+1 +2 +3 Dürf­ti­ges Update

+1 +2 +3 Dürf­ti­ges Update

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Man man man, Nele! Mein letz­ter Bei­trag ist nun schon ein paar Tage her und war zu­ge­ge­be­ne Wei­se ziem­lich de­pri­mie­rend. Mei­nen psy­chi­schen Tief­punkt er­reich­te ich am Tag +1 nach der Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­on. Kör­per­lich fühl­te ich mich wie vom Bus über­fah­ren, konn­te aber auch nicht schla­fen. So­bald ich mit mei­nen Ge­dan­ken al­lein war, kreis­ten sie ein­zig und al­lein um die schlim­men Ent­zün­dun­gen, In­fek­tio­nen, und Ab­sto­ßungs­re­ak­tio­nen, die mir alle wi­der­fah­ren KÖNN­TEN. Nach­dem ich mich mit dem jun­gen Sta­ti­ons­arzt un­ter­hal­ten hat­te und auch er noch ein­mal be­stä­tigt hat­te, dass alle er­denk­li­chen Re­ak­tio­nen mög­lich sind (in­klu­si­ve Tod), saß ich al­lein auf mei­nem Bett und sah al­les schwarz. Mir war es in dem Mo­ment nicht mög­lich, op­ti­mis­tisch zu blei­ben und zu sa­gen „Hey, in 60–70% der Fäl­le geht al­les gut und selbst die 20% mit Kom­pli­ka­tio­nen über­le­ben ir­gend­wie. Du wirst schon nicht zu den 10% ge­hö­ren, die ster­ben.“ Ich lag wie be­täubt im Bett und fühl­te mich so al­lein wie noch nie. Die Vor­stel­lung, noch min­des­tens drei lan­ge Wo­chen ein­ge­sperrt in die­sem win­zi­gen Raum ver­brin­gen zu müs­sen, ohne fri­sche Luft, ohne Be­such, ohne Ab­len­kung und mit kör­per­li­chen Schmer­zen er­schien mir als der blan­ke Hor­ror. Dazu muss ich noch be­to­nen, dass es in die­sem Zim­mer stän­dig laut ist, zum ei­nen durch die Kli­ma­an­la­ge und den Me­di­ka­men­ten­turm, zum an­de­ren durch die Tat­sa­che, dass sich mein Zim­mer di­rekt am An­fang des Gan­ges, ne­ben der Schleu­se und ge­gen­über der Kü­che be­fin­det. Ich war echt am Bo­den und hab mir zum ers­ten Mal „er­laubt“ zu wei­nen. Das hat­te ich bis da­hin im­mer ver­mie­den, da hier stän­dig die Tür auf­geht und je­mand un­an­ge­mel­det her­ein­platzt (Ja, in­so­fern bin ich nicht wirk­lich al­lein). Ich möch­te schließ­lich nicht schluch­zend auf dem Bett sit­zen, wäh­rend die Putz­frau um mich her­um wischt oder der Kell­ner mein Es­sen ab­räumt. Dies­mal war mir al­les egal und ich ließ mei­nen Trä­nen frei­en Lauf, was sich im ers­ten Mo­ment be­frei­end an­fühl­te, spä­ter je­doch zu hef­ti­gen Kopf­schmer­zen führte. 

Ich rief die Schwes­ter, um mir et­was ge­gen die Schmer­zen ge­ben zu las­sen. Es er­schien eine sehr sym­pa­thi­sche jun­ge Frau, die mir eine Schmerz­in­fu­si­on an­häng­te und sich mit mir un­ter­hielt. Ich er­zähl­te ihr von mei­nem furcht­ba­ren Tag und heul­te mich noch ein­mal bei ihr aus. Sie re­agier­te to­tal mit­füh­lend und schlug vor, am nächs­ten Tag ein paar Spie­le mit­zu­brin­gen und mit mir zu spielen.

AN­MER­KUNG

Ich be­schreib den Rest des Ta­ges und die nächs­ten zwei Tage mal kurz in Stich­punk­ten und er­gän­ze das spä­ter. Es pas­siert ge­ra­de so viel gleich­zei­tig und ich bin so ka­putt, dass ich mit dem Schrei­ben sonst nicht mehr hinterherkomme.

