Ciao 2021

Ciao 2021

Es ist der letz­te Tag des Jah­res 2021; Die Uhr zeigt 10:12Uhr. Ich lie­ge mit leich­ten Kopf­schmer­zen und ei­nem le­cke­ren Lat­te Mac­chia­to in mei­nem Bett. Eben habe ich mich hef­tig an mei­ner Co­trim For­te-Ta­blet­te ver­schluckt. Das wär’s noch: Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­on gut über­stan­den und dann an der Me­di­zin er­stickt. Jan schreibt ge­ra­de eine Ein­kaufs­lis­te für heu­te Abend. Wir fei­ern zu fünft bei mei­nem Bru­der mit Ra­clette, Spie­len, Al­ko­hol und (hof­fent­lich) Ka­rao­ke. Ei­gent­lich hat­ten Lui­se und ich ge­plant, Sil­ves­ter in un­se­rem schö­nen Kunst­raum zu fei­ern, aber als wir dort ges­tern Ke­ra­mik be­malt ha­ben, sind uns fast die Fin­ger ab­ge­fal­len, weil die Hei­zung nicht rich­tig an­sprang und es des­halb im Raum viel käl­ter war als drau­ßen. So durch­ge­fro­ren war ich ewig nicht mehr. Nach­dem ich sehr lan­ge heiß ge­duscht hat­te, war ich kör­per­lich völ­lig er­le­digt. Je­den­falls ver­leg­ten wir un­se­ren Sil­ves­ter­plan da­her in das Haus mei­nes Bruders. 

Omas Ge­schich­te

Es ist echt schwach von mir, dass ich mal wie­der so lan­ge nichts hoch­ge­la­den habe. Man könn­te fast mei­nen, ich wäre schreib­faul ge­we­sen, aber das wäre nur teil­wei­se rich­tig. Tat­säch­lich habe ich in den Wo­chen vor Weih­nach­ten näm­lich so viel ge­schrie­ben, dass mei­ne Näch­te ziem­lich kurz wa­ren und mei­ne rech­te Hand knapp vor ei­ner Seh­nen­schei­den­ent­zün­dung stand. Zu Weih­nach­ten woll­te ich mei­ner Mut­ter das alte Ta­ge­buch mei­ner Oma ab­tip­pen. Sie schrieb es 1943/44 als sie 14/15 Jah­re alt war. Die Ge­schich­te ist süß, span­nend und tra­gisch. Vor al­lem ist sie aber so gut ge­schrie­ben, dass man sich ge­fühls­mä­ßig sehr gut in die da­ma­li­ge Si­tua­ti­on hin­ein­ver­set­zen kann. Wäh­rend Jan längst im Bett lag und schlief, habe ich mit mei­ner ju­gend­li­chen Oma ge­hofft, ge­lit­ten und mich ge­freut. Bei al­lem spielt der Krieg nur eine Ne­ben­rol­le. Ei­gent­lich geht es nur um Ei­nes: Ro­bert. Das Ge­fühls­cha­os und der Herz­schmerz las­sen sich wahr­schein­lich auf je­des 14-jäh­ri­ge Mäd­chen zu je­der Zeit über­tra­gen. Teil­wei­se war ich so wü­tend oder emo­tio­nal auf­ge­wühlt, dass ich gar nicht rich­tig schla­fen konn­te. Ich habe das Ta­ge­buch wäh­rend des Ab­tip­pens zum ers­ten Mal ge­le­sen. Es war des­halb fast so, als wür­de ich es selbst schrei­ben. Gleich­zei­tig las ich als eine Art all­wis­sen­der Er­zäh­ler mit Hin­ter­grund­wis­sen, wel­ches die jun­ge Beke da­mals noch nicht hat­te. Sie wuss­te nichts von den Gräu­el­ta­ten, die sich im Na­men des „Deut­schen Va­ter­lan­des“ zeit­gleich ab­spiel­ten. Sie ahn­te auch nicht, dass ihr Bru­der sei­ne Ein­drü­cke aus dem Krieg nie­mals wür­de ver­ar­bei­ten kön­nen, dass ihr Va­ter in der rus­si­schen Kriegs­ge­fan­gen­schaft ster­ben und dass ihre gro­ße Her­zens­lie­be Ro­bert nur drei Jah­re spä­ter bei ei­nem tra­gi­schen Ar­beits­un­fall ums Le­ben kom­men würde.

Mei­ne Oma be­schrieb sehr gut, wann und wo et­was ge­schah, in­klu­si­ve Stra­ßen­na­men. Lei­der (naja, ei­gent­lich zum Glück) ha­ben sich die Na­men der Plät­ze und Stra­ßen nach dem Krieg ge­än­dert. Nie­mand hät­te wei­ter­hin am Schla­ge­ter­platz oder in der Adolf-Hit­ler-Stra­ße woh­nen wol­len. Da­mit ich die lan­gen Spa­zier­gän­ge von Ro­bert und Beke den­noch nach­voll­zie­hen konn­te, ließ ich mir vom Stadt­ar­chiv Sta­de ei­nen Stadt­plan von 1938 schi­cken (Sie hat­ten nur 1938 oder 1946). Au­ßer­dem be­saß ich noch ei­ni­ge alte Fo­tos, die ich dem Do­ku­ment hin­zu­füg­te. Am Ende hat­te ich eine rie­si­ge Da­tei von über 300 Di­nA5-Sei­ten, die ich dop­pel­sei­tig im Bro­schü­ren­for­mat mit wech­seln­den Sei­ten­rän­dern (in­nen brei­ter als au­ßen) aus­druck­te, zu­recht­schnitt und mit­hil­fe von Buch­schrau­ben und ei­nem selbst­er­stell­ten Ein­band (mit Buch­bin­der­pap­pe, Ge­we­be­band und so) zu ei­nem Buch, bzw. zu zwei Bü­chern zu­sam­men­füg­te. Na­tür­lich klapp­te nicht al­les ein­wand­frei und es war ein Kampf, dem Dru­cker mei­nen Wil­len auf­zu­zwin­gen. Am Ende war ich mit dem Er­geb­nis so­weit zu­frie­den, dass ich es ver­schen­ken konn­te. Al­ler­dings muss ich den Schluss noch­mal über­ar­bei­ten, weil dort beim Druck die Sei­ten­rän­der ver­rutscht sind. Wie auch im­mer so­was pas­sie­ren kann!? Aber zum Glück las­sen sich Dank der Buch­bin­de­schrau­ben ein­zel­ne Sei­ten ganz ein­fach austauschen.

Weih­nach­ten

Weih­nach­ten war sehr ent­spannt. Vor al­lem, wenn man be­denkt, mit wel­chen Ge­füh­len wir alle vo­ri­ges Jahr un­ter dem Tan­nen­baum sa­ßen. Nie­mand wuss­te, was die nächs­ten Mo­na­te brin­gen wür­den und die Angst vor ei­nem ne­ga­ti­ven Ende „mei­ner Ge­schich­te“ schweb­te über mei­ner Fa­mi­lie wie ein Da­mo­kles­schwert. Die­ses Jahr war da­her al­les besser.

Am 24. stat­te­ten wir zu­nächst mei­ner Cou­si­ne Nad­ja ei­nen Be­such zum Ge­burts­tags­brunch ab. Auf­grund von Co­ro­na wa­ren wir we­ni­ger Per­so­nen als nor­ma­ler­wei­se. Mein Cou­sin brach­te sei­ne Freun­din mit, die wir zum ers­ten Mal sa­hen. Sie war auf An­hieb to­tal sym­pa­thisch (ich hat­te auch nichts an­de­res er­war­tet). Au­ßer­dem wa­ren noch mei­ne Mut­ter und mei­ne Tan­te (wir tref­fen uns im­mer in ih­rem Haus, dem El­tern­haus mei­nes Va­ters) an­we­send. Zu­letzt hat­te ich mei­ne Cou­si­ne vor ei­nem Jahr ge­se­hen, was ziem­lich scha­de ist. Nad­ja, war­um se­hen wir uns so sel­ten??? Ham­burg und Win­sen sind ja nun wirk­lich nicht weit von­ein­an­der entfernt!

