Genau einen Monat ist meine Stammzelltransplantation nun her und mir geht es den Umständen entsprechend gut. Ich bin sehr oft müde und erschöpft, meine Fußsohlen und Handflächen brennen und schmerzen, ich hab eine leichte Erkältung mit Halsschmerzen und laufender Nase und außerdem schlafe ich nicht besonders gut. Nachts werde ich mehrfach wach, dann ist mir entweder viel zu heiß oder ich friere. Tagsüber kommt das auch immer häufiger vor, was wohl die Anzeichen der Wechseljahre sind, in die mich die Chemotherapie schlagartig versetzt hat. Ich träume furchtbar viel wirres Zeug und bin morgens immer völlig erschöpft. Mir kommt es vor, als hätte ich gar keine Tiefschlafphasen. Was mich derzeit am meisten stört bzw. in meinem Alltag behindert ist mein Geschmackssinn.
Essen nervt.
Wie ich schon aus dem Krankenhaus berichtet habe, gehört Essen momentan nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Das liegt vor allem an meinem veränderten Geschmacksempfinden. Ich kann überhaupt keine Süße schmecken, weshalb mir sogar die Dr. Pepper Cherry Cola (süßestes Zeug der Welt) fade erscheint. Inzwischen habe ich einiges ausprobiert und weiß, was ich einigermaßen essen kann. Ich muss darauf achten, nur geschältes Obst und Gemüse zu mir zu nehmen, keine unerhitzten Gewürze zu verwenden, Fleisch und Fisch unbedingt ausreichend zu erhitzen, keine Nüsse und keine Samen zu essen. Kartoffeln (die ich normalerweise liebe) schmecken gerade mega eklig. Ofengemüse und Nudeln sind ok, Fleisch und Fisch machen ein sehr seltsames Mundgefühl und ich bekomme sie kaum herunter. (Wer weiß? Vielleicht werde ich am Ende noch zur Vegetarierin.) Mein Mundraum fühlt sich wieder sehr pappig und pelzig an. Das ist immer noch eine Folge der Chemo, die hoffentlich bald weggeht. Denn im Moment schmeckt kein Getränk erfrischend, alles ist stumpf. Neulich hab ich versucht, Vanilleeis zu essen und habe mich total darauf gefreut. Der Fall war schmerzhaft. Es fühlte sich so unangenehm im Mund an, dass ich nicht weiter essen konnte. Was ich zurzeit am liebsten esse, sind Äpfel (geschält), die haben eine gute Konsistenz, schmecken frisch und so wie ich sie kenne. Auch Kiwis und Orangen sind lecker. Allerdings sollte ich mich eigentlich hochkalorisch ernähren, was mir mit Obst und Gemüse nicht wirklich gelingt. Ich habe mir auch einige Frisobin-Drinks gekauft, die die Nahrung ergänzen oder sogar ersetzen können. Allerdings habe ich es bis jetzt noch nicht geschafft, auch nur einen davon vollständig auszutrinken. Das könnte daran liegen, dass ich überhaupt kein Hungergefühl habe und ich sofort satt bin, sobald ich ein paar kleine Schlucke oder Bissen genommen habe. So frustrierend das Essen und Trinken für mich im Moment auch sein mögen, gibt es doch eine hervorragende Nachricht: Meine Histaminintoleranz ist weg! Ich trinke Orangensaft, esse Bananen, Kiwis, Orangen, Avocados, Tomaten (!!!), Sauerkraut und noch allerlei andere histaminhaltige Lebensmittel, ohne Probleme zu bekommen.
Meine erste Woche
Ich habe vor einer guten Woche das UKE verlassen, dabei kommt es mir viel länger her vor. Manchmal merke ich, wie ich den Krankenhausaufenthalt komplett verdränge und mich gar nicht mehr so richtig daran erinner. Die Fotos anzusehen, die ich während der vier Wochen gemacht habe, fällt mir schwer, denn dann wird alles wieder so präsent. Ich will wirklich nicht wieder zurück in Einzelhaft!
