich ihn nicht noch am Sonntagabend nach Hamburg fahren lassen, nur damit dort festgestellt werden kann, dass meine Temperatur erhöht, aber sonst alles ok ist. Ohne Zweifel hätte er mich sofort und ohne jedes Murren ins UKE gefahren und wenn nötig, die ganze Nacht dort auf mich gewartet. Auch meine Eltern wären sofort ins Auto gesprungen, um mich wo auch immer hinzufahren. Ich bin unendlich dankbar und erleichtert für den Halt, den mir meine Familie gibt. Egal was kommt, ich weiß zu 100%, dass ich mich auf sie verlassen kann und dass ich niemals allein bin.
Schließlich machte ich mit der Ärztin einen Deal; Ich würde in die ZNA des Krankenhauses Winsen fahren und mir dort Blut abnehmen lassen, um festzustellen, ob mein CRP erhöht ist. Sollte der Entzündungswert erhöht sein, könnte Jan mich dann immer noch ins UKE fahren. Außerdem würde ich mich am nächsten Tag in der KMT-Ambulanz melden, um einen zeitnahen Termin zu vereinbaren.
ZNA Winsen
Jan fuhr also mit mir zur winsener Notaufnahme. Ich kam mir irgendwie blöd vor, mit meinem lächerlichen Fieber und den anderen Wehwehchen ins Krankenhaus zu gehen. Die Schwester an der Anmeldung war jung, gestresst und freundlich. Sie sagte, dass ich wahrscheinlich sehr lange warten müsse, weil sie soooo viel zu tun hätten. „Schon allein weil Sie Fieber haben, müsste ich Sie eigentlich in einen Extraraum bringen, aber die sind bereits alle voll.“ Im Hintergrund rief ihr eine Kollegin zu, dass sie die nächsten Rettungswagen abweisen bzw. weiterschicken müsse, weil keine Kapazitäten mehr vorhanden und alle Ärzte und Schwestern im Einsatz seien. Oh man, nun fühlte ich mich noch schlechter. Obwohl sie so viel zu tun hatten, holte die Schwester gleich eine Ärztin, der ich auf dem Flur erklärte, dass ich eigentlich nur eine Blutabnahme bräuchte, um meinen CRP-Wert zu erfahren. „Das Wichtigste ist erstmal, dass wir Sie in Sicherheit bringen, damit Sie sich hier nicht noch irgendwas einfangen“, sagte die Ärztin und brachte mich in den zweiten – zurzeit ungenutzten – Warteraum. Sie wies die Empfangsschwester an, meine Vitalfunktionen zu testen und mir Blut abzunehmen, dann eilte sie zurück zu ihren Patienten. Als alles erledigt war, verließ ich das Krankenhaus wieder und setzte mich zu Jan ins Auto, wo wir auf seinem Handy Brooklyn Nine-Nine guckten, bis mich ein netter Arzt aus der Notaufnahme anrief, um mir mitzuteilen, dass meine Blutwerte alle in Ordnung seien und er mir den Arztbrief gleich nach draußen bringen würde. Was für ein Service! Ich war erleichtert darüber, dass ich offensichtlich keine Entzündung im Körper hatte und einfach wieder nach Hause in mein Bett durfte. Außerdem war ich froh, nicht in der Notaufnahme oder überhaupt im Krankenhaus zu arbeiten. Es ist wirklich krass, was die Mitarbeiter dort tagtäglich leisten müssen und umso bemerkenswerter finde ich den lieben Umgangston, der mir trotz allem Stress und Druck entgegengebracht wurde.