Im An­schluss fuh­ren wir in Me­ckel­feld noch schnell bei Rewe ran, um eine hal­be Stun­de vor La­den­schluss zwei Ge­trän­ke­kis­ten mit Fritz-Li­mo­na­de, Cola, Misch­masch und Vita Malz zu er­gat­tern. Nor­ma­ler­wei­se trin­ken wir zur­zeit ei­gent­lich nur Lei­tungs­was­ser, weil es ein­fach rich­tig gut schmeckt, im­mer vor­han­den, im­mer kühl und oben­drein noch zu­cker­frei ist. Au­ßer­dem pro­du­ziert man we­der Pfand noch Müll. Habt ihr ei­gent­lich mit­be­kom­men, dass jetzt auf alle Ge­trän­ke­fla­schen Pfand er­ho­ben wird? Ede­ka macht das schon seit über ei­nem Mo­nat. Nach­dem ich zu­fäl­lig ei­nen dies­be­züg­li­chen Aus­hang an der Kas­se ge­le­sen hat­te, muss­te ich zu­hau­se erst­mal mei­ne Man­gos­aft-Fla­schen aus dem gel­ben Sack ho­len, weil ich sie rou­ti­niert weg­ge­wor­fen hat­te, ohne dar­auf zu ach­ten, dass da in­zwi­schen ein Pfand­sym­bol drauf ist.

Zu­hau­se an­ge­kom­men, guck­ten Jan und ich wie je­des Jahr die Mup­pets Weihnachtsgeschichte. 

Pfle­ge­hei­me 

In der Vor-Co­ro­na­zeit bin ich an Hei­lig­abend mit mei­ner Mut­ter und zwei Mäd­chen vom JRK (meis­tens Na­ta­lia und An­na­le­na) zwan­zig Jah­re lang ge­gen 14 Uhr zum Pfle­ge­heim ge­fah­ren und hab‘ al­ten Men­schen Weih­nachts­lie­der vor­ge­sun­gen. Wir sind vor al­lem in die Zim­mer ge­gan­gen, in de­nen die Leu­te la­gen, die nicht mehr an der gro­ßen Weih­nachts­fei­er im Spei­se­saal teil­neh­men konn­ten oder woll­ten. Ver­klei­det als Weih­nachts­mann oder En­gel lie­ßen wir uns vom Per­so­nal zei­gen, wo wir am bes­ten hin­ge­hen soll­ten. Als Ge­schenk brach­ten wir Fens­ter­bil­der oder Mo­bi­les mit, die wir vor­her mit un­se­rer Ju­gend­rot­kreuz­grup­pe ge­bas­telt hat­ten. In ei­ni­gen Zim­mern hin­gen be­reits meh­re­re un­se­rer Bas­te­lei­en aus den Vor­jah­ren – oft die ein­zi­ge Weih­nachts­de­ko­ra­ti­on im Raum. Die freu­di­gen Ge­sich­ter der Men­schen, das Auf­fla­ckern al­ter Er­in­ne­run­gen beim Hö­ren der alt­be­kann­ten Weih­nachts­lie­der, die Trä­nen der Rüh­rung, weil je­mand an sie denkt, das be­geis­ter­te Mit­sin­gen und die aus all dem spre­chen­de Dank­bar­keit wa­ren für mich im­mer ein High­light des Hei­lig­abends. Vor­letz­tes Jahr war ich zu­letzt mit mei­nen bei­den Schü­le­rin­nen Ala und Sou­heyla im Pfle­ge­heim. Als En­gel­chen sa­hen sie so süß aus! Zu­dem san­gen sie sehr schön, laut und text­si­cher. Man konn­te ih­nen an­se­hen, wie nahe ih­nen das Schick­sal der al­ten Be­woh­ner ging. Manch­mal wünsch­ten sie „Gu­ten Bes­se­rung“ oder sag­ten: „Hof­fent­lich kön­nen Sie bald wie­der nach Hau­se!“ Als ich den Mäd­chen dar­auf­hin er­klär­te, dass die­ses Pfle­ge­heim für die meis­ten der hier le­ben­den Per­so­nen nun ihr Zu­hau­se sei und der Groß­teil der Be­woh­ner auch hier ster­ben wür­de, stand ih­nen noch mehr Mit­leid ins Ge­sicht ge­schrie­ben. Wenn man in so ei­nem klei­nen muf­fi­gen Raum steht, der nach Sal­be, Pipi und Tod riecht, schaut man sich oft die Fo­tos an den Wän­den und auf den Schrän­ken an. Be­son­ders gut er­in­ne­re ich mich an das Zim­mer ei­nes al­ten Man­nes, des­sen Bil­der die gan­ze Wand be­deck­ten und von ei­nem auf­re­gen­den Le­ben mit vie­len Rei­sen und Freun­den zeug­te. Nun saß die­ser ehe­mals groß-ge­wach­se­ne, star­ke Mann zu­sam­men­ge­sun­ken und buck­lig im Halb­dun­kel an ei­nem kah­len Tisch, vor sich ein Stück But­ter­ku­chen. Als ob das nicht schon trau­rig ge­nug ge­we­sen wäre, fing er bit­ter­lich an zu wei­nen, als An­na­le­na ihm ein ge­bas­tel­tes Schaf aus Ton­pa­pier und Wat­te schenk­te. „Das ist für mich?!“ Er er­griff es sicht­lich ge­rührt mit zit­tern­den Hän­den und stell­te es be­hut­sam vor sich auf den Tisch. „Aber ich hab ja gar nichts für euch!“, die­sen Satz hör­te man sehr häu­fig. Die Men­schen sind es nicht mehr ge­wohnt, dass man Din­ge ohne Ge­gen­leis­tung tut, ein­fach nur, um an­de­ren eine Freu­de zu ma­chen. Da die Pan­de­mie auch in die­sem Jahr ei­nen Be­such im Pfle­ge­heim ver­hin­dert hat, ka­men die ge­bas­tel­ten Weih­nachts­grü­ße (Mo­bi­les mit Schnee­män­nern und Ster­nen) dies­mal in Um­schlä­ge, wel­che wir dann der Pfle­ge­lei­tung über­ga­ben, mit der Bit­te, sie an die Be­woh­ner zu ver­tei­len. Es ist ir­gend­wie ziem­lich trau­rig, wie selbst­ver­ständ­lich alte Men­schen in un­se­rer Ge­sell­schaft in Pfle­ge­hei­me „ab­ge­scho­ben“ wer­den. Ich weiß aus ei­ge­ner Er­fah­rung, dass es meist nicht an­ders geht, da es den An­ge­hö­ri­gen an Zeit, Räum­lich­kei­ten und Fä­hig­kei­ten man­gelt. Hier in Deutsch­land lebt die Fa­mi­lie oft weit ver­streut in Woh­nun­gen und Häu­sern ohne Fahr­stuhl, alle ar­bei­ten. Da ist es nicht mög­lich, die pfle­ge­be­dürf­ti­ge Oma mal eben zu sich nach Hau­se zu ho­len. Al­lei­ne las­sen kann man sie aber ir­gend­wann auch nicht mehr, spä­tes­tens dann nicht, wenn sie an­fängt zu ko­chen und mit­ten­drin im Ses­sel ein­schläft, wäh­rend das Es­sen auf dem Herd Feu­er fängt.

