3.2.2022
Keine zugeschnürte Kehle, kein Hautausschlag, keine Todesangst, keine Kabel, Schläuche oder Geräte. Heute jährt sich meine Stammzelltransplantation zum ersten Mal. Vor einem Jahr ging es mir schrecklich. Ich hatte gerade die Chemo und das ATG hinter mich gebracht, war an mein Bett gefesselt, konnte mich kaum bewegen und spielte im Kopf alle möglichen Szenarien für die kommenden Wochen durch. Das Atmen fiel mir schwer und ich war zudem vollkommen allein. Dabei wusste ich natürlich, dass in Gedanken ganz viele Menschen bei mir waren und mit mir die Daumen drückten. Diese Hilflosigkeit auszuhalten muss für meine Familie, meine Freunde und vor allem für Jan furchtbar gewesen sein.
Heute liege ich wieder im Bett. Diesmal bin ich allerdings zu Hause, weit entfernt von den blinkenden und piependen Armaturen im UKE. Ich habe eben gefrühstückt und dabei eine neue Playlist erstellt. Heute Nachmittag feiere ich in der Bäckerei mit einigen meiner Lieblingsmenschen, dass die ganze Scheiße nun schon ein Jahr hinter uns liegt. Leider darf man sich ja derzeit nur mit maximal 10 Personen treffen. Daher wird die richtige Party noch etwas warten müssen (Oh man, langsam fehlen mir die Partys!). Mein Vater wird heute leider nicht an meinem Geburtstagskaffeetrinken teilnehmen können. Er liegt seit drei Wochen im Krankenhaus auf der Überwachungsstation, angeschlossen an all die Geräte, die ich seit letztem Jahr so sehr hasse. In seinem Hals steckt ein ZVK, die Blutdruckmanschette bläst sich regelmäßig auf und die Sauerstoffsättigung wird durchgehend gemessen. Ich hatte gehofft, dass wir das alles hinter uns gelassen hätten, aber anscheinend wirft uns das Schicksal immer neue Steine in den Weg.
Allergie?!
Obwohl meine nächste Untersuchung erst am 11.2. stattfinden sollte, war ich bereits am Dienstag im UKE. Aus noch ungeklärter Ursache ging es mir in den letzten Wochen zunehmend schlechter. Ich fühlte mich sehr schlapp, noch müder als sonst und schwindelig. Außerdem litt ich manchmal ganz plötzlich unter starkem Husten, geschwollener Lippe und Kopfschmerzen oder bekam Quaddeln, die wie Mückenstiche aussahen und ebenso juckten (in der Armbeuge, am Zeh, am Finger, am Bauch,…). Nachdem ich am Samstag meinen Vater besucht hatte, ging ich daher in die Notfallpraxis im Krankenhaus, um mich zumindest grob abchecken zu lassen. Die Ärztin war sehr nett und konnte mir versichern, dass meine Vitalzeichen alle in Ordnung sind. Das beruhigte mich zumindest etwas.
Zuhause bekam ich nach dem Essen allerdings übelste Rückenkrämpfe, die ich mit Faszienrolle und Heizkissen zu bekämpfen versuchte. Als wäre das nicht schon genug, fing meine rechte Seite auf einmal an zu jucken. Sowohl am Hals als auch am Oberkörper bildeten sich immer mehr Quaddeln (<— „Quaddeln“ ist ein richtig ekliges Wort). Schließlich war auch die linke Seite an Hals und Schulter betroffen. Jan und ich sahen uns ratlos an. Was sollten wir machen? Alles sah nach einer allergischen Reaktion aus. Ich traute mich aber nicht, einfach Fenistil auf die betroffenen Stellen zu schmieren oder irgendein Medikament zu schlucken. Normalerweise hätte ich in der KMT-Ambulanz angerufen, aber da es Samstag war, hätte ich dort niemanden erreicht. Da der Ausschlag nach ein paar Stunden nachließ, gingen wir, das Beste hoffend, einfach schlafen. Nachts merkte ich, dass es in meinem Gesicht kribbelte. Am nächsten Morgen hatte ich wieder eine dicke und leicht taube Unterlippe. Außerdem war die Fingerkuppe meines kleinen Fingers geschwollen und juckte. Wenigstens war es Sonntag und wir hatten keine Termine. Die erste Stunde nach dem Aufwachen verbrachten wir lesend mit Kaffee im Bett. Draußen war es eklig und grau. Schon seit Tagen herrschte ein heftiger Sturm. Ich las „Der Zopf“, ein Buch über die Leben dreier Frauen, die sich mit starker Willenskraft ihrem Schicksal stellen müssen.
