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Den größ­ten Teil des gest­ri­gen Ta­ges habe ich voll ver­pennt. Die Blut­kon­ser­ven, von de­nen ich zu­letzt ge­schrie­ben hat­te, be­kam ich be­reits in der Nacht zu vor­ges­tern. Wahr­schein­lich, weil ich von dem ATG so er­schöpft war. Ir­gend­wie sah es ein biss­chen ge­spens­tisch aus, als die Ärz­tin mit den bei­den Blut­beu­teln vor mei­nem Bett stand. Ich sehe ge­ra­de, dass die lee­ren Beu­tel noch im­mer in mei­nem Zim­mer hän­gen, zwar nicht mehr ne­ben mei­nem Bett, aber ne­ben mei­ner Ja­cke am Gar­de­ro­ben­ha­ken. Ko­misch, wie­so nimmt die kei­ner mit?

Ta­blet­ten

Ich mer­ke, dass es mir heu­te schwer fällt, mei­ne Ge­dan­ken zu ord­nen. Zum Bei­spiel hab ich heu­te Mor­gen ein biss­chen auf­ge­räumt und alle lee­ren Ta­blet­ten­hül­len weg­ge­wor­fen. Eben beim Mit­tag stell­te ich dann fest, dass ich sonst im­mer um 14 Uhr eine Ta­blet­te neh­men muss­te, heu­te aber kei­ne mehr auf dem Tisch lag. Hab ich sie ge­schluckt oder weg­ge­wor­fen? Hab ich über­haupt alle an­de­ren Ta­blet­ten heu­te Mor­gen ge­nom­men? KEI­NE AH­NUNG! Aber ich glau­be schon. 

Es­sens­ge­lüs­te

Ges­tern hat­te ich rich­tig Bock auf Steak und Rote-Bee­te-Car­pac­cio, aber so­was gibt es hier na­tür­lich nicht. Ich be­kam statt­des­sen ei­nen Ge­mü­se­ein­topf mit Kar­tof­feln und zum Abend­brot eine Blu­men­kohl­sup­pe, die ich we­der rie­chen noch an­rüh­ren konn­te. Dazu muss ich aber fai­rer­wei­se sa­gen, dass ich letz­ten Mitt­woch selbst mit der Er­näh­rungs­be­ra­te­rin den Es­sens­plan zu­sam­men­ge­stellt habe und mir „da­mals“ Blu­men­kohl­sup­pe als ein ge­eig­ne­tes Abend­essen für mich er­schien. Wie schnell sich doch der Ge­schmack än­dert! Im­mer­hin be­kam ich noch ein Toast mit Käse, eine ge­schnit­te­ne Sa­lat­gur­ke und eine Bir­ne. Das Per­so­nal hier ist to­tal nett und selbst, wenn ich den Früh­stücks-Ha­fer­brei zum drit­ten Mal zu­rück­wei­se, ob­wohl er ex­tra für mich lak­to­se­frei her­ge­stellt wur­de, sind sie im­mer noch nett und fra­gen, ob sie noch ir­gend­was für mich tun kön­nen. Seit­dem ich weiß, dass es hier Vita Malz und Kiba gibt, sind dies mei­ne Lieb­lings­ge­trän­ke. Heu­te hat­te ich eine Sprite zum Es­sen, die war mir aber viel zu süß. Ich weiß nicht, ob mir durch die Mund­spü­lun­gen und die Che­mo lang­sam der Ge­schmacks­sinn ab­han­den­kommt, aber das Was­ser hier schmeckt ein­deu­tig nicht mehr so gut wie am Anfang.

Apro­pos Was­ser: Durch die vie­len Me­di­ka­men­te und In­fu­sio­nen, die ich hier be­kom­me, sam­melt sich an­schei­nend ganz schön viel Was­ser in mei­nem Kör­per. Ich habe wäh­rend der letz­ten Wo­che schon 3kg zu­ge­nom­men. Es ist al­ler­dings trotz­dem da­von aus­zu­ge­hen, dass ich das Kran­ken­haus am Ende mit we­ni­ger Ge­wicht ver­las­sen wer­de als am An­fang, vor al­lem, wenn mich mein Ge­schmacks­sinn voll­ends im Stich lässt und sich mei­ne Mund­schleim­haut entzündet.

Ges­tern habe ich üb­ri­gens (in ei­ner mei­ner we­ni­gen Schlaf­pau­sen) mit Jan, mei­ner Mama und mei­nen Schwie­ger­el­tern Kaf­fee ge­trun­ken. Es war ganz schön, di­gi­tal da­bei zu sein, al­ler­dings fehl­te mir der Kuchen. 