Seit ich zuhause bin, habe ich mehrere Spaziergänge unternommen, manchmal mit Rollstuhl, wenn meine Fußsohlen wehtaten oder ich einfach zu schlapp war, um selber zu gehen. Ich bin mit meiner Mutter und meiner Schwiegermutter an der Luhe entlang zum Landesgartenschaugelände gegangen/gefahren. Das Wetter war herrlich. Am nächsten Tag schob mich Jan ebenfalls im Sonnenschein 5km bis nach Roydorf und am Krankenhaus entlang zurück. Übrigens trage ich jeden Morgen einen Sonnenschutzfaktor 50 auf, um meine empfindliche Haut zu schützen. Auf Hautkrebs hab ich nämlich echt keinen Bock. Am Montag besuchte ich mit meinen Schwiegereltern meinen Bruder und meine Mutter, die im Impfzentrum arbeiteten. Es war das erste Mal seit meiner Entlassung, dass ich meinen Bruder traf. Ich hab mich sehr gefreut!
Gestern war ich bei meinen Eltern, habe gepuzzelt und bin anschließend mit meiner Mutter spazieren gegangen. Zufälligerweise waren auch Wiebke und ihre Mutter bin den Kindern draußen. Wir trafen uns auf dem Spielplatz. Ich fand es total schön, mein Patenkind mal wieder zu sehen und da wir an der frischen Luft waren und Abstand hielten, war es auch total coronakonform. Später fuhr mich meine Mutter in die Eckermannstraße zu unserem Garten, wo Jan zu uns stieß. Letzten Sommer habe ich einen sehr lückenhaften Zaun aus Ästen und Zweigen zwischen unserem Garten und dem von Bärbel und Elmar errichtet mit der Absicht, die Lücken nach und nach zu füllen. Aufgrund meiner gesundheitlichen Situation habe ich es aber bis zum Behandlungsbeginn nicht geschafft und nun ist für mich jegliche Gartenarbeit verboten. Daher war ich mehr als begeistert und dankbar, als ich in den Garten kam und sah, dass Bärbel den Zaun mit Weidenzweigen vervollständigt hatte! Voll gut! Danke, Bärbel (das gilt natürlich auch für Elmar falls er geholfen hat).
KMT-Ambulanz
Am Donnerstag hatte ich meinen ersten Termin nach der SZT bei meiner Ärztin in der KMT-Ambulanz. Sie war zufrieden mit mir und meinen Blutwerten. Ich zeigte ihr eine rote Stelle an meinem Hinterkopf, auf die mich Jan aufmerksam gemacht hatte. Sie lächelte und erklärte, es würde sich dabei um einen Storchenbiss handeln, eine rötliche Verfärbung, die man bei Babys häufig sieht, die aber nach und nach von den Haaren verdeckt wird. Als ich meinen Eltern davon erzählte, konnten sie sich an diese Stelle erinnern, die ich schon als Baby gehabt hatte. Also kein Grund zur Sorge. Ansonsten hatte ich zum Glück keine Hautveränderungen. Leider konnte mir die Ärztin mit meinen sonstigen Problemen (siehe oben) nicht weiterhelfen. Ich muss also „einfach“ Geduld haben.
Heute hatte ich meinen zweiten Termin (nach SZT) in der KMT-Ambulanz. Da meine Ärztin für zwei Wochen im Urlaub ist, war ich dieses Mal beim Chefarzt. Zuerst kam wie immer die Blutabnahme, dann musste ich sehr lange warten. Währenddessen lernte ich vier andere Patienten/Patientinnen kennen, mit denen ich ins Gespräch kam, weil sich eine von ihnen mit ihrem Frisobin-Drink bekleckert hatte. Die Dinger sind aber auch echt fies, weil man da einen kurzen Strohhalm hochklappen muss, um zu trinken. Im Umkehrschluss geht man davon aus, dass die Flasche dicht ist, wenn man den Strohhalm wieder einklappt. Ist sie aber nicht. Das musste ich auch schon feststellen, als ich meinen Cappuccino-Drink nach dem Öffnen nochmal schütteln wollte. Jedenfalls kamen wir ins Gespräch. Die Frisobin-Dame (Ende 60) wurde vor zwei Monaten transplantiert und sagte, bei ihr würde einfach alles süß schmecken. Sie hatte gerade eine Knochenmarkpunktion erhalten und sagte, dass sie seit der Chemo ein bisschen tüdelig sei. Ihre Sitznachbarin (sehr dünne und abgeschlafft aussehende Oma eines dreijährigen Enkelkindes) wurde bereits vor einem Jahr transplantiert und litt seitdem unter diversen Rückschlägen. Zunächst war alles gut verlaufen, sie hatte das Krankenhaus nach fünf Wochen verlassen können. Nach ein paar Monaten kam dann die erste Spender-gegen-Wirt-Reaktion mit Durchfällen und Erbrechen. Sie