Jan las ein „inspirierendes“ Buch von dem zweimaligen Super-Bowl-Champion Sebastian Vollmer, welches „tiefe Einblicke in sein Mindset“ gewährt (siehe Klappentext).
Später am Tag besuchten wir Bärbel und Elmar und ihre kleine Helena. Wir hatten uns viel zu lange nicht mehr getroffen und es war sehr schön, mal wieder in Ruhe zu quatschen. Anschließend fuhren wir zu meiner Mutter und Mucki, wo wir Pfirsichtorte aßen. Am Ende des Tages machte Jan dann ultraleckere Burger, die wir beim Footballgucken verzehrten. Auch an diesem Abend bekam ich wieder juckende Quaddeln und Rückenschmerzen.
KMT-Ambulanz
Am Montag versuchte ich, Kontakt zur KMT-Ambulanz aufzunehmen. Bereits beim zweiten Versuch erreichte ich eine nette Schwester, die mich bat, gegen 16Uhr noch einmal anzurufen, da meine Ärztin an diesem Tag sehr viele Patienten und keine Pause hatte. Leider kam dann aber noch ein Notfall rein, sodass kein Arztgespräch mehr möglich war. Als ich abends wieder von einer Vielzahl von Quaddeln heimgesucht wurde und zudem wie aus dem Nichts starken Husten, eine laufende Nase und Halsschmerzen hatte, rief ich schließlich auf der Station an. Leider konnte man mir auch nicht wirklich helfen, ohne mich persönlich zu sehen. Ich sollte aber lieber keine Tablette oder Creme benutzten.
Am nächsten Tag bat man mich, in die KMT-Ambulanz zu kommen. Meine Mutter fuhr mich nach Hamburg, da es mir überhaupt nicht gut ging. Mir war schwindelig, schlecht, ich bekam schlecht Luft und war einfach „fertig“. Zudem war mein rechtes Auge wieder einmal geschwollen. In der Anmeldung angekommen, liefen mir sogar ein paar Tränen. Ich bekam netterweise einen Liegesitz, auf dem ich mich entspannen konnte. Nach einer Weile des liegenden Wartens ging es mir schon besser. Meine Ärztin holte mich ab und wir sprachen über meine Symptome. Sie sagte, dass sie auch von einer Allergie ausgehe. Zwar werden starke Allergien der Spender abgefragt, aber es wird kein allgemeiner Allergietest vor der Spende gemacht. Das heißt, dass es durchaus möglich ist, dass ich eine Allergie meines Spenders übernommen habe. Da ich am 11.2. ja eh zur Knochenmarkpunktion im UKE bin, hat meine Ärztin mir für diesen Tag zusätzlich einen Termin beim Allergologen sowie beim Dermatologen vereinbart. Als nächstes stehen dann auch die anderen jährlichen Untersuchungen wie Herzecho, Lungenfunktionstest, etc. an. Diese werde ich aber wahrscheinlich im Krankenhaus in Winsen machen lassen. Beruhigenderweise sagte meine Ärztin, dass sie nicht von einer GvHD ausgehe. Mein Chimärismus liege weiterhin bei über 99,9%. Sie stellte mir ein Rezept für ein Antihistaminikum sowie für die nächste Wärme-/Massagebehandlung gegen meine Rückenschmerzen aus. Wir sprachen auch über die psychischen Belastungen, die mir im Moment zu schaffen machen. Ich erzählte ihr, dass ich inzwischen einen Termin bei dem Kinesiologen hatte und er mir auch ein bisschen weiterhelfen konnte, indem er bestehende Spannungen gelöst hat. Sie sagte, ich solle bei Bedarf gerne einen Psychoonkologen aufsuchen, da es ganz typisch sei, dass Patienten, sobald es ihnen körperlich besser geht, Probleme mit der Psyche bekommen. Gerade jetzt, wo sich die Zeit im Krankenhaus jährt, kommen viele Erinnerungen wieder hoch und müssen verarbeitet werden. Nach dem Gespräch wurde mir Blut abgenommen. Während ich auf die Ergebnisse wartete, schaute ich aus dem Fenster in den grauen Himmel. Es nieselte schon den ganzen Morgen. Auf einem Kittel, der auf der Fensterbank lag, krabbelte ein kleiner Marienkäfer. Irgendwie passte er überhaupt nicht in die sonst so sterile Umgebung. Mein Handy leuchtete auf. Es war eine Nachricht meiner Tante in unserer WhatsApp-Familiengruppe. Sie befand sich ebenfalls im UKE und hatte gerade niederschmetternde Nachrichten erhalten. „Ich nehme alles mit, was ich kriegen kann. Bestrahlung, Chemo und eine Magensonde“. Was für eine Scheiße! Bei meiner Familie scheint irgendwie der Wurm drin zu sein. Aber wir bleiben optimistisch und halten das aus. Irgendwann müssen die miesen Nachrichten mal ein Ende haben. Zu meiner Erleichterung waren alle meine Werte vollkommen in Ordnung. Als ich die KMT-Ambulanz verließ, ging es mir schon viel besser als am Morgen.