Schlech­ter Schlaf

Letz­te Nacht habe ich zum ers­ten Mal nicht gut ge­schla­fen. Viel­leicht lag es dar­an, dass ich schon den gan­zen Tag ge­pennt hat­te, viel­leicht aber auch an dem blin­ken­den und gur­geln­den Me­di­ka­men­ten­turm, des­sen Licht mir nachts voll ins Ge­sicht scheint. Klar, ich könn­te mich theo­re­tisch auch auf die an­de­re Sei­te dre­hen, aber da liegt mein ZVK und auf dem schläft es sich nicht gut. Hin­zu kommt na­tür­lich noch die gan­ze Ka­bel­la­ge, die zur Über­wa­chung an mir hing/hängt. Alle 30 Mi­nu­ten wird die Blut­druck­man­schet­te auf­ge­pumpt, ich hän­ge durch­ge­hend am EKG, die Sau­er­stoff­sät­ti­gung wird über ei­nen Klipp oder ein Pflas­ter an mei­nem Fin­ger ge­mes­sen und zu gu­ter Letzt hän­ge ich ja auch noch an der 7m-Lei­ne, die mich über­all hin be­glei­tet. Ich gehe des­halb auch nur auf Klo, wenn ich WIRK­LICH muss oder eh im Bad bin, um mein Mund­spül­pro­gramm durch­zu­zie­hen. Gur­geln ohne zu Schlu­cken ist mit ei­nem zen­tral­ve­nö­sen Ka­the­ter am Hals üb­ri­gens echt gar nicht so ein­fach, weil man den Kopf nicht so leicht nach hin­ten kip­pen kann. 

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Als ich heu­te Mor­gen nach mei­nem Be­fin­den ge­fragt wur­de und sag­te, dass ich Rü­cken- und Kopf­schmer­zen hät­te, ver­sprach man mir eine neue Ma­trat­ze mit bes­se­rem Com­fort. Ich bin sehr ge­spannt. Beim Du­schen muss­te ich heu­te eine ziem­lich kras­se Ge­sichts­rö­tung wahr­neh­men, die sich aber in­zwi­schen fast in Luft auf­ge­löst hat. Die Schwes­ter mein­te, die Röte kön­ne von dem Cor­ti­son kom­men, wel­ches ich vor­sorg­lich ge­gen die Ne­ben­wir­kun­gen von ATG be­kom­me. Wo wir ge­ra­de da­bei wa­ren, frag­te ich sie, was ei­gent­lich die ty­pi­schen un­ge­woll­ten Ne­ben­wir­kun­gen von ATG sei­en. „Die meis­ten Pa­ti­en­ten be­kom­men in­ner­halb der ers­ten zwei Tage Schüt­tel­frost und fie­bern hoch. Da das bei dir nicht pas­siert ist, wird das wohl auch nicht mehr kom­men.“ YES. End­lich mal eine Sa­che, die ich nicht be­kom­me. Mei­ne Tem­pe­ra­tur hält sich fast durch­ge­hend bei un­ter 36°C. Heu­te hat­te ich so­gar 34,6°C, bin also von Fie­ber mei­len­weit ent­fernt. Le­dig­lich mei­ne Fuß­soh­len und mei­ne Hand­flä­chen sind er­rö­tet und bren­nen ein we­nig. Da sich die­ses Bren­nen bis hin zu schwe­ren in­ne­ren Ver­bren­nun­gen mit pel­len­der Haut und al­lem ent­wick­len kann, habe ich von der Schwes­ter eine Sal­be und zwei Kühl­packs für mei­ne Füße bekommen.

Wie geht‘s mir?

Ge­ra­de als ich mei­ne Füße kühl plat­ziert hat­te, kam ein net­ter al­ter Mann mit Kit­tel und Mund­schutz in mein Zim­mer und stell­te sich als Psy­cho­on­ko­lo­ge vor. Er reich­te mir zwei Zet­tel mit di­ver­sen In­for­ma­tio­nen, An­lauf­stel­len und An­ge­bo­ten für Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­ons­pa­ti­en­ten und de­ren An­ge­hö­ri­ge. Er setz­te sich und wir un­ter­hiel­ten uns ein biss­chen dar­über wie es mir geht. Noch geht es mir echt gut und ich hof­fe, dass sich mein Zu­stand auch in den nächs­ten Wo­chen nicht all­zu sehr ver­schlech­tern wird. Die Di­rekt­aus­wir­kun­gen der Che­mo­the­ra­pie schei­ne ich ganz gut ver­kraf­tet zu ha­ben, aber die meis­ten Ne­ben­wir­kun­gen tre­ten erst mit ei­ner Ver­zö­ge­rung von etwa ei­ner Wo­che auf. Und dann ist da ja noch die ge­fürch­te­te Spen­der-ge­gen-Emp­fän­ger-Re­ak­ti­on, auch Graft-ver­sus-Host-Di­se­a­se ge­nannt. Ob­wohl die ent­schei­den­den Ge­we­be­merk­ma­le mei­nes Spen­ders und mir über­ein­stim­men, un­ter­schei­det sich das neue Kno­chen­mark in man­chen Ei­gen­schaf­ten von mei­nem.  Die Ab­wehr­zel­len des Spen­ders, die im Trans­plan­tat ent­hal­ten sind, kön­nen da­her ei­ni­ge mei­ner Ge­we­be­merk­ma­le als fremd er­ken­nen und ver­su­chen, sie wie ein­ge­drun­ge­ne Fremd­stof­fe (An­ti­ge­ne) zu ver­nich­ten. Da es sich bei mei­nem Ge­we­be aber nicht um An­ti­ge­ne han­delt, die durch die Ab­wehr­zel­len des Spen­ders – wie bei ei­ner nor­ma­len Im­mun­ant­wort – be­sei­tigt wer­den kön­nen, muss das Trans­plan­tat ler­nen, sich an sei­ne neue Um­ge­bung zu ge­wöh­nen und sie an­zu­neh­men. Die Ex­per­ten spre­chen hier­bei von Im­mun­to­le­ranz. Soll­te das mit der Im­mun­to­le­ranz bei mir nicht klap­pen, wer­de ich krank. Ich wer­de spä­ter be­stimmt noch mal ge­nau­er über die Spen­der-ge­gen-Emp­fän­ger-Re­ak­ti­on schrei­ben, aber für heu­te soll das erst­mal rei­chen. Na­tür­lich habe ich Angst vor dem, was da even­tu­ell auf mich zu­kommt, aber da ich nun mal kei­ne an­de­re Wahl habe, wer­de ich ein­fach ab­war­ten müs­sen, was pas­siert und ver­su­chen, da­mit klarzukommen.

