Meine Ausdauer war noch nie die beste. Ob im Langlauf, beim Schwimmen oder Tanzen – ich war immer ziemlich schnell erschöpft. Unter körperlicher Belastung wurde mir schon mit 11 oder 12 Jahren schwindelig. Mein Hausarzt sagte damals, ich solle morgens Kaffee oder ein Glas Sekt trinken, um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen.
Scharlach?
Im Januar 2012, als ich 23 Jahre alt war, ging es mir von einem Tag auf den anderen plötzlich sehr schlecht. Ich wurde mit hohem Fieber, entzündeten Schleimhäuten und völlig kraftlos ins Winsener Krankenhaus eingeliefert. Am Anfang schien nichts zu helfen und die Ärzte verabreichten mir diverse Antibiotika. Meine Haut glühte, mein Hals war zugeschwollen und ich konnte mich kaum bewegen. Am Ende vermutete man, dass ich wohl Scharlach mit irgendeinem anderen Erreger haben müsse. Nach einer Woche im Krankenhaus war zwar das Fieber weg, meine Leberwerte waren aber ziemlich schlecht und ich sollte mich daher zuhause weitere zwei Wochen mit Bettruhe schonen.
Da die Woche im Krankenhaus jedoch gleichzeitig die erste Woche meines Referendariats war, hatte ich im Anschluss nur wenig Ruhe. Ein paar Monate nach meiner Krankheit war ich immer noch furchtbar erschöpft und wenig belastbar. Die Ärztin sagte, mein Körper brauche Zeit, um sich von der schweren Krankheit zu erholen.
Ende 2013 ging es mir nicht besser. Im August 2013 hatte ich meine erste richtige Lehrstelle an einer Grundschule angetreten. Mein Hausarzt meinte, ich sei wahrscheinlich einfach gestresst oder habe einen leichten Infekt.
Arztwechsel und Mikronährstoffe
Als es mir Anfang 2014 noch immer nicht besser ging, wechselte ich zu einer Ärztin in Winsen, die sich viel Zeit für eine gründliche Anamnese nahm und ein großes Blutbild anforderte. Ich hatte einen erheblichen Mikronährstoffmangel und zu wenig rote Blutkörperchen, die dafür aber etwas zu groß waren. Gegen den Eisenmangel bekam ich eine Infusion, alles andere füllte ich mit Tabletten und Tropfen auf. Als meine Blutwerte dennoch nicht besser wurden, schickte mich meine Ärztin zur Hämatologie nach Lüneburg. Der dortige Hämatologe empfahl mir, Vitamin B12 und B6 zu nehmen und sagte, meine Ärztin solle alle drei Monate Blut abnehmen und kontrollieren, ob sich die Werte verschlechterten.
Maskierte Ursache
Das ging dann ziemlich lange so und irgendwann war es für mich schon normal, ständig müde zu sein und Schwindelanfälle zu bekommen. Außerdem nahm ich jeden Infekt, der in meinem Umfeld grassierte, mit und war daher häufig krank. Als meine Werte schlechter wurden, schickte mich meine Ärztin ins Krankenhaus St. Georg. Nach der Untersuchung hieß es, dass es da noch irgendetwas geben müsse, was noch nicht „demaskiert“ wurde. Allerdings seien die Werte noch nicht besorgniserregend und man solle einfach weiterhin alle drei Monate mein Blut kontrollieren. So wurde ich wiedermal ohne Diagnose nach Hause geschickt.
Danke für nichts, Marienkrankenhaus
Monate später hatte ich das Gefühl, meinen Alltag kaum noch bewältigen zu können. Im kam morgens nur noch mit Übelkeit aus dem Bett. Meine Ärztin veranlasste daraufhin einen stationären Aufenthalt im Marienkrankenhaus, wo mich die Ärzte einmal komplett durchchecken sollten, da sie Angst hatte, dass wir etwas übersehen. Meine inneren Organe wurden mittels Ultraschall untersucht, es wurde ein Lungenfunktionstest gemacht und ich sprach mit einem Neurologen. Borreliose wurde anhand einer Blutuntersuchung ausgeschlossen. Abgesehen davon wurde mein Blut überhaupt nicht beachtet, da mein Hämoglobinwert gerade noch ok war. Dass jedoch die Zahlen der Blutkörperchen sehr niedrig waren, interessierte niemanden. Insgesamt hatte ich das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. So wurde ich zum Beispiel trotz starker Infektanfälligkeit neben eine ältere Grippepatientin gelegt. Obwohl es mir kein Stück besser ging, mein Blutdruck sehr niedrig war (88/44) und ich während meines Aufenthalts einen heftigen Migräneanfall hatte, entließ man mich mit der Aussage, man habe nichts finden können.