Coronatest
Am Montag rief ich in der KMT-Ambulanz an und bat darum, dass mich die Ärztin zurückrufen möge. Leider wartete ich vergeblich auf einen Rückruf und erhielt bei erneutem Anrufen lediglich ein Besetztzeichen, welches um 17Uhr von der automatischen Bandansage abgelöst wurde, die mir mitteilte, dass die Ambulanz nur bis 17Uhr erreichbar sei. Daher rief ich also wieder auf der Station an, wo diesmal der Arzt am Apparat war, der mir die Beutel mit den Stammzellen gebracht hatte. Er riet mir dazu, einen Coronatest machen zu lassen, um eine Infektion ausschließen zu können. Da ich unter Symptomen wie Husten, Fieber und Schnupfen litt, durfte ich keinen Test in der Apotheke machen, ins UKE fahren wollte ich für den Abstrich aber auch nicht (Zumal ich mich echt schlapp fühlte und einfach nur ins Bett wollte). Über die 116117 wurde ich von einem sehr unfähigen und unverschämten Typen an den sehr freundlichen diensthabenden Arzt weitergeleitet, der mir anbot, mich am nächsten Tag in seiner Praxis zu testen. „Sollte sich ihr Zustand bis dahin verschlechtern, rufen Sie bitte auf jeden Fall noch mal an, dann kommen wir vorbei. Mit einer Stammzelltransplantation ist nicht zu spaßen.“
Am Dienstag erreichte ich endlich meine Ärztin, die mir einen Termin für den nächsten Tag gab. Der Post-it mit meiner Rückrufbitte war am Montag anscheinend nicht bei ihr angekommen. Um 10Uhr ließ ich mich auf Corona testen, abends kam die Nachricht, dass ich negativ sei.
KMT-Ambulanz
Am Mittwoch (24.03.) fand ich mich schließlich zu dem außerplanmäßigen Termin in der KMT-Ambulanz im UKE ein. Ich saß in einem der stillen Wartezimmer und hörte auf dem Flur einen Arzt vorbeigehen: „Frau Dahlmann? Frau Dahlmann? Frau Dahlmann? Frau Dahlmann?“ Ihm entgegen kam eine Pflegerin: „Herr Koos? Herr Koos? Herr Koos?“ Wie im Irrenhaus. Irgendwie ist es schon witzig, dass die Patienten hier immer gesucht werden müssen, da es zwei Wartezimmer, drei Toiletten, einen Raum für die Blutabnahme sowie einige Behandlungszimmer gibt und das Personal anscheinend nie weiß, wer sich wo aufhält. Es kam auch schon vor, dass eine Ärztin dreimal (laut einen Namen rufend) an „meinem“ Wartezimmer vorbeiging und die ältere Dame neben mir erst beim dritten Mal mit „Ja, hier!“ antwortete. Ich vermute, dass sie schwerhörig war, aber vielleicht fand sie es auch einfach amüsant, wie die Ärztin durchgehend ihren Namen rief. Wenn ich mal alt bin, werde ich auch einfach so tun als wäre ich taub, damit andere Menschen mich nicht nerven.
