Kno­chen­mark­punk­ti­on und so

Krank

Fie­ber, Hit­ze­wal­lun­gen, Hus­ten­an­fäl­le, Übel­keit und dröh­nen­de Kopf­schmer­zen. Als ich am Sams­tag­mor­gen (20.03.) auf­wach­te, hat­te ich ei­gent­lich gar nicht ge­schla­fen. Von ei­nem Tag auf den an­de­ren war ich KRANK. Ich fühl­te mich wie da­mals als Kind, wenn ich mir die Grip­pe oder ir­gend­ei­nen an­de­ren In­fekt ein­ge­fan­gen hat­te und ein­fach nur noch im Bett lie­gen konn­te, wäh­rend mich mei­ne El­tern um­sorg­ten und mich Bern­hard und Bi­an­ca gu­cken ließen.

Ich blieb also im Bett und sah mir eine Net­flix-Se­rie an. Jan brach­te mir Es­sen und Par­acet­amol. Lei­der gin­gen mei­ne Kopf­schmer­zen über­haupt nicht weg und mach­ten mich in Kom­bi­na­ti­on mit der Übel­keit und dem Fie­ber völ­lig fer­tig. Schließ­lich rief ich auf der Sta­ti­on im UKE an (am Wo­chen­en­de ist die KMT-Am­bu­lanz ge­schlos­sen und die Sta­ti­on zu­stän­dig). Man sag­te mir, ich kön­ne als Al­ter­na­ti­ve zu Par­acet­amol auch No­val­gin-Schmerz­trop­fen neh­men so­wie MCP-Ta­blet­ten ge­gen die Übel­keit. Au­ßer­dem soll­te ich am nächs­ten Tag wie­der an­ru­fen, wenn bis da­hin das Fie­ber nicht zu­rück­ge­gan­gen sein soll­te. Mei­ne Mut­ter hol­te die Me­di­ka­men­te aus der Apo­the­ke und brach­te sie mir vor­bei. Ich nahm al­les und wur­de dar­auf­hin ziem­lich müde.

Fie­ber

Am Sonn­tag war das Fie­ber im­mer noch da. Na­tür­lich hat­te ich Angst, dass die Tem­pe­ra­tur ein An­zei­chen für eine Graft-ver­sus-Host-Re­ak­ti­on sein könn­te, weil ei­nem das auch im­mer ein­ge­schärft wird („So­bald Sie Fie­ber oder er­höh­te Tem­pe­ra­tur ha­ben, mel­den Sie sich bit­te so­fort in der KMT-Am­bu­lanz oder auf der Sta­ti­on. Das muss ab­ge­klärt wer­den!“). Hin­zu­kommt, dass ich seit Ewig­kei­ten kein Fie­ber mehr ge­habt hat­te. Es war schon ziem­lich un­ge­wöhn­lich, dass ich kom­plett ohne Fie­ber durch die Che­mo, die SZT und die an­schlie­ßen­de Apla­sie ge­kom­men war. Naja, jetzt hat­te ich halt Fie­ber und muss­te des­halb wie­der auf der Sta­ti­on an­ru­fen. Der Tag neig­te sich schon dem Abend zu. Die net­te Ärz­tin am an­de­ren Ende der Lei­tung schien ziem­lich be­sorgt und hat­te glau­be ich Angst, mir ei­nen fal­schen Rat zu ge­ben. Wenn es nach ihr ge­gan­gen wäre, hät­te Jan mich so­fort in die Not­auf­nah­me des UKE ge­fah­ren, da­mit ich im Zwei­fel gleich hät­te da­blei­ben kön­nen. Al­lein bei dem Ge­dan­ken dar­an, wie­der im Kran­ken­haus schla­fen zu müs­sen, stieg eine leich­te Pa­nik in mir hoch und das bo­cki­ge Kind in mir schrie: „Ich will das nicht! Mir geht es gut. Ich hab nur ein biss­chen Fie­ber.“ Die Ärz­tin sag­te, es müs­se un­be­dingt ge­klärt wer­den, ob mein Ent­zün­dungs­wert (CRP) er­höht sei. Da ich Jan schon das Wo­chen­en­de ver­saut hat­te, woll­te ich ihn nicht noch am Sonn­tag­abend nach Ham­burg fah­ren las­sen, nur da­mit dort fest­ge­stellt wer­den kann, dass mei­ne Tem­pe­ra­tur er­höht, aber sonst al­les ok ist. Ohne Zwei­fel hät­te er mich so­fort und ohne je­des Mur­ren ins UKE ge­fah­ren und wenn nö­tig, die gan­ze Nacht dort auf mich ge­war­tet. Auch mei­ne El­tern wä­ren so­fort ins Auto ge­sprun­gen, um mich wo auch im­mer hin­zu­fah­ren. Ich bin un­end­lich dank­bar und er­leich­tert für den Halt, den mir mei­ne Fa­mi­lie gibt. Egal was kommt, ich weiß zu 100%, dass ich mich auf sie ver­las­sen kann und dass ich nie­mals al­lein bin.