musste wieder ins Krankenhaus, dieses Mal für neun Wochen!!! Da bereits die Coronaregeln galten, durfte sie während der gesamten Zeit keinen Besuch bekommen. „Ich bin eigentlich ein sehr humorvoller Mensch, aber in dieser Phase ist mir alles abhandengekommen“, sagte sie. Ein paar Monate später sei sie dann bewusstlos mit einer Sepsis abermals ins UKE eingeliefert worden. Anfang des Jahres folgte dann ihr bisher letzter Krankenhausaufenthalt mit einer Infektion. Au Backe! Ich hoffe inständig, dass meine Krankheitsgeschichte besser verläuft. Am Fenster saß ein Mann, der einem Rockerclan entsprungen zu sein schien. Seine Transplantation lag bereits sechs Jahre zurück. Dennoch hat er noch heute schwer mit den Folgen zu kämpfen. Durch diverse Spender-gegen-Wirt-Reaktionen musste er so viel Cortison nehmen, dass seine Knochen weich wurden und teilweise abgesplittert sind. Herrjemine! Also das klang ja fast noch schlimmer. Seine Behandlung hat seine Krankenkasse bis jetzt übrigens schon 600.000€ gekostet. Hoffentlich bin ich günstiger. Als die Frisobin-Lady auf die Toilette verschwunden war, um sich zu säubern, kam ein weiterer Herr ins Wartezimmer. Er machte einen sehr fitten, freudigen Eindruck und sah eigentlich eher nach lockerem Geschäftstermin aus. Dass er bereits zwei Transplantationen hinter sich hatte, sah man ihm überhaupt nicht an. Wie sich herausstellte, lagen wir vor vier Wochen zeitgleich im UKE, ich auf Station 6, er auf Station 4 mit einer Infektion. Wir beide hatten jeweils das erste Zimmer auf dem Flur und er fand die Geräuschsituation mit der Schleuse und der gegenüberliegenden Küche genauso nervig und belastend wie ich. Er äußerte sich total begeistert über die Ärzte und das gesamte Personal und sagte, dass er sich hier sehr gut aufgehoben fühle. Den Eindruck konnte ich teilen. Nach etwa einer Stunde wäre ich endlich dran gewesen. Der Arzt rief aber aus Versehen zuerst den Rocker zu sich herein. Das war völlig ok für mich, da ich jetzt ja wusste, wie beschissen seine Situation war. Das Gespräch mit dem Arzt verlief ganz entspannt. Er notierte sich: guter Allgemeinzustand, gleichbleibendes Gewicht, keine Entzündung oder Anzeichen einer Spender-gegen-Wirt-Reaktion, kein Fieber. Mein Blutbild war ok, auch wenn die Werte in allen Bereichen ein bisschen abgesunken waren. Die Blutplättchen machen mir ein bisschen Sorge, weil sie letzte Woche noch bei 140 lagen und nun nur noch bei 57. Aber da sich der Arzt nicht dazu geäußert hat, ist das wohl normal. Gemeinsam betrachteten wir den Medikamentenplan. Ich sagte, dass das Noxafil (eindeutig mein teuerstes Medikament: 24 Tabletten für 1020€) mit dem heutigen Tag aufgebraucht sei (ich habe jeden Tag drei Tabletten genommen). „Dann lassen wir das jetzt weg. Außerdem streichen Sie bitte das Immunsuppressivum Myfortic. Das geben wir nur bis Tag +28.“ Yeah! Da ich von dem Myfortic bisher morgens und abends jeweils zwei nach schalem Bier stinkende Tabletten nehmen musste, muss ich (zusammen mit dem Noxafil) in Zukunft sieben Tabletten weniger schlucken! Meine Freude darüber wurde jedoch etwas gebremst. Denn wenn ich ein Immunsuppressivum absetze, bedeutet das gleichzeitig, dass mein Immunsystem nicht mehr komplett unterdrückt wird und nun mit den Spenderzellen konfrontiert wird. Das Risiko für eine Abstoßungsreaktion steigt also stark an. Im Gegensatz zu mir sah der Arzt das jedoch ganz locker. „Sie merken das, wenn sich die Haut verfärbt, sie Fieber oder Durchfall bekommen. Dann kommen Sie einfach her.“ Hilfe! Ich hab total Angst, dass ich dann gleich wieder ein paar Tage im Krankenhaus verbringen muss. Nach dem Termin fuhr ich mit meinen Eltern nach Hause. Mama und ich guckten „Nicht mein Tag“ auf Netflix, während ich nebenbei weiter an meinem Puzzle arbeitete. Die Sonne schien wieder total schön ins Wohnzimmer, was vor allem Mucki genoss, der sich auf dem Sofa neben mir räkelte und schließlich schnarchend einschlief. Der Film war ganz witzig, ich mag Moritz Bleibtreu sehr gerne.