Volkstanz
Als ich endlich mit der Blutabnahme an der Reihe war, hörte ich, wie sich die ältere Dame auf dem zweiten Behandlungsstuhl mit dem Arzt-Azubi unterhielt, der ihr Blut abnahm. Sie sprachen über Volkstanz und internationale Tanzfeste, an denen sie ihre Leben lang gerne teilgenommen hatte. International betrachtet kann Volkstanz glaube ich auch ganz cool sein, z.B. wenn man in Brasilien lebt und Mitglied einer Samba-Schule ist. In Deutschland hingegen hat Volkstanz einen ziemlichen Abtörn-Charakter. Während diese Tanzart bei Kindern und alten Menschen niedlich aussieht, muss der Rest dazwischen um sein Sexappeal bangen oder eben volkstanzintern heiraten (was sowieso in den meisten Fällen passiert, glaube ich). Wahrscheinlich kann man sich als passionierter Volkstänzer auch mit jemandem zusammentun, der mit ähnlicher Begeisterung Akkordeon oder Blockflöte spielt. Vielleicht hab ich aber auch einfach zu viele Vorurteile und bin zu sehr auf den äußeren Eindruck fixiert. Als Mädchen sind Wiebke, Aileen und ich ebenfalls regelmäßig zum Volkstanz gegangen und es hat mir eigentlich auch immer Spaß gemacht. Abstoßend fand ich es allerdings, wenn sich ein Großteil der Erwachsenen aus unserer Gruppe bei Ausfahrten (z.B. zum Landestrachtenfest) mit Alkohol volllaufen ließ und sich komplett daneben benahm. Während wir Kinder versuchten, auf unseren Isomatten Schlaf zu finden, kamen „die Erwachsenen“ mitten in der Nacht laut polternd zurück. Besonders unangenehm war mir ein älterer Mann, der in betrunkenem Zustand immer anfing, (unanständige) Lieder zu grölen, zu pöbeln und uns Mädchen unangemessen nahe kam. Eklig fand ich es auch, wenn die Mittänzer Mundgeruch hatten oder stark nach Schweiß rochen. Meine Volkstanzzeit endete schließlich, als man von mir verlangte, so eine hässliche Haube aus Samt mit Pailletten und Bändern zu tragen. Jeder wie er mag; Ich mochte nicht mehr. Das sagte ich auch meiner Mutter, die mich daraufhin vom Volkstanzkreis abmelden sollte (Schließlich war ich noch ein Kind). Anscheinend kam sie aber nie dazu, weshalb mir vor ein paar Jahren überraschend zu meiner 20-jährigen Mitgliedschaft gratuliert wurde!!! Ich kann meiner Mutter aber keinen Vorwurf machen, denn schließlich habe ich es seitdem selbst nicht geschissen bekommen, auszutreten.
Ich darf hier schreiben was ich will.
Komisch, dass ich jetzt so viel über Volkstanz geschrieben habe und es tut mir auch echt leid, wenn euch das gerade gelangweilt hat, aber es ist ja schließlich MEIN Tagebuch und da kann ich so viel langweiligen Kram schreiben wie ich will. Der Arzt-Azubi, der der Frau das Blut abnahm, sprang jedenfalls voll auf das Thema an und erzählte seinerseits, dass er während seiner Ausbildung einige Zeit in Lettland verbracht hatte und ihm aufgefallen sei, dass Volkstanz dort sowas wie der Nationalsport zu sein scheint. „In Riga gibt es auch öfters solche großen Tanzfeste!“ Als er das sagte, musste ich ein bisschen schmunzeln.
Lettland
Als ich 16 war, begleiteten Irina, mein Bruder und ich den VTK Winsen als „Delegation“ des Jugendrotkreuzes zur Europeade (sehr großes internationales Tanzfest) nach Riga. Wir fuhren im Bus einer Eishockeymannschaft 30 Stunden (!!!) durch Polen und Litauen bis nach Lettland, um dort eine Woche mit Tanzbegeisterten aus ganz Europa zu verbringen. Da man die Sitze zu Liegeflächen umklappen konnte, kam mir die Fahrt aber kürzer vor als die 14 Stunden sitzend zur Skifreizeit.
An der Unterkunft angekommen, unternahmen Irina und ich sofort einen kleinen Spaziergang um den Block. Die Gegend wirkte alles andere als vertrauenserweckend und sicher. Man hatte das ungute Gefühl, im nächsten Moment in eine Spritze zu treten oder überfallen zu werden. Daher wunderten wir uns auch nicht sonderlich, als sich kurze Zeit später unser lettischer Grupas Koordinators Viktor mit den Worten: „Hallo, ich bin Viktor, bitte verlassen Sie auf keinen Fall das Gelände. Die Gegend hier ist nicht sicher“, vorstellte.