Schließ­lich mach­te ich mit der Ärz­tin ei­nen Deal; Ich wür­de in die ZNA des Kran­ken­hau­ses Win­sen fah­ren und mir dort Blut ab­neh­men las­sen, um fest­zu­stel­len, ob mein CRP er­höht ist. Soll­te der Ent­zün­dungs­wert er­höht sein, könn­te Jan mich dann im­mer noch ins UKE fah­ren. Au­ßer­dem wür­de ich mich am nächs­ten Tag in der KMT-Am­bu­lanz mel­den, um ei­nen zeit­na­hen Ter­min zu vereinbaren.

ZNA Win­sen

Jan fuhr also mit mir zur win­se­ner Not­auf­nah­me. Ich kam mir ir­gend­wie blöd vor, mit mei­nem lä­cher­li­chen Fie­ber und den an­de­ren Weh­weh­chen ins Kran­ken­haus zu ge­hen. Die Schwes­ter an der An­mel­dung war jung, ge­stresst und freund­lich. Sie sag­te, dass ich wahr­schein­lich sehr lan­ge war­ten müs­se, weil sie soooo viel zu tun hät­ten. „Schon al­lein weil Sie Fie­ber ha­ben, müss­te ich Sie ei­gent­lich in ei­nen Ex­tra­raum brin­gen, aber die sind be­reits alle voll.“ Im Hin­ter­grund rief ihr eine Kol­le­gin zu, dass sie die nächs­ten Ret­tungs­wa­gen ab­wei­sen bzw. wei­ter­schi­cken müs­se, weil kei­ne Ka­pa­zi­tä­ten mehr vor­han­den und alle Ärz­te und Schwes­tern im Ein­satz sei­en. Oh man, nun fühl­te ich mich noch schlech­ter. Ob­wohl sie so viel zu tun hat­ten, hol­te die Schwes­ter gleich eine Ärz­tin, der ich auf dem Flur er­klär­te, dass ich ei­gent­lich nur eine Blut­ab­nah­me bräuch­te, um mei­nen CRP-Wert zu er­fah­ren.  „Das Wich­tigs­te ist erst­mal, dass wir Sie in Si­cher­heit brin­gen, da­mit Sie sich hier nicht noch ir­gend­was ein­fan­gen“, sag­te die Ärz­tin und brach­te mich in den zwei­ten – zur­zeit un­ge­nutz­ten – War­te­raum. Sie wies die Emp­fangs­schwes­ter an, mei­ne Vi­tal­funk­tio­nen zu tes­ten und mir Blut ab­zu­neh­men, dann eil­te sie zu­rück zu ih­ren Pa­ti­en­ten. Als al­les er­le­digt war, ver­ließ ich das Kran­ken­haus wie­der und setz­te mich zu Jan ins Auto, wo wir auf sei­nem Han­dy Brook­lyn Nine-Nine guck­ten, bis mich ein net­ter Arzt aus der Not­auf­nah­me an­rief, um mir mit­zu­tei­len, dass mei­ne Blut­wer­te alle in Ord­nung sei­en und er mir den Arzt­brief gleich nach drau­ßen brin­gen wür­de. Was für ein Ser­vice! Ich war er­leich­tert dar­über, dass ich of­fen­sicht­lich kei­ne Ent­zün­dung im Kör­per hat­te und ein­fach wie­der nach Hau­se in mein Bett durf­te. Au­ßer­dem war ich froh, nicht in der Not­auf­nah­me oder über­haupt im Kran­ken­haus zu ar­bei­ten. Es ist wirk­lich krass, was die Mit­ar­bei­ter dort tag­täg­lich leis­ten müs­sen und umso be­mer­kens­wer­ter fin­de ich den lie­ben Um­gangs­ton, der mir trotz al­lem Stress und Druck ent­ge­gen­ge­bracht wurde.