Histaminintoleranz
Kurz danach stellte meine Hausärztin fest, dass mein Körper überempfindlich auf Histamin reagiert. Allein durch die Nahrungsumstellung konnte ich meine Migräne und noch einige andere Symptome in den Griff bekommen. Aber an eine Nahrungsmittelunverträglichkeit hatte man im Marienkrankenhaus (dort gab es vor Histamin strotzendes Schollenfilet) erst recht nicht gedacht. Das neue Wissen um die Histaminintoleranz war für mich zwar ein kleiner Fortschritt, erklärte aber nicht mein Blutbild und meine Erschöpfung.
Depression? Burn-Out?
Völlig entmutigt glaubte ich langsam selbst daran, an Depressionen oder an einem Burn-Out zu leiden. Während des Schulvormittags bekam ich häufiger Tinnitus und konnte plötzlich nichts mehr hören. Mir wich immer wieder alle Kraft aus den Beinen und ich hatte mitten im Unterricht das Gefühl, wegzusacken. In Stresssituationen bekam ich Schwindelanfälle, Ohrensausen und Herzrasen.
Im Januar 2020 fiel ich mehrere Wochen bei der Arbeit aus, weil es mir regelrecht körperliche Schmerzen bereitete, morgens aufzustehen. Ich hätte den gesamten Tag verschlafen können. Als ich dann einen Osteopathen aufsuchte und er sagte, dass er davon ausgehe, dass über 50% meiner Beschwerden von der Psyche kämen, überlegte ich ernsthaft, mit einer Therapie zu beginnen. Dazu muss ich aber sagen, dass ich in einem sehr gefestigten sozialen Umfeld lebe, mir mein Job Spaß macht und ich insgesamt ein positiver Mensch bin. Mein körperlicher Zustand machte mich fertig, aber psychisch war ich meiner Meinung nach eigentlich gut drauf.
Sinkende Blutwerte
Dann kam Corona und meine Blutwerte sanken trotz Lockdown (und somit zunächst weniger Stress)bedenklich ab. Meine Ärztin schickte mich noch einmal nach Lüneburg. Da ich diesmal keinen B12-Mangel hatte, wusste der Hämatologe auch nicht wirklich weiter. Er stellte zwar ein paar Vermutungen an, wollte mir aber keine Knochenmarkpunktion antun, ohne vorher eine weitere Meinung eingeholt zu haben. Also schickte er mich (wieder ohne Diagnose) weiter. Allerdings hatte er bereits „MDS?“ auf den Arztbericht geschrieben.
Endlich wird gesucht
Im Sommer 2020 besuchte ich zum ersten Mal die Hämatologisch-Onkologische Praxis Altona (HOPA) und geriet dort an eine sehr nette und kompetente Ärztin, die mir versicherte, mich so lange zu untersuchen, bis die Ursache für meine Probleme gefunden sei. Zunächst machte sie eine sehr gründliche Blutuntersuchung und ließ einen Ultraschall durchführen. Als weder das eine noch das andere neue Erkenntnisse hervorbrachte, machten wir einen Termin für die erste Knochenmarkpunktion.
KMP
Am 10. September fuhr ich mit meiner Mutter und Jan zur HOPA und bekam dort eine (gar nicht sooo schlimme) Knochenmarkpunktion. Klar, es war schon ziemlich schmerzhaft, aber zum Glück auch recht schnell vorbei. Wieder zu Hause musste ich mich 24 Stunden ausruhen und mich möglichst wenig anstrengen. Ich lag also im Bett und guckte „On day at Disney“ auf Disney+. Dort sah ich unter anderem eine 7‑minütige Folge über die ABC-Moderatorin Robin Roberts, die im Jahr 2012 die erschütternde Diagnose MDS bekam. Sie berichtete über die harte Zeit und wie sie sich nach einer Stammzelltransplantation zurück ins Leben gekämpft hatte. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, was ich 13 Tage später gesagt bekommen würde.
Am 23.9.2020 fuhr ich mit meiner Mutter erneut zur HOPA, um die Ergebnisse zu bekommen. Auf dem Hinweg wäre mein Kreislauf mitten auf der Autobahn fast zusammengebrochen. Woran das lag, wurde mir kurze Zeit später klar.
Hallo, liebe Nele,
leider finde ich mich in deinem Beitrag sehr wieder. ich habe auch seit drei Jahren auffällige Blutwerte und werde immer vertröstet. bald habe ich einen Termin beim hämatologen und bin sehr nervös. laut meiner Recherche passt MDS auch zu meinen Symptomen (leicht erniedrigte Leukos und erys, Hautveränderungen)…
ich bin sehr froh, deinen Blog gefunden zu haben. es ist sehr ermutigend, wie du dich nicht von deiner Krankheit unterkriegen lässt.
liebe Grüße, Sarah