An das Tanzen hab ich ehrlich gesagt kaum Erinnerungen. Ich weiß lediglich, dass wir in einem riesigen Stadion saßen und ich die kleinen, vielleicht 5‑jährigen Kinder bestaunte, die (wie dressiert) perfekte Kreise und Aufstellungen bildeten. Woran ich mich sehr gut erinnere, sind die lettischen Frauen: groß, schlank, lange Mähnen, High Heels, perfekte Haltung, immer tadellos gekleidet und gestylt. Irina und ich waren nah dran, Minderwertigkeitskomplexe zu entwickeln. Sah man hingegen mal einen Mann auf der Straße, trug dieser in 80% der Fälle einen Jogginganzug und sah auch ansonsten eher ungepflegt aus. „Auf EINEN Mann kommen in Lettland DREI Frauen“, erklärte uns Viktor, „deshalb strengen sich die Frauen so sehr an, um überhaupt einen Ehemann abzubekommen und die Männer lassen sich gehen.“
Außerdem erinnere ich mich daran, dass alles super günstig war. Ein Cheeseburger bei McDonald’s kostete nur 20 Cent! Unsere Unterkunft hat ebenfalls einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir wurden in einem Studentenwohnheim untergebracht, das in Deutschland schon vor 40 Jahren dichtgemacht worden wäre. Der Boden war abgetreten und daher uneben, durch die kaputten Fensterscheiben zog der Wind, alles schien irgendwie feucht zu sein. Der Kühlschrank in unserem Zimmer enthielt Schimmel und nachts wurde man von dem Rascheln der Mäuse/Ratten unterm Bett wachgehalten. Knipste man im Waschraum das Licht an, flohen die meisten Kakerlaken zurück in ihre Ritzen. Manche blieben aber auch einfach sitzen. Eigentlich eine perfekte Kulisse für einen Psycho-Thriller.
Eine besonders Angst einflößende Situation bot sich, als es eines Nachts an unsere Zimmertür hämmerte. Die Türen hatten (natürlich) keine funktionierenden Schlösser mehr. Irina wachte auf und rief: „Hallo? …Jan, bist du das?“ Es kam aber keine Antwort. Stattdessen wurde die Tür geöffnet und zwei unbekannte Typen betraten den Raum. Sie sagten in sehr gebrochenem Englisch sowas wie: „We just want to have fun. Party, come with us“. Für Irina muss diese Situation sehr beängstigend gewesen sein. Sie schrie den Typen ebenfalls auf Englisch entgegen, dass sie abhauen sollen. Da sie anscheinend nichts verstanden, versuchte Irina es auf Russisch. Die Typen freuten sich über das gelöste Kommunikationsproblem und wiederholten nun auf fließendem Russisch ihre Partyeinladung. Irina lehnte ab, mit dem Hinweis, dass wir bereits am Schlafen waren. Am nächsten Morgen saß Irina immer noch völlig durcheinander auf ihrem Bett und sah mich fassungslos an: „Wie konntest du bei dem Lärm einfach weiterschlafen?!“ Ich hatte (Dank meines tiefen Schlafs) keine Ahnung wovon sie überhaupt sprach und ließ mir die ganze Geschichte erzählen. Einerseits war ich echt froh, von dem ganzen Kram nichts mitbekommen zu haben, aber andererseits hätten die Typen ohne weiteres meine Freundin aus dem Bett neben mir entführen können, ohne, dass ich es bemerkt hätte. Naja, jedenfalls gut, dass Irina russisch sprechen und ich so gut schlafen kann.