Co­ro­na­test

Am Mon­tag rief ich in der KMT-Am­bu­lanz an und bat dar­um, dass mich die Ärz­tin zu­rück­ru­fen möge. Lei­der war­te­te ich ver­geb­lich auf ei­nen Rück­ruf und er­hielt bei er­neu­tem An­ru­fen le­dig­lich ein Be­setzt­zei­chen, wel­ches um 17Uhr von der au­to­ma­ti­schen Band­an­sa­ge ab­ge­löst wur­de, die mir mit­teil­te, dass die Am­bu­lanz nur bis 17Uhr er­reich­bar sei. Da­her rief ich also wie­der auf der Sta­ti­on an, wo dies­mal der Arzt am Ap­pa­rat war, der mir die Beu­tel mit den Stamm­zel­len ge­bracht hat­te. Er riet mir dazu, ei­nen Co­ro­na­test ma­chen zu las­sen, um eine In­fek­ti­on aus­schlie­ßen zu kön­nen. Da ich un­ter Sym­pto­men wie Hus­ten, Fie­ber und Schnup­fen litt, durf­te ich kei­nen Test in der Apo­the­ke ma­chen, ins UKE fah­ren woll­te ich für den Ab­strich aber auch nicht (Zu­mal ich mich echt schlapp fühl­te und ein­fach nur ins Bett woll­te). Über die 116117 wur­de ich von ei­nem sehr un­fä­hi­gen und un­ver­schäm­ten Ty­pen an den sehr freund­li­chen dienst­ha­ben­den Arzt wei­ter­ge­lei­tet, der mir an­bot, mich am nächs­ten Tag in sei­ner Pra­xis zu tes­ten. „Soll­te sich ihr Zu­stand bis da­hin ver­schlech­tern, ru­fen Sie bit­te auf je­den Fall noch mal an, dann kom­men wir vor­bei. Mit ei­ner Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­on ist nicht zu spaßen.“

Am Diens­tag er­reich­te ich end­lich mei­ne Ärz­tin, die mir ei­nen Ter­min für den nächs­ten Tag gab. Der Post-it mit mei­ner Rück­ruf­bit­te war am Mon­tag an­schei­nend nicht bei ihr an­ge­kom­men. Um 10Uhr ließ ich mich auf Co­ro­na tes­ten, abends kam die Nach­richt, dass ich ne­ga­tiv sei.

KMT-Am­bu­lanz

Am Mitt­woch (24.03.) fand ich mich schließ­lich zu dem au­ßer­plan­mä­ßi­gen Ter­min in der KMT-Am­bu­lanz im UKE ein. Ich saß in ei­nem der stil­len War­te­zim­mer und hör­te auf dem Flur ei­nen Arzt vor­bei­ge­hen: „Frau Dah­l­mann? Frau Dah­l­mann? Frau Dah­l­mann? Frau Dah­l­mann?“ Ihm ent­ge­gen kam eine Pfle­ge­rin: „Herr Koos? Herr Koos? Herr Koos?“ Wie im Ir­ren­haus. Ir­gend­wie ist es schon wit­zig, dass die Pa­ti­en­ten hier im­mer ge­sucht wer­den müs­sen, da es zwei War­te­zim­mer, drei Toi­let­ten, ei­nen Raum für die Blut­ab­nah­me so­wie ei­ni­ge Be­hand­lungs­zim­mer gibt und das Per­so­nal an­schei­nend nie weiß, wer sich wo auf­hält. Es kam auch schon vor, dass eine Ärz­tin drei­mal (laut ei­nen Na­men ru­fend) an „mei­nem“ War­te­zim­mer vor­bei­ging und die äl­te­re Dame ne­ben mir erst beim drit­ten Mal mit „Ja, hier!“ ant­wor­te­te. Ich ver­mu­te, dass sie schwer­hö­rig war, aber viel­leicht fand sie es auch ein­fach amü­sant, wie die Ärz­tin durch­ge­hend ih­ren Na­men rief. Wenn ich mal alt bin, wer­de ich auch ein­fach so tun als wäre ich taub, da­mit an­de­re Men­schen mich nicht nerven.