Dankeschön!!!
Es gibt so viele unfassbar liebe Menschen, die an mich denken und mir sogar Pakete und Briefe schicken (Das soll jetzt überhaupt keine Aufforderung und auch kein Vorwurf sein, falls Du mir nichts geschickt hast). Ich freue mich total über jede Post und jede Nachricht die mich erreicht, aber leider bin ich total schlecht darin, mich zeitnah zu bedanken. In meinem Kopf formuliere ich sogar schon den Text, den ich schreiben möchte, aber dann?! Keine Ahnung. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich die Danksagungen zu meiner Konfirmation nie verteilt habe und Jan fährt schon seit über einem Jahr einen Großteil der Danksagungen von unserer Hochzeit (August 2019) in seinem Auto herum. An alle, die noch keine Danksagung erhalten haben: Die kommt noch! Wenn ich so drüber nachdenke, fallen mir auch die beiden Brieffreundschaften ein, die ich als Kind begonnen und dann nie fortgeführt habe ein. Ich habe sogar mal einen Liebesbrief von einem Jungen bekommen, in den ich total verknallt war (ich war glaube ich 9) und habe ihn nie beantwortet! So schlimm bin ich in Bezug auf Antworten, Danksagungen, etc. Aber ich werde mich bessern und alles nachholen (bis auf die Danksagungen zu meiner Konfirmation, der Zug ist abgefahren).
So, jetzt habe ich aber auch wieder genug geschrieben. Jan ist schon wieder eingeschlafen, aber der Arme muss morgen ja auch schließlich zur Arbeit. Achso, eine Nachricht hatte der Arzt noch für mich; Vielleicht kann ich schon in 2–3 Monaten gegen Corona geimpft werden. Erst hieß es ja, ich müsse mit Impfungen mindestens 6 Monate warten. Geimpft zu sein würde mir auf jeden Fall ein sichereres Gefühl geben, denn bei Transplantationspatienten ist von einem schwereren Verlauf auszugehen.
Mucki, ey 😀
Histamin yeah!
Richtig geil, dass es bislang nach Plan verläuft und die Ärzte zufrieden sind!
Ich bin mehr als überzeugt, dass es genau so weitergeht.
Der Weidenzaun kann übrigens schon noch eine Ladung Zweige vertragen, ganz durch bist du damit noch nicht 😉 Wir haben ihn übrigens um eine Quersprosse erhöht, bisschen Privatsphäre muss ja sein beim Hexenhaus! Und wenn man von ganz schräg guckt, sieht er schon recht dicht aus.
Mein Vater sagte übrigens, dass die Weide womöglich wieder anwächst, wenn sie im Boden steckt. Es ist also durchaus möglich, dass es ein lebender Zaun wird früher oder später.
Ich wünsch dir alles erdenklich Gute weiterhin und freu mich, wenn wir uns mal wieder sehen zu gegebener Zeit.
Das wäre richtig schön, wenn einige Zweige anwachsen würden 🙂 Vielen Dank für eure Arbeit!
Mucki ist einfach der Coolste 😎
Huhu Nele ❤️
hoffentlich kommt dein Geschmack bald wieder zurück, ich kann mir vorstellen, dass das sehr belastend ist, ist ja allgegenwärtig. Vielleicht ändert sich ja dein Geschmack auch grundlegend und dir schmecken bald Sachen, die du vorher nicht so mochtest.
Schön, dass dir der Zaun gefällt 😊 das hat uns Spaß gemacht bei dem schönen Wetter und ich möchte jetzt auch einen für unseren Garten.…müsste aber erstmal Weide anpflanzen zum abernten. Ich liebe übrigens eure Hollywoodschaukel und die Schneeglöckchen!
Danke für dein Update. Es ist so schön, dass du weiterhin schreibst und uns auf dem Laufenden hälst! Dass die Histaminintoleranz weg ist, ist ja richtig toll. Das eröffnet dir ja neue Welten! 🙂 Der Geschmack kommt bestimmt auch bald richtig wieder.
Wie du schon lesen konntest, war das Weidenzaun Projekt eine Gemeinschaftsarbeit. Wie schön, dass es dir gefällt. Ich finde es auch sehr gelungen. 🙂
Ich schicke dir ganz viel Optimismus und positive Gedanken!
Bis bald <3