Wenn mein Opa da­mals ge­stürzt ist, ha­ben wir es mit Mühe und Not ge­schafft, ihn zu zweit wie­der in den Roll­stuhl zu set­zen. Hät­te er al­lein ge­lebt, wäre er wahr­schein­lich auf dem Bo­den lie­gend ver­durs­tet, weil nie­mand ihn ge­fun­den hät­te. Für ihn war der ei­ge­ne Ver­fall kaum zu er­tra­gen ge­we­sen. Wie de­mü­ti­gend muss es sein, nicht mehr selbst­stän­dig auf die Toi­let­te ge­hen zu kön­nen? Ich er­in­ne­re mich noch dar­an, wie er bis zur letz­ten Mi­nu­te um sei­ne Kraft ge­kämpft hat und wie er samt sei­ner Krü­cke die stei­le Lei­ter zum Spitz­dach­bo­den em­por­ge­stie­gen ist, um in zwölf Me­tern Höhe den Schorn­stein zu re­pa­rie­ren. Als am Ende gar nichts mehr ging, sa­ßen wir uns auf sei­nem Bett ge­gen­über, in den Hän­den knol­li­ge Bier­fla­schen, und re­de­ten. „Ach Nele, ich hab kei­ne Lust mehr. Es reicht mir! Ich hat­te ein schö­nes Le­ben. Die letz­ten zwei Jah­re hät­ten nicht sein müs­sen.“ Ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter starb er. Zu sei­nem Glück ver­brach­te er nur we­ni­ge Tage un­ter star­ken Schmerz­mit­teln im Pfle­ge­heim, be­vor er ins Hos­piz ver­legt wur­de, wo er kurz dar­auf von uns ging. Ich glau­be nicht, dass er von die­ser letz­ten Zeit viel mit­be­kom­men hat. Als mei­ne Oma dann al­lein in ih­rem gro­ßen Haus leb­te, bo­ten Jan und ich ihr an, bei ihr ein­zu­zie­hen. Die bei­den obe­ren Stock­wer­ke wur­den eh seit Ewig­kei­ten nur noch für un­se­re Par­tys und als La­ger­raum ge­nutzt. Aber sie lehn­te ab. Als sie ei­ni­ge Jah­re spä­ter pfle­ge­be­dürf­tig wur­de, fuhr mei­ne Mut­ter täg­lich nach der Ar­beit bei ihr vor­bei, um nach dem Rech­ten zu se­hen. Zu­dem zier­te fort­an ein Arm­band des Haus­not­rufs das Hand­ge­lenk mei­ner Oma. Wäre sie da­mit ein­ver­stan­den ge­we­sen, eine pri­va­te Pfle­ge­kraft bei sich ein­zie­hen zu las­sen, hät­te sie noch län­ger in ih­rem Haus woh­nen blei­ben kön­nen. Da sie aber auch das nicht woll­te, blieb schließ­lich nur noch das Pfle­ge­heim. Ich weiß, dass mei­ne Mut­ter sich bis heu­te Vor­wür­fe macht, weil mei­ne Oma ihre letz­ten Jah­re nicht zu Hau­se ver­brin­gen konn­te. Da­bei wa­ren es letz­ten En­des al­lein die Ent­schei­dun­gen mei­ner Oma selbst, die ihr Schick­sal be­sie­gelt ha­ben. Je­den Tag fuhr mei­ne Mut­ter ins chro­nisch un­ter­be­setz­te und völ­lig über­teu­er­te Pfle­ge­heim, um die Auf­ga­ben zu er­le­di­gen, die an­sons­ten auf der Stre­cke blie­ben. Die Zu­stän­de in die­ser Ein­rich­tung wa­ren teil­wei­se wirk­lich er­schre­ckend und nur schwer in Wor­te zu fas­sen. Man hat­te oft das Ge­fühl, die Be­woh­ner wür­den mit Me­di­ka­men­ten ru­hig ge­stellt. Um 17 Uhr gab es be­reits Abend­brot, um 18 Uhr hat­ten alle im Bett zu sein und zu schla­fen, auch wenn es drau­ßen noch bis 22 Uhr hell war. Als der Fahr­stuhl ka­putt war, dau­er­te es ge­schla­ge­ne sie­ben Wo­chen, bis die geh­be­hin­der­ten Be­woh­ner vom 1. bis zum 4. Stock wie­der nach drau­ßen konn­ten. (Al­ler­dings hol­te sie eh sel­ten je­mand zu ei­nem Roll­stuhl-Spa­zier­gang ab.) Die meis­ten Pfle­ge­kräf­te wa­ren lie­be­voll und ar­bei­te­ten selbst völ­lig am Li­mit, im­mer in dem Wis­sen, nie­man­dem ge­recht zu wer­den. Doch ich er­in­ne­re mich auch dar­an, wie mei­ne Oma von ei­ner bos­haf­ten Pfle­ge­rin be­rich­te­te, die mit ihr sprach wie mit ei­nem dre­cki­gen Haus­tier, die sie bru­tal an­pack­te und ihr die Hil­fe beim Toi­let­ten­gang ver­sag­te. Was muss das für ein Ge­fühl sein, so be­han­delt zu werden? 

An gu­ten Ta­gen un­ter­hielt mei­ne Oma die an­de­ren Be­woh­ner mit klei­nen Vor­füh­run­gen, die sie mit ih­rer Pup­pe Lu­zie dar­bot. Ich weiß noch, wie mir der Pfle­ger ein­mal von ei­nem Anti-NS-Zeit-Stück be­rich­te­te, bei dem mei­ne Oma Lu­zie auf den rech­ten Arm schlug und ihr ver­bot, ihn zu he­ben: „Das ma­chen wir nicht mehr. Das ist böse und ver­bo­ten!“ Ob­wohl das Heim nicht im ge­rings­ten un­se­ren Wün­schen und An­for­de­run­gen ent­sprach, war es schwer, eine Al­ter­na­ti­ve zu fin­den. Alle Häu­ser im Um­kreis wa­ren be­legt. Im­mer­hin hat­te mei­ne Oma ein Ein­zel­zim­mer mit Bal­kon. Zu­dem ent­wi­ckel­te sie ro­man­ti­sche Ge­füh­le für ih­ren Zim­mer­nach­barn, der sie im­mer zum Abend­essen ab­hol­te und von dem sie sich nichts sehn­li­cher wünsch­te als ei­nen klei­nen Kuss. Mei­ne Hoch­zeit er­leb­te sie lei­der nicht mehr, aber als wir sie be­such­ten, um ihr von un­se­rer Ver­lo­bung zu be­rich­ten, schau­te sie Jan an und sag­te: „Das find ich gut! Weißt du war­um? — Ich mag dich!“

Durch ih­ren Tod im Mai 2019 ist ihr we­nigs­tens Co­ro­na er­spart geblieben.

7. Ja­nu­ar 2022

Es war SO klar, dass ich es nicht schaf­fe, am 31.12. schnell noch ei­nen Ta­ge­buch­ein­trag zu ver­fas­sen. Ich bin schon wie­der ex­trem ge­nervt von mir selbst und es stresst mich to­tal, dass ich es in den letz­ten zwei Mo­na­ten nicht ge­schafft habe, auf­zu­schrei­ben, was al­les pas­siert ist. Da­bei will ich ja vor al­lem er­zäh­len, wie es mir ge­sund­heit­lich er­gan­gen ist, aber statt­des­sen ver­lau­fe ich mich beim Schrei­ben im­mer wie­der in an­de­ren Ge­schich­ten. Also, um das ab­zu­schlie­ßen, schrei­be ich jetzt kurz was über Weih­nach­ten und Sil­ves­ter und ver­su­che mich dann auf die we­sent­li­chen ge­sund­heit­li­chen Ent­wick­lun­gen zu konzentrieren.

Hei­lig­abend

An Hei­lig­abend sind wir zu mei­nem Bru­der und sei­ner Freun­din Mei­ke ge­fah­ren, wo wir den Abend so­wohl mit ih­ren als auch mit un­se­ren El­tern ver­brach­ten. Es gab Rote Bee­te-Car­pac­cio, Gu­lasch mit Klö­ßen und Rot­kohl so­wie Crè­me Brûlée. Es war al­les sehr le­cker, al­ler­dings hab ich an­schei­nend auf ir­gend­et­was (viel­leicht ein Ge­würz?) all­er­gisch re­agiert. Am nächs­ten Mor­gen war mein rech­tes Auge dick an­ge­schwol­len. Nach ein paar Stun­den ging die Schwel­lung aber von selbst wie­der weg. Nachts, nach­dem mei­ne El­tern nach Hau­se und Mei­kes El­tern schla­fen ge­gan­gen wa­ren, hol­te Jan sei­ne Gi­tar­re aus dem Auto und wir mach­ten noch ein biss­chen Mu­sik. Al­ler­dings san­gen wir die­ses Jahr kei­ne Weih­nachts­lie­der. Es war sehr schön, nur Wil­ma (die Haus­hün­din) kam gar nicht klar, weil sie to­ta­le Pa­nik vor der Gi­tar­re hatte. 