Volks­tanz

Als ich end­lich mit der Blut­ab­nah­me an der Rei­he war, hör­te ich, wie sich die äl­te­re Dame auf dem zwei­ten Be­hand­lungs­stuhl mit dem Arzt-Azu­bi un­ter­hielt, der ihr Blut ab­nahm. Sie spra­chen über Volks­tanz und in­ter­na­tio­na­le Tanz­fes­te, an de­nen sie ihre Le­ben lang ger­ne teil­ge­nom­men hat­te. In­ter­na­tio­nal be­trach­tet kann Volks­tanz glau­be ich auch ganz cool sein, z.B. wenn man in Bra­si­li­en lebt und Mit­glied ei­ner Sam­ba-Schu­le ist. In Deutsch­land hin­ge­gen hat Volks­tanz ei­nen ziem­li­chen Ab­törn-Cha­rak­ter. Wäh­rend die­se Tanz­art bei Kin­dern und al­ten Men­schen nied­lich aus­sieht, muss der Rest da­zwi­schen um sein Sex­ap­peal ban­gen oder eben volks­tanz­in­tern hei­ra­ten (was so­wie­so in den meis­ten Fäl­len pas­siert, glau­be ich). Wahr­schein­lich kann man sich als pas­sio­nier­ter Volks­tän­zer auch mit je­man­dem zu­sam­men­tun, der mit ähn­li­cher Be­geis­te­rung Ak­kor­de­on oder Block­flö­te spielt. Viel­leicht hab ich aber auch ein­fach zu vie­le Vor­ur­tei­le und bin zu sehr auf den äu­ße­ren Ein­druck fi­xiert. Als Mäd­chen sind Wieb­ke, Ai­leen und ich eben­falls re­gel­mä­ßig zum Volks­tanz ge­gan­gen und es hat mir ei­gent­lich auch im­mer Spaß ge­macht. Ab­sto­ßend fand ich es al­ler­dings, wenn sich ein Groß­teil der Er­wach­se­nen aus un­se­rer Grup­pe bei Aus­fahr­ten (z.B. zum Lan­des­trach­ten­fest) mit Al­ko­hol voll­lau­fen ließ und sich kom­plett da­ne­ben be­nahm. Wäh­rend wir Kin­der ver­such­ten, auf un­se­ren Iso­mat­ten Schlaf zu fin­den, ka­men „die Er­wach­se­nen“ mit­ten in der Nacht laut pol­ternd zu­rück. Be­son­ders un­an­ge­nehm war mir ein äl­te­rer Mann, der in be­trun­ke­nem Zu­stand im­mer an­fing, (un­an­stän­di­ge) Lie­der zu grö­len, zu pö­beln und uns Mäd­chen un­an­ge­mes­sen nahe kam. Ek­lig fand ich es auch, wenn die Mittän­zer Mund­ge­ruch hat­ten oder stark nach Schweiß ro­chen. Mei­ne Volks­tanz­zeit en­de­te schließ­lich, als man von mir ver­lang­te, so eine häss­li­che Hau­be aus Samt mit Pail­let­ten und Bän­dern zu tra­gen. Je­der wie er mag; Ich moch­te nicht mehr. Das sag­te ich auch mei­ner Mut­ter, die mich dar­auf­hin vom Volks­tanz­kreis ab­mel­den soll­te (Schließ­lich war ich noch ein Kind). An­schei­nend kam sie aber nie dazu, wes­halb mir vor ein paar Jah­ren über­ra­schend zu mei­ner 20-jäh­ri­gen Mit­glied­schaft gra­tu­liert wur­de!!! Ich kann mei­ner Mut­ter aber kei­nen Vor­wurf ma­chen, denn schließ­lich habe ich es seit­dem selbst nicht ge­schis­sen be­kom­men, auszutreten. 

Ich darf hier schrei­ben was ich will.

Ko­misch, dass ich jetzt so viel über Volks­tanz ge­schrie­ben habe und es tut mir auch echt leid, wenn euch das ge­ra­de ge­lang­weilt hat, aber es ist ja schließ­lich MEIN Ta­ge­buch und da kann ich so viel lang­wei­li­gen Kram schrei­ben wie ich will. Der Arzt-Azu­bi, der der Frau das Blut ab­nahm, sprang je­den­falls voll auf das The­ma an und er­zähl­te sei­ner­seits, dass er wäh­rend sei­ner Aus­bil­dung ei­ni­ge Zeit in Lett­land ver­bracht hat­te und ihm auf­ge­fal­len sei, dass Volks­tanz dort so­was wie der Na­tio­nal­sport zu sein scheint. „In Riga gibt es auch öf­ters sol­che gro­ßen Tanz­fes­te!“ Als er das sag­te, muss­te ich ein biss­chen schmunzeln.