Kurz­zu­sam­men­fas­sung:

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4.2. wei­ter­hin Stim­mungs­tief, Kopf­schmer­zen, Rü­cken­schmer­zen, in der Nacht mehr­fach Schmerz­mit­tel nach­ge­legt, kaum ge­schla­fen, völ­lig gerädert

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5.2. trau­rig auf­ge­wacht, mit Jan te­le­fo­niert, mit Mama te­le­fo­niert, mit Schwie­ger­el­tern te­le­fo­niert, mit mei­ner Tan­te te­le­fo­niert, mit Freun­den te­le­fo­niert, bis es dun­kel wur­de, UNO mit der Schwes­ter ge­spielt, ge­re­det und Spaß ge­habt wie bei ei­nem Mini-Mä­dels­abend, zum Schluss des Ta­ges mit Jan und Kai te­le­fo­niert, bis Schla­fens­zeit war. —> Viel bes­se­re Stim­mung und kaum noch ne­ga­ti­ve Ge­dan­ken ge­habt. Dann plötz­li­che hef­ti­ge Rü­cken­schmer­zen —> Schmerz­mit­tel —> Schmer­zen weg, Throm­bo­zy­ten be­kom­men, lang­sam ein­set­zen­de Kopf­schmer­zen, die sich schließ­lich zu ei­ner hef­ti­gen Schmerz­at­ta­cke ent­wi­ckel­ten —> alle mög­li­chen Schmerz­mit­tel er­hal­ten —> kein Er­folg —> nach­ein­an­der 2 Knock-Out-Ta­blet­ten be­kom­men, die ei­gent­lich je­den so­fort um­hau­en —> kein Er­folg, ich war im­mer noch hell­wach mit höl­li­schen Schmer­zen —> um halb 2 wur­de der Arzt ge­ru­fen, er gab mir eine sehr star­ke Mi­grä­ne­ta­blet­te —> end­lich konn­te ich schlafen!

+3

6.2. So lan­ge ge­schla­fen wie es ging und das Ge­fühl, schla­fen zu kön­nen ge­nos­sen. Arme bren­nen we­gen nied­ri­ger Blut­plätt­chen­zahl. Ich hab mich den gan­zen Tag ein biss­chen wie be­täubt ge­fühlt. Ich hab Jan, Claus und Susi beim Früh­stück zu­ge­guckt und an­schlie­ßend per Live-Stream bei der Ar­beit zu­ge­guckt. Mama und Papa ka­men zum Kran­ken­haus und ha­ben Din­ge für mich ab­ge­ge­ben —> Tisch, Fit­ness­ge­rät, Zeit­schrif­ten, Klei­dung, Ge­schenk von Clau­dia. Den Ober­arzt ken­nen­ge­lernt, Herz­ste­chen, Schwin­del und das Ge­fühl, dass sich al­les dreht und ich kei­nen wirk­li­chen Halt habe. Se­rie ge­guckt. Mit der net­ten Schwes­ter lan­ge über Se­ri­en und Ur­laub ge­spro­chen. Mit Papa te­le­fo­niert. Mit Eva te­le­fo­niert. Na­sen­blu­ten, nied­ri­ge Throm­bo­zy­ten und nied­ri­ger HB-Wert, Mund­schleim­haut be­gann sich wei­ter ab­zu­lö­sen, Schlu­cken tut zu­neh­men weh, sehr tro­cke­ner Mund, völ­lig aus­ge­laugt und KO. Ge­gen halb 9 bei ein­set­zen­den Kopf­schmer­zen wie­der eine Mi­grä­ne­ta­blet­te ge­nom­men, in der Hoff­nung, die Schmer­zen auf­hal­ten und schnell ein­schla­fen zu kön­nen —> Fehl­an­zei­ge! ICH HABE NICHT EINE MI­NU­TE GE­SCHLA­FEN. Jetzt sit­ze ich im Dun­keln auf mei­nem Bett und tip­pe die­sen Text. Es ist 07:28Uhr. Ei­gent­lich bin ich viel zu müde zum Schrei­ben, aber mir ist es wich­tig, euch auf dem Lau­fen­den zu hal­ten, denn ich weiß nicht, ob es mir heu­te oder mor­gen bes­ser ge­hen wird. Ich glau­be, jetzt wird es erst­mal nur noch schlech­ter. Klei­ner Trost: Psy­chisch geht es mir viel bes­ser als noch vor ein paar Ta­gen. Wahr­schein­lich bin ich von den Schmer­zen und den Pro­blem auch sehr ab­ge­lenkt. Da mei­ne Schleim­häu­te lang­sam be­gin­nen, sich zu ent­zün­den und ab­zu­lö­sen, be­kom­me ich seit ges­tern Abend und für die nächs­te Zeit durch­ge­hend nied­ri­ge Do­sen Mor­phin. Doch auch da­von wer­de ich ja an­schei­nend nicht schläf­rig. Ob­wohl ich tod­mü­de war, konn­te ich beim bes­ten Wil­len nicht ein­schla­fen. Die Nacht­schwes­ter, die mich schon letz­te Nacht be­treut hat ist to­tal süß und mit­füh­lend. Sie lei­det rich­tig dar­un­ter, dass sie mir mit all ih­ren Be­mü­hun­gen nicht hel­fen kann. Sie hat schon echt al­les ver­sucht! Nächs­te Nacht wer­de ich auf je­den Fall Schlaf­ta­blet­ten neh­men, da­mit mein Kör­per sich end­lich er­ho­len kann. Heu­te Nacht war es da­für aber schon zu spät. Ich bin to­tal tat­te­rig und und wüh­le mich un­end­lich schlapp. Kei­ne Ah­nung, wie ich das mit dem Du­schen heu­te hin­be­kom­men soll. Ich hab zwar ei­nen Ho­cker und du­sche im Sit­zen, aber selbst das scheint mir ge­ra­de unmöglich.