1. Weih­nachts­fei­er­tag

Der ers­te Weih­nachts­fei­er­tag war so ent­spannt wie ewig nicht mehr. Jan und ich la­gen den gan­zen Tag mit Bett­de­cke auf dem Sofa und guck­ten Weih­nachts­fil­me: Ke­vin al­lein zu Haus, Nar­nia, Stirb lang­sam, Ke­vin al­lein in New York. Zwi­schen­durch koch­te Jan uns le­cke­res Es­sen. Es gab Schwei­ne­me­dail­lons im Speck­man­tel, Kro­ket­ten, Rot­kohl und Speck­boh­nen. Das Glei­che hat er mir auch ser­viert, als er vor über 12 Jah­ren das ers­te Mal für mich ge­kocht hat.

2. Weih­nachts­fei­er­tag

Am 26. fuh­ren wir zum Kaf­fee­trin­ken zu mei­nen El­tern, wo sich auch mei­ne Tan­te und mein On­kel ein­fan­den. Wir aßen Tor­te und spiel­ten an­schlie­ßend „Just One“ und „Pic­tures“. Bei­de Spie­le kann ich wärms­tens emp­feh­len! An­schlie­ßend fuh­ren wir zu Pad­dy, Jojo und Pau­la, wo wir Wraps aßen, Pau­las Weih­nachts­ge­schen­ke aus­pro­bier­ten und spä­ter am Abend noch ein Exit-Spiel spiel­ten. Wäh­rend wir rät­sel­ten, fing mei­ne Un­ter­lip­pe plötz­lich an zu krib­beln. Mei­ne Mit­spie­ler und der Ba­de­zim­mer­spie­gel be­stä­tig­ten mir eine Schwel­lung, die im Ver­lauf der fol­gen­den Stun­de zu­nahm. Am nächs­ten Mor­gen sah die Lip­pe zum Glück fast wie­der nor­mal aus. Den­noch rief ich in der KMT-Am­bu­lanz an, um zu fra­gen, was ich ma­chen soll, wenn Tei­le mei­nes Ge­sichts plötz­lich an­schwel­len. Lei­der war die Lei­tung durch­ge­hend be­setzt. Beim sieb­ten Ver­such kam ein Frei­zei­chen, aber es ging nie­mand ran, auch kein An­ruf­be­ant­wor­ter. Ich fand es in mei­nem Fall nicht so schlimm, da es mir ja an­sons­ten gut ging. Al­ler­dings hät­te ich auch in kri­ti­schem Zu­stand nie­man­den er­reicht. Dass Per­so­nal­man­gel herrscht und sich die ar­men Schwes­tern in der KMT-Am­bu­lanz eh schon ein Bein aus­rei­ßen, ist seit Län­ge­rem be­kannt. Wahr­schein­lich ka­men jetzt noch ein paar Krank­heits­fäl­le hin­zu und schwups war nie­mand mehr ansprechbar.

Aben­teu­er Diagnose

Am Abend des 27. be­ka­men wir Be­such von ei­nem net­ten Mit­ar­bei­ter des NDR. Mei­ne lan­ge Su­che nach ei­ner Ur­sa­che für mein schlech­tes Be­fin­den wird bei Abend­teu­er Dia­gno­se the­ma­ti­siert. An­fang Fe­bru­ar, pas­send zu mei­nem ers­ten SZT-Ge­burts­tag, wer­den die In­ter­views auf­ge­nom­men. Ich weiß jetzt schon, dass ich mit mei­nen Haa­ren un­zu­frie­den sein wer­de, die sich zur­zeit in alle Rich­tun­gen lo­cken und dass ich beim Er­zäh­len be­stimmt ein Dop­pel­kinn ha­ben wer­de. Al­ler­dings habe ich nach den Stra­pa­zen des letz­ten Jah­res be­schlos­sen, net­ter zu mei­nem Kör­per zu sein, da er so viel er­tra­gen und über­stan­den hat. Nie­mand braucht ei­nen Kör­per, der per­fekt ist; Haupt­sa­che, er ist ge­sund! Mei­ne „neu­en Haa­re“ fin­de ich au­ßer­dem ei­gent­lich ganz wit­zig. Ich hat­te im­mer su­per­glat­tes Haar, wor­an auch Lo­cken­wick­ler und Lo­cken­stä­be nichts än­dern konn­ten. Nun habe ich lau­ter klei­ne Löck­chen und je­den Mor­gen nach dem Auf­wa­chen ei­nen kras­sen Strub­bel­kopf. Ich pro­bie­re mich durch di­ver­se Pfle­ge­pro­duk­te für männ­li­che Teen­ager, hab die idea­le Lö­sung aber noch nicht ge­fun­den. Ges­tern Abend mein­te Jan, mit mei­nen Creo­len und dem Lo­cken­kopf sähe ich aus wie eine Wrest­le­rin aus den 80ern (Wir ha­ben mal die­se Se­rie GLOW ge­guckt. Da könn­te ich mo­men­tan echt gut mit­spie­len!). Ei­gent­lich mag ich mich mit kur­zen Haa­ren ganz gut lei­den, aber trotz­dem möch­te ich wis­sen, wie sich mei­ne neu­en Lo­cken wei­ter­ent­wi­ckeln. Viel­leicht schnei­de ich sie mir dann in ei­nem hal­ben Jahr wie­der ab.

Höh­le! Höh­le! Höhle!

Die Nacht vom 28. auf den 29. ver­brach­ten wir bei Anna und Kim­bo in un­se­rer dies­jäh­ri­gen Höh­le! Wäh­rend Jan und Anna mit dem Baby zum Ein­kau­fen scho­ben, spann­ten Kim­bo und ich Schnü­re kreuz und quer durch den Raum und be­fes­tig­ten an­schlie­ßend alle Tü­cher, Gar­di­nen und Tisch­de­cken, die wir fin­den konn­ten, an un­se­rem Kon­strukt. In der Mit­te be­fand sich ein gro­ßes Sofa, vor wel­ches wir noch zwei Ma­trat­zen leg­ten. Nach­dem wir die Lich­ter­ket­te an­ge­bracht und das Bett­zeug po­si­tio­niert hat­ten, war die Höh­le fer­tig. In der Kü­che back­te ich Kek­se, wäh­rend in der Frit­teu­se auf der Ter­ras­se Cur­ry­würs­te und Pom­mes brut­zel­ten. Auf­grund der Tat­sa­che, dass Jan am 29. nor­mal ar­bei­ten muss­te und am Abend des 28. auch noch ein (viel zu lan­ges!) Vi­deo-Mee­ting vom Foot­ball aus hat­te, war das Höh­len­er­leb­nis in die­sem Jahr nicht ganz so ge­müt­lich und ent­spannt wie letz­tes Mal. Baby-Mio hat sich üb­ri­gens echt vor­bild­lich ver­hal­ten. Klar, er woll­te ab und zu et­was trin­ken und hat­te auch mal die Win­del voll, aber als wir ir­gend­wann alle ge­schla­fen ha­ben, hat auch er ganz se­lig ge­schlum­mert. Ich bin auf je­den Fall da­für, dass die dies­jäh­ri­ge Höh­le schon zu Os­tern ge­baut wird und sich alle Be­tei­lig­ten zu­min­dest den Abend, die Nacht und den Mor­gen freihalten. 