Lett­land

Als ich 16 war, be­glei­te­ten Iri­na, mein Bru­der und ich den VTK Win­sen als „De­le­ga­ti­on“ des Ju­gend­rot­kreu­zes zur Eu­ro­pea­de (sehr gro­ßes in­ter­na­tio­na­les Tanz­fest) nach Riga. Wir fuh­ren im Bus ei­ner Eis­ho­ckey­mann­schaft 30 Stun­den (!!!) durch Po­len und Li­tau­en bis nach Lett­land, um dort eine Wo­che mit Tanz­be­geis­ter­ten aus ganz Eu­ro­pa zu ver­brin­gen. Da man die Sit­ze zu Lie­ge­flä­chen um­klap­pen konn­te, kam mir die Fahrt aber kür­zer vor als die 14 Stun­den sit­zend zur Skifreizeit.

An der Un­ter­kunft an­ge­kom­men, un­ter­nah­men Iri­na und ich so­fort ei­nen klei­nen Spa­zier­gang um den Block. Die Ge­gend wirk­te al­les an­de­re als ver­trau­ens­er­we­ckend und si­cher. Man hat­te das un­gu­te Ge­fühl, im nächs­ten Mo­ment in eine Sprit­ze zu tre­ten oder über­fal­len zu wer­den. Da­her wun­der­ten wir uns auch nicht son­der­lich, als sich kur­ze Zeit spä­ter un­ser let­ti­scher Grup­as Ko­or­di­na­tors Vik­tor mit den Wor­ten: „Hal­lo, ich bin Vik­tor, bit­te ver­las­sen Sie auf kei­nen Fall das Ge­län­de. Die Ge­gend hier ist nicht si­cher“, vor­stell­te.

An das Tan­zen hab ich ehr­lich ge­sagt kaum Er­in­ne­run­gen. Ich weiß le­dig­lich, dass wir in ei­nem rie­si­gen Sta­di­on sa­ßen und ich die klei­nen, viel­leicht 5‑jährigen Kin­der be­staun­te, die (wie dres­siert) per­fek­te Krei­se und Auf­stel­lun­gen bil­de­ten. Wor­an ich mich sehr gut er­in­ne­re, sind die let­ti­schen Frau­en: groß, schlank, lan­ge Mäh­nen, High Heels, per­fek­te Hal­tung, im­mer ta­del­los ge­klei­det und ge­stylt. Iri­na und ich wa­ren nah dran, Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xe zu ent­wi­ckeln. Sah man hin­ge­gen mal ei­nen Mann auf der Stra­ße, trug die­ser in 80% der Fäl­le ei­nen Jog­ging­an­zug und sah auch an­sons­ten eher un­ge­pflegt aus. „Auf EI­NEN Mann kom­men in Lett­land DREI Frau­en“, er­klär­te uns Vik­tor, „des­halb stren­gen sich die Frau­en so sehr an, um über­haupt ei­nen Ehe­mann ab­zu­be­kom­men und die Män­ner las­sen sich gehen.“

Au­ßer­dem er­in­ne­re ich mich dar­an, dass al­les su­per güns­tig war. Ein Cheese­bur­ger bei McDonald’s kos­te­te nur 20 Cent! Un­se­re Un­ter­kunft hat eben­falls ei­nen sehr blei­ben­den Ein­druck hin­ter­las­sen. Wir wur­den in ei­nem Stu­den­ten­wohn­heim un­ter­ge­bracht, das in Deutsch­land schon vor 40 Jah­ren dicht­ge­macht wor­den wäre. Der Bo­den war ab­ge­tre­ten und da­her un­eben, durch die ka­put­ten Fens­ter­schei­ben zog der Wind, al­les schien ir­gend­wie feucht zu sein. Der Kühl­schrank in un­se­rem Zim­mer ent­hielt Schim­mel und nachts wur­de man von dem Ra­scheln der Mäuse/Ratten un­term Bett wach­ge­hal­ten. Knips­te man im Wasch­raum das Licht an, flo­hen die meis­ten Ka­ker­la­ken zu­rück in ihre Rit­zen. Man­che blie­ben aber auch ein­fach sit­zen. Ei­gent­lich eine per­fek­te Ku­lis­se für ei­nen Psycho-Thriller.

