Heute ist wieder Dienstag. Vor einer Woche bin ich ins Krankenhaus gekommen, eine Woche davor gab man mir die Terminbestätigung für die Transplantation: 3.2.2021. Das ist morgen! Natürlich freue ich mich, diesen Schritt endlich hinter mich bringen zu können, aber momentan weiß ich gefühlsmäßig nicht wohin mit mir. Die letzten beiden Nächte lag ich ständig wach und versuchte, nicht an all die Dinge zu denken, die im schlimmsten Fall passieren könnten. Die letzten Tage mit Hochdosischemotherapie und ATG waren anstrengend und kräftezehrend. Aber zum Glück habe ich sie ohne größere Nebenwirkungen überstanden.
Die harte Phase
Ich weiß, dass die härteste Phase der Behandlung noch vor mir liegt und dass weder die nächsten Wochen, noch die nächsten Monate ein Zuckerschlecken werden. Allerdings könnte ich alles viel besser ertragen, wenn ich wüsste, dass am Ende alles gut wird. Aber diese Sicherheit kann mir niemand geben. Es kann passieren, dass ich durch eine Spender-Gegen-Empfänger-Reaktion für den Rest meines Lebens mit Einschränkungen und gesundheitlichen Problemen zurechtkommen muss. Es kann auch sein, dass sich meine bösen Zellen wieder zurück an die Macht kämpfen und ich dann diese ganze Hölle noch einmal durchstehen muss. Es kann sein, dass es mir akut sehr schlecht geht, meine Haut, meine Leber, mein Magen-Darm-Trakt und meine Schleimhäute durch die Spenderzellen völlig ausrasten, sich entzünden und bluten. Es kann auch sein, dass es bei mir glimpflich verläuft, mein Körper die Spenderzellen gut annimmt und ich lediglich mit den „normalen“ Problemen einer Stammzelltransplantation klarkommen muss. Was auch immer geschieht, ich habe wenig Einfluss darauf. Diese Machtlosigkeit treibt mich noch in den Wahnsinn.
Genervt und erschöpft
Heute wurden wieder alle Patienten auf Covid 19 getestet. Das geschah in einem Abwasch mit dem morgendlichen Wiegen, Sättigung- und Blutdruckmessen und Blutabnehmen. Ich wog übrigens zwei Kilogramm weniger als gestern. Nachdem ich mein Bett bezogen hatte, machte ich mich auf den Weg ins Bad. Natürlich hing ich immer noch an der blöden Leine, die sich immer wieder unter der Tür verklemmte. Normalerweise befestige ich die Leine mit einem Clip an meinem T‑Shirt oder an meiner Hose, damit ich den Zug nicht an meinem Hals spüre. Wenn man nackt unter der Dusche steht, hat man nichts zum Festklemmen. Deshalb ist Duschen mit der Leine schon mal nervig an sich. Zusätzlich muss man aber auch darauf achten, dass das Pflaster, welches den ZVK abdeckt, nicht feucht wird. Eigentlich ist das aber auch Quatsch, weil das Pflaster eh nach jedem Duschen ausgewechselt wird. Jedenfalls könnt ihr euch vielleicht vorstellen, wie ich heute Morgen schlaftrunken und völlig genervt unter der Dusche stand und versucht habe, möglichst sauber zu werden. Anschließend hieß es komplett abtrocknen (auch zwischen den Zehen!) und reichhaltig mit Bepanthol eincremen. Das Ganze hat unendlich viel Zeit und Kraft gekostet. Die Luft war wie in einem Dampfbad. Mein Kreislauf verabschiedete sich langsam, aber sicher von mir und Übelkeit stieg in mir hoch. Ich schaffte es gerade noch aus dem Bad in mein Bett und drückte den Schwestern-Knopf. Man brachte mir etwas gegen die Übelkeit, schloss mich wieder an die Gerätschaften an und sagte mir, ich solle mich ausruhen.