Obwohl ich so kacke aussah, machten mir die Schwestern bei der Blutabnahme Komplimente. Sie sagten, dass ich schöne Augen hätte und mir die kurzen Haare sehr gut stehen würden. Es fiel mir schwer, ihnen zu glauben, aber sie sagten: „Sie müssen Komplimente auch einfach mal annehmen können, Frau Hobst!“
Endlich eine Frisur
Ich muss sagen, dass ich mit meinen Haaren wieder zufrieden bin, seit mit Luise mit zu ihrem Friseur genommen hat. Endlich habe ich wieder eine Frisur und verzweifle nicht mehr jeden Morgen vor dem Spiegel! Jonny hat gute Arbeit geleistet. Inzwischen weiß ich auch gar nicht mehr, ob ich die Haare wirklich wieder länger wachsen lassen will. Wiebke meinte neulich, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen kann, wie ich mit langen Haaren aussehe. Mein Umfeld hat sich anscheinend auch sehr schnell an meine neue Frisur gewöhnt.
Was ist sonst noch so passiert?
Konventionsbeauftragte
Ich wurde am 12. Januar einstimmig als Konventionsbeauftragte in das DRK-Präsidium unseres Kreisverbandes gewählt. Meine Aufgabe ist unter anderem die Verbreitung des humanitären Völkerrechts. Dazu gehört auch, auf die Einhaltung der Genfer Konventionen und der sieben Grundsätze des Roten Kreuzes zu achten und diese gegebenenfalls einzufordern. Durch meine 25 Jahre im Jugendrotkreuz bin ich in diesem Bereich zum Glück bestens ausgebildet. Die Geschichte des Roten Kreuzes, die Funktion der Schutzzeichen, die Genfer Abkommen sowie die Grundsätze sind mir bestens vertraut. Auf dem Bild, das nun auf der Homepage zu finden ist, habe ich versucht, einen möglichst kompetenten Eindruck zu machen.
Filmklappe
Im Januar habe ich außerdem einen Film für die Heide-Wendland-Filmklappe geschnitten. Sara, Klara und Paul vom Jugendrotkreuz wollten gerne einen Film drehen. Die Kinder hatten bereits einige Ideen gesammelt und der erste Drehtermin stand fest. Gefilmt werden sollte in unserer Kunst-Bäckerei, da dort genügend Platz und diverse Hintergründe zur Verfügung stehen, wir viele Requisiten besitzen und sich auch die technische Ausrüstung dort befindet (Stative etc.). Doch dann brach in ihrer Klasse plötzlich Corona aus und alle mussten zu Hause bleiben. Kurzentschlossen planten wir daher um. Mit ihren Handykameras nahmen die Drei kleine Videos mit Ideen für eine Corona-Quarantäne auf, die ich anschließend bearbeitete und zusammenfügte. Das Ergebnis kann man sich jetzt auf YouTube angucken (einfach „Heide Wendland Filmklappe, Quarantäne“ eingeben). Außerdem habe ich einen Fotostory-Film eingereicht, der im Sommer entstanden ist und zeigt, wie sich zwei Kinder verletzen und vier andere Erste Hilfe leisten.