An einem anderen Tag verliefen wir uns. Eigentlich hatte ich eine echt gute Abkürzung gefunden, die uns durch ein paar schmale Gassen und Hinterhöfe führte. Mein Tipp an alle, die mal nach Riga wollen: Nehmt keine Abkürzungen, das ist echt dumm. In unserem Fall begegneten wir glaube ich der Russen-Mafia. Als Irinas Vater uns vor Reiseantritt vor der „Russen-Mafia“ gewarnt hatte, dachten wir natürlich, er mache Witze. Aber dann waren da auf einmal diese enge Gasse, das schwarze Auto mit den getönten Scheiben und der Tür, die sich plötzlich öffnete und die Hand, die nach mir griff. „Nele!“, Irina packte mich am Arm und wir rannten einfach irgendwo lang, bis wir schließlich am Ende der Stadt ankamen. Es wurde bereits dunkel, vor uns lag eine Art verlassener Busbahnhof und wir hatten keine Ahnung, wo wir eigentlich waren. Für alle, die zu jung sind, um das zu verstehen: Es gab noch keine Smartphones! Da standen wir also in unseren kurzen Röcken und Flip Flops am Stadtrand von Riga, während die Nacht langsam aber sicher Gestalt annahm. In der Nähe gab es zum Glück eine Kneipe mit freundlichen Angestellten. Irina fragte nach einem Stadtplan, wir ließen uns darauf unseren derzeitigen Standort zeigen (drei große Brücken von unserem Ziel entfernt) und traten den Rückweg an. Etwa 40 Minuten später und mit einer Stunde Verspätung kamen wir im Stockdunkeln an unserem Ziel an.
An einem anderen Tag machten wir mit der ganzen Gruppe einen Ausflug ans Meer. Der Strand war (bis wir kamen) menschenleer, total fein und sauber. Das war echt schön!
Zurück zum Text
Ach man, ich komm einfach nicht zum Schluss. Jetzt hab ich hier diese Lettland-Story rausgeholt, die wahrscheinlich auch noch total viele Erinnerungsfehler enthält. Ich versuche jetzt mal beim Thema (MDS, Arztsachen, Knochenmarkpunktion und so) zu bleiben:
Ich lauschte also dem Gespräch der alten Frau und dem Arzt-Azubi, während meine Schwester mir abermals Unmengen an Blut abnahm. Dabei waren auch wieder zwei dieser Tabasco-Fläschchen.
Silvester 2004
Übrigens hat uns Viktor (der lettische Grupas Koordinator) am folgenden Silvester in Deutschland besucht. Wir haben bei Nadine im Keller gefeiert, die Hälfte von uns hatte eine Alkoholvergiftung, ich hab Mitternacht verschlafen, Toby hat mich ins Auto von Aileens Vater getragen, der mich netterweise abgeholt hat. Meine Mutter war auch dabei und ich erinnere mich noch an ihre Worte: „Nele, wehe du kotzt in das neue Auto von Herrn R.!“ Mein Vater war zeitgleich zu einer anderen Party unterwegs, um dort meinen betrunkenen Bruder abzuholen, dessen gesamtes Zimmer noch in der gleichen Nacht von Viktor vollgekotzt wurde. Hachja, noch einmal 16 sein…lieber nicht!
Schnappi, das Dreckskrokodil
Am nächsten Tag ging es mit dem Bus zur Skifreizeit ins Zillertal. 14 Stunden Busfahrt mit übelstem Kater reichen aus, um einen Menschen zu quälen SOLLTE MAN MEINEN. Mein Schicksal wollte mir aber anscheinend richtig eins reinwürgen und platzierte mich in der Reihe vor Jan W., der gerade das superwitzige Lied „Schnappi, das kleine Krokodil“ für sich entdeckt hatte, es in Dauerschleife (laut) hörte und sich dabei superwitzig fand. Lieber Jan E.W., wenn du das jetzt liest: Ich habe dich in diesen 14 Stunden aus tiefstem Herzen gehasst. Dass du mal 14 Jahre später unser Trauzeuge sein würdest, hätte ich im Leben nicht für möglich gehalten.