Te­le­fo­nat mit der HOPA

Als ich mor­gens in der Höh­le er­wach­te, war üb­ri­gens mein lin­kes Auge ge­schwol­len. Ich ver­such­te es dar­auf­hin wie­der mit ei­nem An­ruf in der KMT-Am­bu­lanz, war aber ge­nau­so er­folg­los wie die Tage zu­vor. Kurz nach­dem ich miss­mu­tig das Han­dy weg­ge­legt hat­te, klin­gel­te es plötz­lich und mei­ne Ärz­tin aus der HOPA (die mei­ne Dia­gno­se ge­stellt hat­te) mel­de­te sich am an­de­ren Ende. Ich freu­te mich sehr dar­über mit ihr zu spre­chen, denn das hat­te ich seit mei­ner Dia­gno­se nicht mehr ge­tan. Zwar hat­te ich zwi­schen­zeit­lich mal ver­sucht, sie an­zu­ru­fen, sie aber nicht er­reicht. Da sie vom UKE alle Arzt­be­rich­te er­hal­ten hat­te, war sie bes­tens über den Stand mei­ner Ge­ne­sung in­for­miert. Wir wa­ren bei­de froh dar­über, dass sie mit ih­rer Ein­schät­zung Recht be­hal­ten hat­te. Sie sag­te, dass sie ger­ne dazu be­reit sei, bei Aben­teu­er Dia­gno­se über die Schrit­te bis zur Dia­gno­se zu spre­chen. Uns bei­de wun­der­te es nicht, dass der Hä­ma­to­lo­ge aus Lü­ne­burg be­reits ab­ge­sagt hat­te. Schließ­lich hat­te er trotz des Ver­dachts auf MDS kei­ne Kno­chen­mark­punk­ti­on durch­ge­führt und mei­ne Pro­ble­me nicht aus­rei­chend ernst ge­nom­men. Am Ende un­se­res Te­le­fo­nats sag­te mir die Ärz­tin, dass ich mit Fra­gen oder Pro­ble­men auch im­mer zu ihr kom­men kön­ne und sie auch wei­ter­hin für mich zu­stän­dig sei. Ha! Wie pas­send! Ich be­rich­te­te von mei­nen ab­wech­selnd ge­schwol­le­nen Au­gen und der Un­ter­lip­pe. Sie ver­mu­te­te eine all­er­gi­sche Re­ak­ti­on auf das Es­sen an Hei­lig­abend. Viel­leicht hat­te ich ir­gend­ein Ge­würz nicht ver­tra­gen. Es sei durch­aus nor­mal, dass sol­che Re­ak­tio­nen auch noch Tage nach dem ei­gent­li­chen Ver­zehr auf­tre­ten kön­nen. Beim nächs­ten Mal soll­te ich ein­fach eine Ce­ti­ri­zin neh­men. Au­ßer­dem wäre ein All­er­gie­test viel­leicht kei­ne schlech­te Idee.

Ver­spä­te­tes Weihnachten

Am 30. fei­er­ten wir dann noch ein­mal Weih­nach­ten, dies­mal bei mei­nen Schwie­ger­el­tern. Wir aßen Rind­fleisch vom hei­ßen Stein mit Rote-Bee­te-Car­pac­cio (Mein Bru­der hat sich das bei mei­ner Schwie­ger­mut­ter ab­ge­guckt) und Brot. Be­vor ich ins Kran­ken­haus ge­kom­men war, war dies eine mei­ner letz­ten Mahl­zei­ten. Als ich nach der Trans­plan­ta­ti­on zum ers­ten Mal Fleisch aß, schmeck­te es wi­der­lich. Ich be­kam es kaum her­un­ter­ge­schluckt. Mei­ne Ge­schmacks­ner­ven spiel­ten völ­lig ver­rückt und ver­dar­ben mir jeg­li­chen Ge­nuss. Das mag wie eine Klei­nig­keit klin­gen, aber wenn man nicht mehr rich­tig schme­cken kann, ver­dirbt das ei­nem den gan­zen Tag. Ich glau­be, das un­ter­schät­zen ei­ni­ge, wenn sie das Co­vid-Sym­ptom „Ver­lust des Ge­schmacks­sinns“ le­sen. In­zwi­schen hat sich zum Glück al­les re­ge­ne­riert und Rind­fleisch vom hei­ßen Stein schmeckt wie­der ge­nau­so le­cker wie vor­her. Nach dem Es­sen spiel­ten wir „Do­deli­do“, „Just One“ und „Tick… tack… Bumm!“

TickTack

Apro­pos Tick Tack: Ich darf jetzt er­zäh­len, wes­halb ich mit mei­ner Mut­ter im Som­mer in Hes­sen war. Wir wa­ren dort im 50er-Jah­re-Mu­se­um in Bü­din­gen, wo mei­ne Mut­ter (als 50er-Jah­re-Ex­per­tin) zu­sam­men mit den In­fluen­ce­rin­nen Lisa und Lena eine Fol­ge für das neue Kin­der-Ge­schichts­for­mat „TickTack Zeit­rei­se mit Lisa & Lena“ zum The­ma Gleich­be­rech­ti­gung auf­ge­nom­men hat. (Aus­strah­lung ist am 05.02.2022, 20:10Uhr im KiKA.)

Lisa & Lena

Ich hat­te bis da­hin noch nie von den bei­den ge­hört. Goog­le und In­sta­gram ver­rie­ten mir je­doch ziem­lich schnell, dass die bei­den mega er­folg­reich sind mit dem was sie tun (Wo­bei ich im­mer noch nicht ge­nau weiß, was sie ei­gent­lich tun.). Mit 16,8 Mil­lio­nen Abon­nen­ten (Ich gen­der hier nicht, das macht In­sta­gram auch nicht.) ha­ben sie je­den­falls eine rie­si­ge Reich­wei­te. Auf der Platt­form musical.ly (heu­te Tik­Tok) be­gan­nen sie 2015 mit dem Tei­len von Li­psyn­cvi­de­os und wur­den in­ner­halb ei­nes Jah­res zu rich­ti­gen Be­rühmt­hei­ten (in­ner­halb die­ser Bubble). Da sie meist eng­lisch­spra­chi­ge Lie­der wähl­ten, wur­den sie auch in­ter­na­tio­nal be­kannt. Spä­tes­tens als sich Welt­star Aria­na Gran­de als Lisa & Lena-Fan oute­te (in­dem sie de­ren In­ter­pre­ta­ti­on ih­res Lie­des „Into You“ auf Face­book pos­te­te) ging es mit den Fol­lower-Zah­len steil nach oben. 

Ir­gend­wie ist das kom­plett an mir vor­bei­ge­gan­gen. Ich hab zum ers­ten Mal von der Exis­tenz von musical.ly er­fah­ren, als es be­reits nicht mehr exis­tier­te. Aber ich kann die Fas­zi­na­ti­on für Zwil­lin­ge kom­plett nach­voll­zie­hen. Als Kind war ich to­tal be­geis­tert von den Ol­sen Twins. Den Film „Eins und Eins macht Vier“ hät­te ich mir in Dau­er­schlei­fe an­gu­cken kön­nen. Wuss­tet ihr ei­gent­lich, dass die klei­ne Schwes­ter von Mary-Kate und Ash­ley ein Aven­ger ist? Als Wan­da über­zeugt Eliza­beth Ol­sen so­wohl in den Aven­gers-Fil­men als auch in der Se­rie Wan­da­Vi­si­on. Als ich im Kran­ken­haus ver­such­te, mit der Se­rie an­zu­fan­gen, schaff­te ich es nicht über die zwei­te Fol­ge hin­weg. Beim nächs­ten An­lauf (zu­hau­se mit Jan) ent­wi­ckel­te sich die Se­rie aber zu ei­nem echt aus­ge­fuchs­ten (schö­nes Wort) Se­ri­en­meis­ter­werk des Mar­vel-Uni­ver­sums. Ok, wo war ich ei­gent­lich ge­ra­de? Ach­ja, also: Mei­ne Mut­ter und ich ha­ben ei­nen Tag im 50er-Jah­re-Mu­se­um in Bü­din­gen mit Lisa und Lena ver­bracht. Die bei­den sind echt sym­pa­thisch und trotz der gan­zen In­fluen­cer-Sa­che sehr na­tür­lich. Da­durch, dass sie leich­te Stups­na­sen ha­ben, se­hen sie ir­gend­wie nied­lich aus. Ich weiß nicht, ob es mög­lich ist, sich dar­über im Kla­ren zu sein, wel­che Reich­wei­te und wel­chen Ein­fluss man mit sei­nen Bei­trä­gen hat, wenn man so vie­le (vor al­lem min­der­jäh­ri­ge) Fol­lower hat wie die bei­den. Ei­gent­lich muss ein enor­mer Druck auf ih­nen las­ten, denn sie ma­chen nicht ge­ra­de den Ein­druck als wäre ih­nen ihre Vor­bild­funk­ti­on egal. Gleich­zei­tig ist es be­stimmt su­per schwer, auf der ei­nen Sei­te die sym­pa­thi­sche, of­fe­ne und zu­gäng­li­che In­fluen­ce­rin zu ge­ben und auf der an­de­ren Sei­te ein Pri­vat­le­ben zu füh­ren, in dem man es nicht wit­zig fin­det, wenn dau­ernd Fans an der Tür klin­geln oder ei­nem auf­lau­ern. Als ich beim Es­sen sag­te, dass ich mir vor­stel­len könn­te, Kin­der zu ad­op­tie­ren (falls das mit den ein­ge­fro­re­nen Ei­zel­len nichts wird), sag­te Lisa ganz be­geis­tert: „Wir sind auch ad­op­tiert!“ Die bei­den sa­hen als Ba­bys be­stimmt noch nied­li­cher aus als heu­te. Wie gut, dass sie von El­tern ad­op­tiert wur­den, die ih­nen ein lie­be­vol­les Zu­hau­se ge­ben und ein glück­li­ches Le­ben er­mög­li­chen konn­ten. Es sind eben nicht im­mer die Gene, die be­stim­men, wer zu un­se­rer Fa­mi­lie ge­hört. Mal se­hen, was mein Le­ben noch so für mich bereithält. 