Blutspende
Außerdem veranstalteten wir am 17. Januar eine Blutspende. Da fast alle unserer JRK-Mädels unter Quarantäne standen, war unser Team ziemlich klein. Es funktionierte aber dennoch alles reibungslos. Bei der nächsten Blutspende, am 14.3., wird auch wieder jemand von der DKMS anwesend sein, um Typisierungen vorzunehmen. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Menschen als Stammzellspender registrieren lassen.
4.2.2022
Der gestrige Tag war wirklich schön! Vor dem Eintreffen der Gäste habe ich den großen Raum mit Girlanden und Luftschlangen geschmückt. Es hat sich wie ein richtiger Kindergeburtstag angefühlt. Zuerst kamen Wiebke und Alex mit ihren ingesamt vier Kindern, dann traf meine Mutter mit Kuchen und Torte ein und schließlich kamen noch Jan, Luise, mein Bruder und meine Schwiegereltern. Ich bekam sogar Blumen, Wunderkerzen und Geschenke!
GNTM
Abends fuhr ich zu Jan und Steffi, um mit Steffi die erste Folge GNTM zu gucken. Dabei tranken wir Wein und knabberten Snacks, während wir gemütlich auf dem Sofa lagen und Maja (die Katze des Hauses) um uns herum streunerte. Jan kam später auch noch, verschwand aber sogleich mit Jan (schlimm, alle heißen Jan) im Zockerzimmer. Ehrlich gesagt habe ich gar nicht so viel von der Sendung mitbekommen, weil wir uns so gut unterhalten haben. Mir ist allerdings aufgefallen, dass es inzwischen anscheinend noch weniger ums Modeln geht als um die Selbstdarstellung von Heidi Klum. Sie hat jetzt sogar ernsthaft mit Snoop Dogg den Titelsong für ihre Show gesungen! Von den Kandidatinnen sieht nur ein kleiner Teil so aus, als könnte er als Model Erfolg haben. Ich bin sehr für Vielfalt und Diversität, aber realistische Aussichten auf eine spätere Arbeit im Modegeschäft haben die meisten der Teilnehmerinnen nicht. Im Werbebereich sind Firmen ja ziemlich flexibel und gehen immer mehr in Richtung Diversität (auch, wenn wirklich selten Araber oder Türken zu sehen sind. Wenn jemand mit Migrationshintergrund dargestellt wird, ist er/sie meistens schwarz). Was den Laufsteg und Modeshootings betrifft, sind die Aussichten für übergewichtige, kleine und nicht-der-Körpernorm-entsprechende Models aber eher schlecht. Es hat ja schließlich einen Grund, dass Models fast alle gleich aussehen. Sie dienen den Designern als Anziehpuppen für ihre Kollektionen. Das Model muss in die Kleidung passen, nicht andersrum. Klar, wäre es schön, wenn das Individuum im Mittelpunkt stehen würde und es mehr um die Persönlichkeiten auf dem Laufsteg gehen würde. Aber das ist utopisch. Wünschenswert wäre auf jeden Fall eine Anpassung der „Norm“, damit die armen Supermodels nicht immer aufs Essen verzichten müssen.
Vielleicht sollte man lieber auf solche Shows wie GNTM verzichten und den Mädels auf andere Art und Weise klarmachen, dass sie schön sind. Vor allem bedeutet Model sein ja überhaupt nicht, dass man schön ist. Was ich sagen möchte: Ich finde es falsch zu suggerieren, jedes Mädchen und jede Frau könnte ein Model sein. Nicht jede/r ist für den Modeljob geeignet und das ist auch überhaupt nicht schlimm. Es ist im Übrigen auch nicht jede/r zum Sänger oder zur Sängerin geboren (auch du nicht, Heidi. Sorry!). Manche Menschen haben einfach von Natur aus eine richtig gute Stimme und man hört ihnen gerne zu. Alle anderen können zum Spaß singen so viel sie wollen und damit glücklich sein, aber sie werden niemals an eine Ariana Grande oder einen Ray Charles herankommen. Sowas muss man einfach akzeptieren. Fast jeder hat irgendein Talent, mag es auch noch so schräg sein. Niemand ist in allem gut und niemand ist in allem grottenschlecht. Auch wenn ich zugeben muss, dass einige Menschen mit mehr Talenten gesegnet sind als andere. Man sollte lieber für das dankbar sein, was man gut kann, anstatt sich ständig darüber zu ärgern, was andere besser können als man selbst. Und außerdem kann man sich auch einfach mal (ganz ohne Missgunst) für jemand anderen freuen!