Eine be­son­ders Angst ein­flö­ßen­de Si­tua­ti­on bot sich, als es ei­nes Nachts an un­se­re Zim­mer­tür häm­mer­te. Die Tü­ren hat­ten (na­tür­lich) kei­ne funk­tio­nie­ren­den Schlös­ser mehr. Iri­na wach­te auf und rief: „Hal­lo? …Jan, bist du das?“ Es kam aber kei­ne Ant­wort. Statt­des­sen wur­de die Tür ge­öff­net und zwei un­be­kann­te Ty­pen be­tra­ten den Raum. Sie sag­ten in sehr ge­bro­che­nem Eng­lisch so­was wie: „We just want to have fun. Par­ty, come with us“. Für Iri­na muss die­se Si­tua­ti­on sehr be­ängs­ti­gend ge­we­sen sein. Sie schrie den Ty­pen eben­falls auf Eng­lisch ent­ge­gen, dass sie ab­hau­en sol­len. Da sie an­schei­nend nichts ver­stan­den, ver­such­te Iri­na es auf Rus­sisch. Die Ty­pen freu­ten sich über das ge­lös­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­blem und wie­der­hol­ten nun auf flie­ßen­dem Rus­sisch ihre Par­ty­ein­la­dung. Iri­na lehn­te ab, mit dem Hin­weis, dass wir be­reits am Schla­fen wa­ren. Am nächs­ten Mor­gen saß Iri­na im­mer noch völ­lig durch­ein­an­der auf ih­rem Bett und sah mich fas­sungs­los an: „Wie konn­test du bei dem Lärm ein­fach wei­ter­schla­fen?!“ Ich hat­te (Dank mei­nes tie­fen Schlafs) kei­ne Ah­nung wo­von sie über­haupt sprach und ließ mir die gan­ze Ge­schich­te er­zäh­len. Ei­ner­seits war ich echt froh, von dem gan­zen Kram nichts mit­be­kom­men zu ha­ben, aber an­de­rer­seits hät­ten die Ty­pen ohne wei­te­res mei­ne Freun­din aus dem Bett ne­ben mir ent­füh­ren kön­nen, ohne, dass ich es be­merkt hät­te. Naja, je­den­falls gut, dass Iri­na rus­sisch spre­chen und ich so gut schla­fen kann.

An ei­nem an­de­ren Tag ver­lie­fen wir uns. Ei­gent­lich hat­te ich eine echt gute Ab­kür­zung ge­fun­den, die uns durch ein paar schma­le Gas­sen und Hin­ter­hö­fe führ­te. Mein Tipp an alle, die mal nach Riga wol­len: Nehmt kei­ne Ab­kür­zun­gen, das ist echt dumm. In un­se­rem Fall be­geg­ne­ten wir glau­be ich der Rus­sen-Ma­fia. Als Iri­nas Va­ter uns vor Rei­se­an­tritt vor der „Rus­sen-Ma­fia“ ge­warnt hat­te, dach­ten wir na­tür­lich, er ma­che Wit­ze. Aber dann wa­ren da auf ein­mal die­se enge Gas­se, das schwar­ze Auto mit den ge­tön­ten Schei­ben und der Tür, die sich plötz­lich öff­ne­te und die Hand, die nach mir griff. „Nele!“, Iri­na pack­te mich am Arm und wir rann­ten ein­fach ir­gend­wo lang, bis wir schließ­lich am Ende der Stadt an­ka­men. Es wur­de be­reits dun­kel, vor uns lag eine Art ver­las­se­ner Bus­bahn­hof und wir hat­ten kei­ne Ah­nung, wo wir ei­gent­lich wa­ren. Für alle, die zu jung sind, um das zu ver­ste­hen: Es gab noch kei­ne Smart­phones! Da stan­den wir also in un­se­ren kur­zen Rö­cken und Flip Flops am Stadt­rand von Riga, wäh­rend die Nacht lang­sam aber si­cher Ge­stalt an­nahm. In der Nähe gab es zum Glück eine Knei­pe mit freund­li­chen An­ge­stell­ten. Iri­na frag­te nach ei­nem Stadt­plan, wir lie­ßen uns dar­auf un­se­ren der­zei­ti­gen Stand­ort zei­gen (drei gro­ße Brü­cken von un­se­rem Ziel ent­fernt) und tra­ten den Rück­weg an. Etwa 40 Mi­nu­ten spä­ter und mit ei­ner Stun­de Ver­spä­tung ka­men wir im Stock­dun­keln an un­se­rem Ziel an. 

An ei­nem an­de­ren Tag mach­ten wir mit der gan­zen Grup­pe ei­nen Aus­flug ans Meer. Der Strand war (bis wir ka­men) men­schen­leer, to­tal fein und sau­ber. Das war echt schön!