10. Ja­nu­ar

Toll, Nele. Hat ja rich­tig gut ge­klappt mit dem „Kurz über Weih­nach­ten und Sil­ves­ter re­den“. Sil­ves­ter wur­de noch nicht­mal erwähnt!

Sil­ves­ter!

Kaum zu glau­ben, aber wir hat­ten zu fünft eine rich­tig ge­lun­ge­ne Sil­ves­ter­par­ty. Wir hat­ten so­gar ein Mot­to! Es war al­les da­bei: Ra­clette mit viel zu viel Es­sen, Bow­le mit sehr le­cke­ren Früch­ten, Har­ry Pot­ter-Quiz, Ka­rao­ke, Tan­zen, Ber­li­ner, Din­ner for One und Sil­ves­ter­de­ko. Ja, ok, ei­gent­lich ge­hört zu Sil­ves­ter auch noch: Feu­er­werk, Blei­gie­ßen (oder die­se Lu­schen­va­ri­an­te: Wachs­gie­ßen), Wun­der­ker­zen, Knall­erb­sen, Neu­jah­res­vor­sät­ze, Tisch­feu­er­werk, Glücks­kek­se, Schorn­stein­fe­ger, Knall­bon­bons und viel­leicht noch eine Po­lo­nai­se. Das gab es al­les nicht bei uns. Es war trotz­dem sehr gut. Wie sich der schlaue Le­ser si­cher­lich schon den­ken konn­te, lau­te­te un­ser Mot­to: Har­ry Pot­ter. Mei­ke hat­te Schnatz-Tisch­de­ko ge­bas­telt, von mir gab es Schnatz-Ohr­rin­ge und Haus-But­tons. Lui­se und Mei­ke wa­ren Ra­ven­claws, mein Bru­der und ich Sly­the­rins und Jan war ir­gend­was zwi­schen Gryffin­dor und Huf­fle­puff. Ich fin­de ja nicht, dass ich ein Sly­the­rin wäre, aber grün ist mei­ne Lieb­lings­far­be und Jan hat­te für mich eine pas­sen­de Kra­wat­te pa­rat. Er selbst hat­te noch sei­ne Gryffin­dor-Kra­wat­te von Bär­bels 30. Ge­burts­tag im Schrank. Das Har­ry Pot­ter-Quiz war ziem­lich wit­zig und tat­säch­lich schwe­rer als ge­dacht. Wir ver­wen­de­ten die klei­nen Schreib­kärt­chen und Stif­te von „Just One“ und die Quiz­kar­ten von Tri­vi­al Pur­su­it (Har­ry Pot­ter-Ver­si­on na­tür­lich). Jan, Jan, Mei­ke und ich la­gen ziem­lich dicht bei­ein­an­der. Nur Lui­se ver­sag­te kläg­lich. „Wel­chen Zau­be­rer hat­te Har­ry in sei­nem ers­ten Scho­ko­frosch?“ — Lui­se: „Gan­dalf“, „Wel­ches Tier ist Har­rys Pa­tro­nus?“ — Lui­se: „Wal“, „Wie vie­le Kin­der ha­ben die Weas­leys?“ — Lui­se: „Vier“ und so wei­ter. Am Ende ge­wann mein Jan. An den Fra­gen ge­fiel mir, dass sie sich nach dem rich­te­ten, was in den Bü­chern steht und nicht nach dem, was die Fil­me zei­gen. Wahr­schein­lich hab ich das schon­mal ge­sagt und wahr­schein­lich sagt das eh je­der über je­des Buch, das ver­filmt wur­de: Die Bü­cher sind so viel bes­ser als die Fil­me! Nicht falsch ver­ste­hen, ich mag die Fil­me. Wir ha­ben erst ges­tern Abend den drit­ten Teil ge­guckt. Aber es wird so viel weg­ge­las­sen! Ist euch mal auf­ge­fal­len, dass im Film gar nicht er­wähnt wird, dass Lu­pin Moo­ny ist, Sirius=Tatze, James=Krone und so wei­ter? Har­ry weiß im Film gar nicht, dass sein Va­ter ei­ner der Ur­he­ber der Kar­te des Rum­trei­bers ist. Das kom­plet­te The­ma der Ani­ma­gi wird au­ßen vor ge­las­sen. Des­halb er­fährt man spä­ter auch nichts über das Ende von Rita Kimm­korn! Und was ist ei­gent­lich mit den Hausel­fen? Mit Win­ky? Mit dem B.Elfe.R? War­um be­kommt man we­der die Hog­warts-Kü­che noch das St. Mungos zu Ge­sicht? Im Film wird ein­fach da­von aus­ge­gan­gen, dass Ne­vil­les El­tern tot sind. Au­ßer­dem, was ist mit der gan­zen Fa­mi­li­en­ge­schich­te von Tom Ridd­le? Ooooh und wenn ich schon da­bei bin mich hier nerdig über Har­ry Pot­ter-Ver­fil­mun­gen auf­zu­re­gen: Wie­so ist die Ver­fil­mung des fünf­ten Teils so ver­dammt kurz und be­schis­sen um­ge­setzt??? Wo sind denn bit­te die gan­zen coo­len Räu­me der Mys­te­ri­ums­ab­tei­lung, auf de­ren fil­mi­sche Dar­stel­lung ich mich beim Le­sen schon ge­freut habe? Wahr­schein­lich könn­te ich in ir­gend­ei­nem Har­ry Pot­ter-Fo­rum Ant­wor­ten auf all mei­ne Fra­gen be­kom­men, aber so schlimm ist es dann doch noch nicht um mich be­stellt. Und ja, Anna, ich könn­te mir auch end­lich mal den Har­ry-Pod­cast an­hö­ren, aber ir­gend­wie ge­fiel mir die eine Mi­nu­te, die ich da­von mal pro­be­wei­se ge­hört habe, nicht. OK, jetzt hab ich doch ge­goo­gelt und bin in ei­nem Har­ry Pot­ter-Fo­rum ge­lan­det. Hal­tet euch fest: An­schei­nend wur­den die Räu­me der Ge­dan­ken, der Lie­be, der Pla­ne­ten und der Zeit ge­filmt, aber dann wie­der her­aus­ge­schnit­ten!!!! Geht’s noch? Ich will die sehen!

So, ge­nug von Har­ry Potter.

Wir ha­ben bis 6 Uhr mor­gens Ka­rao­ke ge­sun­gen und das neue Jahr ge­fei­ert. Nach dem Auf­wa­chen muss­te ich mich erst­mal über­ge­ben, aber es kam nichts. Da war nur die­ser un­an­ge­neh­me Wür­greiz. Ich trank ein Glas Was­ser und kot­ze ein Glas Was­ser aus. Naja, was man am 01.01. halt so macht. Es reicht mir jetzt auch erst­mal wie­der mit dem Al­ko­hol, aber die Bow­le war echt lecker!

Der Ver­such, al­les auf­zu­schrei­ben, was (ge­sund­heit­lich) seit mei­nem letz­ten Bei­trag pas­siert ist

Be­vor ich be­rich­ten kann, was seit mei­nem letz­ten Bei­trag ge­sund­heit­lich los war, muss ich erst­mal mei­nen letz­ten Text über­flie­gen. War das der mit un­se­rem Ur­laub und so? Hab ich seit­dem echt nichts mehr ge­schrie­ben? Tststs.

Nach dem Überfliegen:

Oh, krass. Ich war ja to­tal im Ur­laubs­mo­dus. Ir­gend­wie hab ich das Ge­fühl, dass ich mich im letz­ten Bei­trag ge­wähl­ter aus­ge­drückt habe als die­ses Mal. Egal, scheiß drauf! 