Boah, Nele! Zurück zum Thema:
Verabschiedung des Psychoonkologen
Als ich meine Mutter am Vortag gebeten habe, mich zu 11 Uhr zum UKE zu fahren, hat sie sich total gefreut. „Wie schön! Dann kann ich ja doch um 12Uhr mit den anderen Herrn B. in den Ruhestand verabschieden!“ Seit meiner Transplantation nimmt sie einmal im Monat an den digitalen Treffen der SZT-Angehörigengruppe teil. Ich habe das Gefühl, dass ihr der Austausch echt gut tut. Der nette Psychoonkologe, der mich während meines Aufenthalts im UKE öfters besucht hat, nahm bis jetzt auch an den Treffen teil, wurde nun aber in den Ruhestand verabschiedet. Ich bastelte also noch schnell eine Dankeskarte und meine Mutter freute sich, die anderen auch mal in echt zu sehen.
Als ich schließlich mit meiner Ärztin über die Blutergebnisse sprach, sagte sie, dass die Werte soweit gut aussähen, der CMV-Wert jedoch immer noch erhöht sei. Sie verdoppelte daher meine Dosis und verschrieb mir zusätzlich ein Antibiotikum. Außerdem meinte sie, wir könnten meinen Termin für die Knochenmarkpunktion auch gerne nach hinten verschieben, damit ich nicht in zwei Tagen schon wiederkommen muss. Das war zwar ein netter Vorschlag, aber da meine Punktion ja eh schon sehr weit nach hinten verschoben wurde (eigentlich wird sie an Tag 30 gemacht) wollte ich sie gerne endlich hinter mich bringen.
Knochenmarkpunktion
Am Freitag (26.03.) fuhr mich mein Vater zum UKE. Seltsamerweise scheint übrigens immer die Sonne, wenn ich nach Hamburg und wieder zurück fahre. Ich war komplett nüchtern und hatte an diesem Morgen auch keine Tabletten genommen. Da ich für die Punktion sediert werden sollte, musste mir vorher ein Zugang gelegt werden. Die Blutabnahme an sich war schon problematisch, da ich ja nichts getrunken hatte und meine Venen dementsprechend schwer auffindbar waren. Obwohl der Arzt-Azubi (der mal in Lettland war) es schließlich schaffte, mir Blut abzunehmen, gelang es ihm nicht, in derselben Vene den Zugang zu legen. Wahrscheinlich war eine Venenklappe im Weg. Daher versuchte er es an meinem anderen Arm, scheiterte jedoch auch hier und holte deshalb seine Kollegin zur Hilfe. Sie gab bereits nach ihrem ersten (sehr schmerzhaften) Versuch auf und rief schließlich die dienstälteste Schwester hinzu. Zum Glück gelang ihr der Zugang auf Anhieb, wobei auch sie sagte, dass man merke, dass meine Venen bereits sehr vernarbt seien. Ich war einfach froh, dass es geklappt hatte und ich nicht auf eine örtliche Betäubung ausweichen musste.
Die Knochenmarkpunktion an sich war wieder sehr entspannt. Ich lag auf der linken Seite, hatte eine Decke über den Beinen, Sauerstoff in der Nase und wurde von meiner Ärztin auf eine Traumreise geschickt. „Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie liegen an einem Südseestrand in der Sonne und ihr Mann kommt gerade mit zwei Cocktails von der Strandbar. Sie trinken und merken, wie Ihnen langsam schummrig wird“. Zack, war ich weg.
Als ich kurze Zeit später wieder erwachte, war alles vorbei und ich hatte kaum Schmerzen im Rücken. Während der nächsten Woche schmerzte die Einstichstelle lediglich wie ein gewöhnliches Hämatom.
Unsere Lettlandreise war einfach verrückt! Ich kann mich auch kaum an die Tanzaufführungen erinnern. Das was drumherum passiert ist, war einfach viel krasser😅🙃😜
„Er nervte mit Schnappi – du wirst nicht glauben, was 14 Jahre später passierte!” 😀
Ein sehr schönes Potpourri aus aktuellen (du weißt ja, wir wünschen dir die tollste Genesung, die je ein Mensch gehabt haben wird!) und ollen Kamellen, sehr schön geschrieben. Ich hab mich beim Lesen sehr amüsiert 🙂