Zu­rück zum Text

Ach man, ich komm ein­fach nicht zum Schluss. Jetzt hab ich hier die­se Lett­land-Sto­ry raus­ge­holt, die wahr­schein­lich auch noch to­tal vie­le Er­in­ne­rungs­feh­ler ent­hält. Ich ver­su­che jetzt mal beim The­ma (MDS, Arzt­sa­chen, Kno­chen­mark­punk­ti­on und so) zu bleiben:

Ich lausch­te also dem Ge­spräch der al­ten Frau und dem Arzt-Azu­bi, wäh­rend mei­ne Schwes­ter mir aber­mals Un­men­gen an Blut ab­nahm. Da­bei wa­ren auch wie­der zwei die­ser Tabasco-Fläschchen.

Sil­ves­ter 2004

Üb­ri­gens hat uns Vik­tor (der let­ti­sche Grup­as Ko­or­di­na­tor) am fol­gen­den Sil­ves­ter in Deutsch­land be­sucht. Wir ha­ben bei Na­di­ne im Kel­ler ge­fei­ert, die Hälf­te von uns hat­te eine Al­ko­hol­ver­gif­tung, ich hab Mit­ter­nacht ver­schla­fen, Toby hat mich ins Auto von Ai­leens Va­ter ge­tra­gen, der mich net­ter­wei­se ab­ge­holt hat. Mei­ne Mut­ter war auch da­bei und ich er­in­ne­re mich noch an ihre Wor­te: „Nele, wehe du kotzt in das neue Auto von Herrn R.!“ Mein Va­ter war zeit­gleich zu ei­ner an­de­ren Par­ty un­ter­wegs, um dort mei­nen be­trun­ke­nen Bru­der ab­zu­ho­len, des­sen ge­sam­tes Zim­mer noch in der glei­chen Nacht von Vik­tor voll­ge­kotzt wur­de. Hach­ja, noch ein­mal 16 sein…lieber nicht! 

Schnap­pi, das Dreckskrokodil

Am nächs­ten Tag ging es mit dem Bus zur Ski­frei­zeit ins Zil­ler­tal. 14 Stun­den Bus­fahrt mit übels­tem Ka­ter rei­chen aus, um ei­nen Men­schen zu quä­len SOLL­TE MAN MEI­NEN. Mein Schick­sal woll­te mir aber an­schei­nend rich­tig eins rein­wür­gen und plat­zier­te mich in der Rei­he vor Jan W., der ge­ra­de das su­per­wit­zi­ge Lied „Schnap­pi, das klei­ne Kro­ko­dil“ für sich ent­deckt hat­te, es in Dau­er­schlei­fe (laut) hör­te und sich da­bei su­per­wit­zig fand. Lie­ber Jan E.W., wenn du das jetzt liest: Ich habe dich in die­sen 14 Stun­den aus tiefs­tem Her­zen ge­hasst. Dass du mal 14 Jah­re spä­ter un­ser Trau­zeu­ge sein wür­dest, hät­te ich im Le­ben nicht für mög­lich gehalten.

Boah, Nele! Zu­rück zum Thema:

Ver­ab­schie­dung des Psychoonkologen

Als ich mei­ne Mut­ter am Vor­tag ge­be­ten habe, mich zu 11 Uhr zum UKE zu fah­ren, hat sie sich to­tal ge­freut. „Wie schön! Dann kann ich ja doch um 12Uhr mit den an­de­ren Herrn B. in den Ru­he­stand ver­ab­schie­den!“ Seit mei­ner Trans­plan­ta­ti­on nimmt sie ein­mal im Mo­nat an den di­gi­ta­len Tref­fen der SZT-An­ge­hö­ri­gen­grup­pe teil. Ich habe das Ge­fühl, dass ihr der Aus­tausch echt gut tut. Der net­te Psy­cho­on­ko­lo­ge, der mich wäh­rend mei­nes Auf­ent­halts im UKE öf­ters be­sucht hat, nahm bis jetzt auch an den Tref­fen teil, wur­de nun aber in den Ru­he­stand ver­ab­schie­det. Ich bas­tel­te also noch schnell eine Dan­kes­kar­te und mei­ne Mut­ter freu­te sich, die an­de­ren auch mal in echt zu sehen. 