Zu viel Kaninchen
Die Chemotherapie ist vorbei, aber ich bekam heute zum letzten Mal das Kaninchen-ATG, welches mich in den letzten Tagen schon so umgehauen hatte. Dabei war die Dosierung ständig gestiegen, von 200mg auf 400mg auf 600mg auf nun 800mg. Ich kann euch eindeutig sagen, 800mg Kaninchen über eine Dauer von 12 Stunden sind zu viel für mich! Die kleinsten Banalitäten fielen mir heute echt schwer und mein Körper war davon überfordert, meine schmutzige Kleidung in einen Koffer zu packen.
Besuch
Um die Mittagszeit kamen meine Eltern, um mir Essen und Wechselkleidung zu bringen. Ich konnte sie aufgrund des Besuchsverbots nur von meinem Fenster aus sehen, aber ich hab mich trotzdem gefreut. Nach ein bisschen Winken war dann aber auch schon wieder Schluss für mich und ich schlief eine Weile mit Musik auf den Ohren. Geweckt wurde ich von einer Schwester, die sagte, unten sei etwas für mich abgegeben worden. Mit den Worten „von Nele für Nele“ überreichte sie mir Zitronenkuchen und eine Karte. Im selben Moment rief Melissa an und sagte, dass sie gerade draußen vor dem Gebäude stünden. Am Fenster stehend konnte ich die beiden sehen. Natürlich freute ich mich über diesen süßen Spontanbesuch und genoss meinen Kuchen im Bett.
Rot.
Nachdem ich fast den ganzen Tag im Bett verbracht hatte, wuchs in mir der Wunsch, mich frisch zu machen. Ich stöpselte mich also so weit es mir möglich war von den Geräten ab und ging ins Bad. Als ich mein Unterhemd auszog, musste ich feststellen, dass mein gesamter Oberkörper rot leuchtete. Besonders am Bauch und an den Klebestellen der Elektroden war der Ausschlag stark ausgeprägt. Ich rief also mal wieder die Schwester, die mir erklärte, dass die Rötung sowohl vom Thiotepa als auch vom Busulfan oder dem ATG kommen könnte. Ich sollte mich weiterhin dick eincremen und Bescheid sagen, falls es zu jucken beginnen sollte. Hoffentlich fängt es nicht an zu jucken. Dann dreh ich durch.
Wie ihr seht, habe ich heute fast nichts gemacht, aber es war trotzdem ein sehr anstrengender Tag (mit ein paar Lichtblicken) für mich. Da ich ein bisschen Angst davor habe, mit meinen Gedanken und Gefühlen allein zu sein, gucke ich mir jetzt WandaVision auf Disney+ an und hoffe, dass die Transplantation morgen reibungslos über die Bühne geht. Gegen 13Uhr sollen die Spenderzellen bereits eintreffen und dann beginnt hoffentlich ein neues Leben für mich.
PS.: Vielen vielen Dank für die lieben Nachrichten, die ich heute bekommen habe. Ich war emotional einfach noch nicht in der Lage, passende Antworten zu schreiben, aber ich weiß es sehr zu schätzen, dass ihr alle hinter mir steht und mich unterstützt.
PPS.: Ich habe gestern tatsächlich eine neue Matratze bekommen und sie ist mega bequem!
♥️♥️♥️
Liebe Nele, ich verfolge jeden Tag gespannt dann Block und denke viel an dich.heute ist ja ein besonderer Tag und ich hoffe dass du alles gut überstehst ich wünsche dir alles alles Liebe. Tun kann ich leider nichts. Kopf hoch und alles wird gut. Ganz liebe Grüße von Liesl
❤️🧡💛💚💙💜
Ach wie schön, dass das mit der Matratze so schnell geklappt hat 🙂 Wie lecker und schön verpackt dieser Zitronenkuchen aussieht! Ich dachte erst es wäre schöne Seife, als ich nur das Bild gesehen hab.
Lass dich nicht irre machen von deinen Gedanken, ich kann mir vorstellen, dass das sehr schwer ist, aber es sind nur Gedanken. Bis jetzt ist alles gut gelaufen und das ist es, worauf es ankommt. Schubs das kleine Teufelchen auf deiner Schulter in die Blumenkohlsuppe und mal dir aus was du tun und erleben wirst, wenn all das vorüber ist. Du bist nicht allein, wir sind alle bei dir und wir lieben dich ❤️