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Eva

    Hey Nele, es ist im­mer so schön von dir zu le­sen, erst recht wenn du schreibst, dass es dir gut geht! Die Blut­beu­tel müs­sen glaub ich auf­be­wahrt wer­den, falls es zu ei­ner Re­ak­ti­on dar­auf kommt, auf dem Beu­tel sind ja alle In­fos drauf.
    Ich den­ke je­den Tag an dich und be­wun­de­re dei­ne po­si­ti­ve En­er­gie! Liebs­te Grü­ße, Eva :-*

  2. Steffi von Steffi und Jan

    Juhu Nele 💓 ich drü­cke bei­de Dau­men, dass du eine ge­müt­li­che­re Ma­trat­ze be­kommst, so­dass du gut schla­fen kannst! Du bist so tap­fer und ich lese gern, was du hier schreibst. Mu­tig üb­ri­gens von dir, Blu­men­kohl­sup­pe vor­be­stellt zu ha­ben. Die fin­de ich un­ter Nicht­kran­ken­haus­um­stän­den schon grenz­wer­tig. An­sons­ten klingt das, was du zu Es­sen be­kommst sehr le­cker für mich. Sieht auch auf den Fo­tos gut aus, vor al­lem die grü­ne Gurke.
    Und was mich tat­säch­lich bren­nend in­ter­es­siert: Gur­gelst du mit Stim­me? Oder viel­leicht so­gar Me­lo­dien? Wenn ja, wel­che? Ich muss im­mer schmun­zeln, wenn ich höre, dass je­mand gur­gelt (al­lein das Wort, khe­he), weil mich das an frü­her und Mama er­in­nert. Sie hat krass ge­gur­gelt als ich noch zu Hau­se ge­wohnt hab. Also sehr laut. Mit Stimme.
    Schlaf gut!
    P.S. Die Blut­beu­tel ge­hö­ren jetzt halt dir, sonst hät­ten sie die nicht ne­ben dei­ne Ja­cke ge­hängt. Die kannst du dann mit­neh­men fürs nächs­te Halloween.

  3. Bärbel von Elmar und Bärbel

    Dan­ke für dein Up­date! Dar­über freue ich mich je­des Mal. Vor al­lem ist es schön, dass es dir den Um­stän­den ent­spre­chend ganz gut geht. Bit­te mach ge­nau so weiter!
    Das mit den bren­nen­den Hän­den und Fü­ßen klingt to­tal un­an­ge­nehm. Kühl Akku sei Dank! Fin­de hei­ße Füße eh fürch­ter­lich. Pfui!
    <3

  4. Chrischi

    Bei den hei­ßen Hand­flä­chen und Fuß­soh­len bin ich ge­dank­lich gra­de auch hän­gen geblieben.
    Sind die wirk­lich heiß? Also hei­ßer als 34,6 grad oder füh­len die sich nur heiß an? Aber du schreibst ja von mög­li­chen Ver­bren­nun­gen, da­mit er­klärt es sich ja eigentlich.
    Ich muss mir gra­de vor­stel­len, wie Dir zwei Ak­ku­packs in die So­cken ge­steckt wer­den und du die an­de­ren zwei in den Hän­den hälst:)
    Ich hof­fe da stellt sich mög­lichst bald wie­der Nor­mal­tem­pe­ra­tur ein!
    Schön zu le­sen, dass sich die Leu­te dort so gut um Dich kümmern!

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