Am 29. Ok­to­ber war ich in der KMT-Am­bu­lanz und er­hielt (wie an­ge­kün­digt) mei­ne 5‑­fach-Imp­fung  ge­gen Diph­the­rie, Te­ta­nus, Po­lio und die an­de­ren bei­den Krank­hei­ten. An­schlie­ßend schwä­chel­te ich zwar ein paar Tage, aber ins­ge­samt ging es mir recht gut. 

Be­son­ders gut ging es mir, als ich am 31. er­fuhr, dass Anna ei­nen ge­sun­den Jun­gen zur Welt ge­bracht hat­te. Zwar lief nicht al­les nach Plan, aber zum Glück wa­ren Mut­ter und Kind wohl­auf. Ich bin je­des Mal wie­der fas­zi­niert, wie die Na­tur das macht. Da ha­ben ein­fach zwei Men­schen ei­nen neu­en Men­schen ge­macht! Und dann ist der auch noch so süß und gut ge­lun­gen! Wahn­sinn. Nur zwei Wo­chen spä­ter leg­te Bär­bel nach und brach­te eine nied­li­che He­le­na zur Welt. (@Elmar und Bär­bel: Habt ihr sie ei­gent­lich nach der Grau­en Dame aus Har­ry Pot­ter benannt?) 

Bei all den Ge­burts-Kom­pli­ka­tio­nen, die ich in un­se­rem Freun­des­kreis schon mit­be­kom­men habe, bin ich mal wie­der heil­froh, dass wir in Deutsch­land ein gut funk­tio­nie­ren­des Ge­sund­heits­sys­tem ha­ben, das mit all sei­nen Früh­erken­nungs­me­tho­den ver­hin­dert hat, dass mei­ne Freun­din­nen und ihre Ba­bys ein­fach ster­ben. Ohne Wis­sen­schaft und For­schung wä­ren vie­le von uns in­zwi­schen ein­fach tot. (Ich wäre wohl be­reits 2009 an mei­ner Blind­darm­ent­zün­dung gestorben.) 

Ärzt­li­ches Gutachten

Bei mei­nem Ter­min in der KMT-Am­bu­lanz bat ich mei­ne Ärz­tin um die Er­stel­lung ei­nes ärzt­li­chen Gut­ach­tens für die Be­hör­de. Wenn man lan­ge krank­ge­schrie­ben ist, wird man näm­lich zum Amts­arzt ge­schickt. Da der aber schlecht mein blut­bil­den­des Sys­tem an­gu­cken und be­gut­ach­ten kann, ist er auf die Aus­künf­te der Spe­zia­lis­ten an­ge­wie­sen. „Wenn er Sie so sieht, kann er ja nicht ah­nen, was Sie durch­ge­macht ha­ben und wo Sie sich auf dem Weg der Hei­lung erst be­fin­den“, sag­te mei­ne Ärz­tin zu mir. Das be­schreibt ganz gut die Angst, die ich teil­wei­se habe. Die Angst, dass man mei­ne Kräf­te und mei­ne Ge­sund­heit über­schätzt. Ja, es geht mir so­weit gut, dass ich mei­nen All­tag hin­be­kom­me, aber das klappt auch nur, weil ich je­den Tag bis 10 Uhr schla­fe, mich re­gel­mä­ßig aus­ru­he und Stress so gut wie mög­lich ver­mei­de. Trotz­dem lei­de ich im­mer wie­der un­ter Tin­ni­tus, Schwin­del­an­fäl­len und Er­schöp­fungs­zu­stän­den. Mein Kör­per zeigt mir sehr deut­lich, wenn ich ihn über­las­te. Hin­zu kom­men die Pro­ble­me, die mei­ne Psy­che hin und wie­der ver­ur­sacht. Manch­mal, vor al­lem nachts, kurz vor dem Ein­schla­fen, kom­men fins­te­re Ge­dan­ken in mei­nen Kopf. Ge­dan­ken, die nie­mand ha­ben möch­te und die mir Angst ma­chen. Ich glau­be, dass ich im Schlaf ziem­lich viel von dem ver­ar­bei­te, was im letz­ten Jahr mit mir pas­siert ist. Mein Kie­fer schmerzt, mein Na­cken ist ver­spannt, die Schmer­zen zie­hen bis in den un­te­ren Rü­cken. Jan sagt, dass ich auf je­den Fall fit­ter bin als vor ei­nem Jahr. Manch­mal kommt es mir nicht so vor, aber ich glau­be ihm ein­fach mal. Mir feh­len aber auch schlicht­weg die Ver­gleichs­mög­lich­kei­ten. Wie lan­ge dau­ert es, bis man nach ei­ner Stamm­zell­trans­plan­ta­ti­on wie­der rich­tig fit ist? So pau­schal kann das si­cher nie­mand be­ant­wor­ten, aber ich hof­fe, dass es schnell wei­ter berg­auf geht. Die im­mer be­stehen­de Ge­fahr ei­nes Rück­falls blen­de ich aus. Al­lein der Ge­dan­ke an mein Kran­ken­haus­zim­mer ver­ur­sacht mir Übelkeit.

Am 01.11. er­hielt ich den Am­bu­lanz­brief, dem ich fol­gen­de ak­tu­el­le Dia­gno­sen ent­neh­men konnte:

  • Kom­plet­te mo­le­ku­la­re Re­mis­si­on der hä­ma­to­lo­gi­schen Grunderkrankung
  • Kom­plet­ter Spenderchimärismus
  • Chro­ni­sche GvHD der Haut und der Mus­ku­la­tur, Ge­samt­grad, mild
  • Fa­ti­gue­sym­pto­ma­tik
  • Ein­ge­schränk­te zel­lu­lä­re Im­mu­ni­tät mit ei­ner CD4-Hel­fer­zahl <200/µl (Nor­mal­be­reich: ca. 500 – 1400. Bei Wer­ten un­ter 200 ist das Im­mun­sys­tem noch stark geschwächt.)

Dar­un­ter stand noch­mal die ur­sprüng­li­che Diagnose:

  • Mye­lo­dys­plas­ti­sches Syn­drom vom Typ ei­nes MDS-EB1
  • Zy­to­ge­ne­tik: 46, XX, t(3;12)
  • Mo­le­ku­lar­ge­ne­tik: KRAS‑, SH2B3-mutiert
  • Ri­si­ko­pro­fil:
    • IPSS in­ter­me­dia­te risk 1
    • IPSS‑R high risk
  • Aus­schluss ei­ner Chro­mo­so­men­brü­chig­keit und Telomeropathie

Au­ßer­dem stand da noch ganz viel an­de­rer Kram, den aber wahr­schein­lich nur Ärz­te ver­ste­hen kön­nen. Der Ter­min beim Amts­arzt wird aber noch ei­ni­ge Zeit auf sich war­ten las­sen. In ei­nem Schrei­ben teil­te mir das Ge­sund­heits­amt mit, dass sie ge­ra­de da­bei wä­ren, die Fäl­le von Mai abzuarbeiten. 

In­fekt

Dass mein Im­mun­sys­tem noch nicht wie­der voll funk­ti­ons­fä­hig ist, merk­te ich auch Mit­te No­vem­ber, als mich eine star­ke Er­käl­tung um­hau­te. Ich ver­brach­te ein paar Tage auf dem Sofa, trank Tee und ruh­te mich aus. Nach ei­ner Wo­che war der Spuk zum Glück wie­der vorbei. 

Bä­cke­rei —> Kunstraum

Vor und nach dem In­fekt ging mei­ne kom­plet­te Frei­zeit (ne­ben dem Ab­tip­pen von Omas Ta­ge­buch) für die Re­no­vie­rung der al­ten Back­stu­be drauf. Bei­na­he je­den Tag ver­brach­te ich ein paar Stun­den in dem gro­ßen Raum, der sich Stück für Stück in ei­nen Kunst­raum ver­wan­del­te. Mit da­bei wa­ren oft auch Lui­se, Lu­kas, Alan und ei­gent­lich im­mer mei­ne Mut­ter. Es tat mir sehr gut, mich voll und ganz und ohne Druck ei­nem neu­en Pro­jekt zu wid­men. Ich putz­te, bohr­te, spach­tel­te und mal­te. Abends war ich auf an­ge­neh­me Wei­se er­le­digt, so­dass ich ohne Pro­ble­me ein­schla­fen konn­te. Mor­gens wach­te ich dann lang­sam auf und star­te­te ru­hig in den Tag. Normalerweise. 

