Heute ist der 3. November 2020. Ein ganz normaler Tag, könnte man meinen, aber aus verschiedenen Gründen ist er es ganz und gar nicht.
Erstens
Heute ist Wahltag in den USA. Bis vor vier Jahren war mir ziemlich egal, wer die USA regiert. George W. Bush war scheiße, Obama war cool, aber darüber hinaus hatte ich nicht wirklich eine Meinung zu diesem Thema. Dann kam Trump. Ich weiß noch, wie ich mich mit meiner damaligen vierten Klasse über diesen Idioten und die dummen Wähler der USA aufgeregt habe, die dafür gesorgt haben, dass so eine geisteskranke Witzfigur wie Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt ernannt wurde. Naja, die Jahre vergingen und alle unsere Befürchtungen haben sich so und noch schlimmer bewahrheitet. HEUTE ist nun der offizielle Wahltag für die Präsidentschaftswahl. Ich hoffe stark, dass der Großteil der US-amerikanischen Bevölkerung mit seinen Stimmen alles daran setzt, diesen gefährlichen Mann aus dem Weißen Haus zu schmeißen, damit er für all die Taten, die er bereits vor seiner Amtszeit begangen hat, verurteilt und hinter Gitter gesperrt werden kann.
Zweitens
Kommen wir zum zweiten Punkt, weshalb der heutige Tag kein gewöhnlicher ist: Ich habe heute meinen zweiten Termin im UKE und werde dort erfahren, ob einer der beiden potentiellen Spender tatsächlich passt und bereit ist zu spenden. Davon abhängig ist auch, wann meine Behandlung losgehen kann. Ich bin mir immer noch nicht sicher, welchen Subtyp von MDS ich genau habe. Also ich weiß, dass ich wegen der Vermehrung der Blasten MDS-EB1 habe und ich glaube auch, dass ich deshalb keine Niedrigrisikopatientin bin. Allerdings weiß ich trotzdem nicht genau, was das bedeutet. Schließlich hat sich das UKE seit über einem Monat nicht bei mir gemeldet und wenn ein dramatisches Risiko einer AML bestehen würde, hätten sie mich doch bestimmt zwischendurch mal zur Kontrolle kontaktiert, oder? Naja, inzwischen würde ich mit der Behandlung eigentlich gerne noch etwas warten. Dann könnte ich zum einen in Ruhe die Hormonbehandlung für die Kinderwunschklinik erledigen und zum anderen könnte ich vielleicht sogar noch Weihnachten zu Hause feiern. Nachdem ich nämlich gestern die Patientenbroschüre des UKE durchgelesen habe, wurde mir nochmal bewusst, dass mein Leben nach der Transplantation wahrscheinlich nie wieder so sein wird wie vorher und dass vor allem das erste Jahr wirklich hart werden wird. Am meisten Angst habe ich vor der ständigen Ungewissheit, die auf uns zukommt. Wie wird mein Körper auf die Spenderzellen reagieren? Wird es zu einer Abstoßungsreaktion kommen? Wird sich während der Aplasie mein ganzer Mund blutig entzünden? Wird sich mein ZVK entzünden und Komplikationen verursachen? Ich habe außerdem Angst, dass sich das mutierte KRAS-Gen negativ auf meine Behandlung auswirken wird, weil es die Wirkungsweise mancher Medikamente behindert. Vielleicht komme ich aber heute auch ins UKE und die sagen mir, dass das KRAS-Gen doch nicht mutiert ist und dass das eine Fehldiagnose war. Außerdem ist aber auch das Gen SF3B1 mutiert, jedoch hat das laut Internet eine gute Prognose. Insgesamt bin ich mit diesen ganzen Angaben auf meinen bisherigen Befunden überfordert. Ich verstehe nur jedes 5. Wort und kann mir den Inhalt auch nicht mithilfe des Internets erklären.
Nach dem UKE-Termin
Obwohl wir zwei Stunden warten mussten, hinterließ der heutige Termin ein sehr positives Gefühl. Dieses Mal sprach eine Oberärztin mit uns. Sie nahm sich viel Zeit und beantwortete all unsere Fragen. Dabei machte sie einen äußerst sympathischen und einfühlsamen Eindruck. Als sie während des Gesprächs sagte: „Sobald dann ein Spender gefunden wird, läuft es wie folgt ab…“, sank mir das Herz ein bisschen in die Hose, da ich sehr gehofft hatte, dass einer der potentiellen Spender passen würde. Auf meine Nachfrage hin, wie es denn bei der Spendersuche aussähe, warf sie einen Blick in den Computer und fing an zu strahlen. Sie wandte sich wieder zu mir und fragte: „Wollen wir morgen starten? Es wurde ein perfekter Spender gefunden!“ Da sie selbst etwas überrascht wirkte, scheint es normalerweise wohl nicht so schnell zu gehen. Diese Nachricht war eine riesige Erleichterung! Die Ärztin erklärte mir außerdem, dass auch mein Bruder als Plan B (falls dem ersten Spender irgendwas „dazwischenkommen“ sollte) infrage kommen würde, da halbidentische Geschwister fast so kompatibel seien wie 100%ige Fremdspender. Sie sagte außerdem, dass ich ein intermediäres Risiko habe, was bedeutet, dass ich weder zu den Niedrigrisiko- noch zu den Hochrisikopatienten gehöre. Ich sagte ihr, dass ich mit dem Behandlungsbeginn am liebsten bis Januar warten würde, da ich noch Eizellen einfrieren lassen möchte und es schön fände, Weihnachten zu Hause zu feiern. Man könne noch zwei Monate warten, aber wir beschlossen, es von den Ergebnissen der nächsten Knochenmarkpunktion abhängig zu machen. Sollte sich die Blastenzahl erhöht haben, will ich natürlich kein Risiko eingehen und würde dann so schnell es geht ins UKE „einziehen“, auch ohne eingefrorene Eizellen.
Zum Spender/zur Spenderin darf das Krankenhaus leider überhaupt keine Angaben machen. Das heißt, ich weiß weder, aus welchem Land er/sie kommt, noch, ob er/sie männlich oder weiblich ist, noch wie alt er oder sie ist. Allerdings konnte ich aus den weiteren Ausführungen der Ärztin heraushören, dass er/sie wohl „aus der Nähe“ kommt, da meine neuen Stammzellen an Tag X warm übertragen werden können. Bei transatlantischen Transplantationen z.B. werden die Zellen eingefroren und dann wieder aufgetaut. Bei dieser Prozedur gehen aber auch immer einige Zellen kaputt, weshalb ich froh bin, dass das bei mir nicht nötig ist. Außerdem weiß ich schon, dass sich meine Blutgruppe von A+ zu B? ändern wird. Wenn sowohl der Spender als auch der Empfänger einverstanden sind, ist es möglich, nach zwei Jahren die Kontaktdaten auszutauschen.