Ach­so, be­vor ich es ver­ges­se: Mein ZVK hat sich ent­zün­det und muss even­tu­ell schon heu­te ge­zo­gen wer­den. Dann muss ich für 24 Stun­den alle Me­di­ka­men­te über die Arm­ve­ne be­kom­men, be­vor dann ein neu­er ZVK auf der an­de­ren Hals­sei­te ge­legt wird. Mega un­cool. Es ist ja nicht so, als hät­te ich beim ers­ten Mal nicht schon ge­nug Angst ge­habt. Aber was soll’s, das kann nie­mand et­was für, das pas­siert halt manch­mal und bei Be­rüh­rung tut mein ZVK in­zwi­schen ziem­lich weh. 

Ich hät­te hier echt ger­ne frü­her und mehr ge­schrie­ben, aber ich hät­te mir auch nicht vor­stel­len kön­nen, so lan­ge nicht in der Lage zu sein, zu schrei­ben, weil es zu an­stren­gend ist. Macht euch kei­ne gro­ßen Sor­gen. Kör­per­lich geht‘s mir ge­ra­de schei­ße, das war aber zu er­war­ten in der Apla­sie-Pha­se. Da­für bin ich see­lisch wie­der auf der Höhe.

Bis bald!

 

PS.: HAP­PY BIR­TH­DAY, ANNA!

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  • Beitrags-Kommentare:3 Kommentare

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Alke

    Lie­be Nele, Du machst so viel Schlim­mes durch ge­ra­de. Lass Dir bloß Schlaf­ta­blet­ten ge­ben, da­mit Du ab­schal­ten und Dich er­ho­len kannst und raus mit dem ent­zün­de­ten ZVK. Wie gut, dass es Dir je­den­falls psy­chisch wie­der bes­ser geht. Bleib stark, die Apla­sie-Pha­se wird vor­bei­ge­hen und dann wird es Dir bes­ser ge­hen. Füh­le Dich um­armt und al­les Lie­be von Alke 😘

  2. Anna

    Dan­ke für die Glück­wün­sche du ver­rück­te Nu­del! Freu mich schon auf un­se­re ge­mein­sa­me Ge­burts­tags­par­ty nächs­ten Jahr <3

    1. Nele

      Ohja! Dar­auf freue ich mich auch tie­risch! Haupt­sa­che die Kran­ken­haus­zeit ist ir­gend­wann vor­bei ❤️

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