Als ich schließ­lich mit mei­ner Ärz­tin über die Blut­ergeb­nis­se sprach, sag­te sie, dass die Wer­te so­weit gut aus­sä­hen, der CMV-Wert je­doch im­mer noch er­höht sei. Sie ver­dop­pel­te da­her mei­ne Do­sis und ver­schrieb mir zu­sätz­lich ein An­ti­bio­ti­kum. Au­ßer­dem mein­te sie, wir könn­ten mei­nen Ter­min für die Kno­chen­mark­punk­ti­on auch ger­ne nach hin­ten ver­schie­ben, da­mit ich nicht in zwei  Ta­gen schon wie­der­kom­men muss. Das war zwar ein net­ter Vor­schlag, aber da mei­ne Punk­ti­on ja eh schon sehr weit nach hin­ten ver­scho­ben wur­de (ei­gent­lich wird sie an Tag 30 ge­macht) woll­te ich sie ger­ne end­lich hin­ter mich bringen.

Kno­chen­mark­punk­ti­on

Am Frei­tag (26.03.) fuhr mich mein Va­ter zum UKE. Selt­sa­mer­wei­se scheint üb­ri­gens im­mer die Son­ne, wenn ich nach Ham­burg und wie­der zu­rück fah­re. Ich war kom­plett nüch­tern und hat­te an die­sem Mor­gen auch kei­ne Ta­blet­ten ge­nom­men. Da ich für die Punk­ti­on se­diert wer­den soll­te, muss­te mir vor­her ein Zu­gang ge­legt wer­den. Die Blut­ab­nah­me an sich war schon pro­ble­ma­tisch, da ich ja nichts ge­trun­ken hat­te und mei­ne Ve­nen dem­entspre­chend schwer auf­find­bar wa­ren. Ob­wohl der Arzt-Azu­bi (der mal in Lett­land war) es schließ­lich schaff­te, mir Blut ab­zu­neh­men, ge­lang es ihm nicht, in der­sel­ben Vene den Zu­gang zu le­gen. Wahr­schein­lich war eine Ve­nen­klap­pe im Weg. Da­her ver­such­te er es an mei­nem an­de­ren Arm, schei­ter­te je­doch auch hier und hol­te des­halb sei­ne Kol­le­gin zur Hil­fe. Sie gab be­reits nach ih­rem ers­ten (sehr schmerz­haf­ten) Ver­such auf und rief schließ­lich die dienst­äl­tes­te Schwes­ter hin­zu. Zum Glück ge­lang ihr der Zu­gang auf An­hieb, wo­bei auch sie sag­te, dass man mer­ke, dass mei­ne Ve­nen be­reits sehr ver­narbt sei­en. Ich war ein­fach froh, dass es ge­klappt hat­te und ich nicht auf eine ört­li­che Be­täu­bung aus­wei­chen musste.

Die Kno­chen­mark­punk­ti­on an sich war wie­der sehr ent­spannt. Ich lag auf der lin­ken Sei­te, hat­te eine De­cke über den Bei­nen, Sau­er­stoff in der Nase und wur­de von mei­ner Ärz­tin auf eine Traum­rei­se ge­schickt. „Stel­len Sie sich Fol­gen­des vor: Sie lie­gen an ei­nem Süd­see­strand in der Son­ne und ihr Mann kommt ge­ra­de mit zwei Cock­tails von der Strand­bar. Sie trin­ken und mer­ken, wie Ih­nen lang­sam schumm­rig wird“. Zack, war ich weg.

Als ich kur­ze Zeit spä­ter wie­der er­wach­te, war al­les vor­bei und ich hat­te kaum Schmer­zen im Rü­cken. Wäh­rend der nächs­ten Wo­che schmerz­te die Ein­stich­stel­le le­dig­lich wie ein ge­wöhn­li­ches Hämatom.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Irina

    Un­se­re Lett­land­rei­se war ein­fach ver­rückt! Ich kann mich auch kaum an die Tanz­auf­füh­run­gen er­in­nern. Das was drum­her­um pas­siert ist, war ein­fach viel krasser😅🙃😜

  2. Jan W.

    „Er nerv­te mit Schnap­pi – du wirst nicht glau­ben, was 14 Jah­re spä­ter passierte!” 😀

    Ein sehr schö­nes Pot­pour­ri aus ak­tu­el­len (du weißt ja, wir wün­schen dir die tolls­te Ge­ne­sung, die je ein Mensch ge­habt ha­ben wird!) und ol­len Ka­mel­len, sehr schön ge­schrie­ben. Ich hab mich beim Le­sen sehr amüsiert 🙂

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