Über­ra­schung.

Nicht so am 17. November…noch halb im Traum ver­nahm ich plötz­lich Stim­men. Sie klan­gen un­heim­lich dicht. Ent­we­der stand der Wind be­son­ders güns­tig und trug die Ge­räu­sche der Ar­bei­ter vor der Schu­le drei Stock­wer­ke tie­fer zu mir hoch oder….ODER DIE DACH­DE­CKER STAN­DEN MIT EI­NEM STEI­GER DI­REKT VOR MEI­NEM SCHLAF­ZIM­MER­FENS­TER! Zu al­lem Übel hat­te ich in der Nacht an­schei­nend eine mei­ner Hit­ze­at­ta­cken ge­habt, denn ich lag split­ter­fa­ser­nackt und zu­dem völ­lig bett­de­cken­be­freit auf mei­nem Bett un­ter dem Dach­fens­ter. Von jetzt auf gleich war ich hell­wach, griff mei­ne De­cke und stürz­te mit ihr aus dem Bett und aus dem Zimmer. 

Ein paar Wo­chen spä­ter brach nachts plötz­lich mei­ne Sei­te des Bet­tes zu­sam­men. Ich konn­te mich ge­ra­de noch auf Jans Ma­trat­ze ret­ten, be­vor ich in den Ab­grund ge­stürzt wäre. An­schei­nend ist mein Elek­tro-Lat­ten­rost nicht wirk­lich mit dem Hem­nes-Bett­ge­stell kompatibel. 

Man ey, pas­siert euch so­was ei­gent­lich auch manchmal?

Gra­tis-WLAN bei Lidl

Am 19. No­vem­ber war die Re­no­vie­rung der Bä­cke­rei ab­ge­schlos­sen. Qua­si als Ein­wei­hung fei­er­te Jes­si­ca (aus un­se­rer JRK-Grup­pe) ih­ren 18. Ge­burts­tag in un­se­rem neu­en Raum. Als Lui­se und ich kurz vor Be­ginn der Par­ty ein­tra­fen, um nach dem Rech­ten zu se­hen, war Jes­si­ca in Pa­nik, da ihre Spo­ti­fy-Ge­burts­tags­play­list nicht voll­stän­dig her­un­ter­ge­la­den wor­den war. Bis in die Haar­spit­zen ge­stylt, mit kur­zem knall­ro­ten Kleid und ho­hen Stie­feln sag­te sie: „Ich muss zu Lidl!“ Als sie un­se­re ver­dutz­ten Ge­sich­ter sah, er­gänz­te sie (als sei das ab­so­lut ver­brei­te­tes All­ge­mein­wis­sen): „Da gibt es WLAN!“ Da wir eh nichts wei­ter zu tun hat­ten, nah­men wir ihr ger­ne ihr iPad und die Auf­ga­be des Down­loads ab. Auf dem Lidl-Park­platz an­ge­kom­men, such­te ich das Gra­tis-WLAN, wur­de aber erst di­rekt am Ein­gang fün­dig. Lei­der war der Emp­fang noch nicht op­ti­mal, so­dass wir ins Ge­schäft hin­ein ge­hen muss­ten. Di­rekt vor dem Wurst­re­gal lief der Down­load dann ein­wand­frei. Es wäre si­cher in­ter­es­sant ge­we­sen, Jes­si­ca in ih­rem Out­fit eine Vier­tel­stun­de vor den Fleisch­wa­ren mit ih­rem iPad ste­hen zu se­hen. So sah es ein­fach nur so aus, als hät­ten Lui­se und ich sehr viel Lan­ge­wei­le und könn­ten uns nicht zwi­schen Ser­ra­no- und Bau­ern­schin­ken ent­schei­den. Wäh­rend wir war­te­ten, fand ich ein coo­les Lego-Flug­zeug, das ich für Jans Ad­vents­ka­len­der mit­nahm. Au­ßer­dem gönn­ten wir uns eine Fla­sche Weiß­wein. An der Kas­se leg­te ich noch eine Pa­ckung Kau­gum­mi dazu. Die rus­si­sche Kas­sie­re­rin mus­ter­te uns be­lus­tigt: „Wein und Lego? Das wird ja ein wil­der Abend!“ 

Par­ty­zeit

Als wir um 20Uhr, pünkt­lich zu Be­ginn der Par­ty, zu­rück­ka­men, wa­ren be­reits fast alle Gäs­te da! Wir wa­ren voll­kom­men ir­ri­tiert. Wenn „zu un­se­rer Zeit“ eine Par­ty um 20Uhr be­gann, tauch­te doch nie­mand vor 22Uhr auf, oder? Als Gast­ge­be­rin wäre ich da­mals völ­lig über­rum­pelt ge­we­sen, wenn die Gäs­te tat­säch­lich alle um 20Uhr bzw. so­gar noch VOR 20Uhr auf­ge­taucht wä­ren! Wahr­schein­lich ist die Ju­gend von heu­te durch Co­ro­na so aus­ge­hun­gert, dass sie kei­ne Par­ty-Mi­nu­te ver­pas­sen will. 

La­ter­ne, Laterne

Am Tag nach Jes­si­cas Par­ty tra­fen wir uns mit den Hap­py Hip­pos zum La­ter­ne­lau­fen in der Bä­cke­rei (ei­gent­lich woll­ten wir dem Raum ei­nen krea­ti­ven und in­spi­rier­ten Na­men ge­ben, aber in­zwi­schen hat sich „Bä­cke­rei“ durch­ge­setzt). Der ur­sprüng­li­che Plan sah vor, dass wir uns kurz drin­nen tref­fen, ein paar Kek­se es­sen, um dann zu ei­nem Spa­zier­gang mit La­ter­nen auf­zu­bre­chen. Die Kin­der hat­ten je­doch so viel Spaß in dem gro­ßen Raum, dass sie kei­ne Lust auf ei­nen Um­zug an der fri­schen Luft hat­ten. Statt­des­sen schal­te­ten wir das Licht aus uns und mar­schier­ten sin­gend und la­ter­nen­schwin­gend durch das Gebäude.

Raum­nut­zung

Seit die­sem Wo­chen­en­de tref­fen wir uns re­gel­mä­ßig in un­ter­schied­lichs­ten Kon­stel­la­tio­nen in der Bä­cke­rei. Zwei­mal die Wo­che wird ge­malt, mitt­wochs fin­den die JRK-Grup­pen­stun­den statt und diens­tags tref­fen wir uns abends zum Spie­len. Au­ßer­dem fei­er­ten wir drei wun­der­ba­ren Weih­nachts­fei­ern mit Tan­nen­baum und fest­li­cher Ta­fel in dem Raum.

Boos­ter

Am 13. De­zem­ber lag mei­ne zwei­te Co­ro­na­imp­fung ge­nau 5 Mo­na­te zu­rück, wo­durch ich „be­rech­tigt“ war, mich boos­tern zu las­sen. Recht spon­tan fuhr ich da­her zum neu­en Impf­stütz­punkt des DRK im ehe­ma­li­gen Chi­na­re­stau­rant High Noon. Ohne auch nur eine Mi­nu­te war­ten zu müs­sen, be­kam ich ein paar Zet­tel zum Aus­fül­len in die Hand ge­drückt und ging da­nach di­rekt wei­ter ins Arzt­ge­spräch. Nor­ma­ler­wei­se soll­te ich Mo­der­na be­kom­men, da ich über 30 bin und bei ei­ner Kreuz­imp­fung (bis­her hat­te ich BioNTech) von ei­ner bes­se­ren Wirk­sam­keit aus­ge­gan­gen wird. Ich mach­te die Ärz­tin dar­auf auf­merk­sam, dass ich mir auf­grund mei­ner Er­kran­kung nicht si­cher sei, wie mein der­zei­ti­ger Im­mun­sta­tus ist. Da bei Mo­der­na zwi­schen nor­ma­len Do­sen und Do­sen für Im­mun­ge­schwäch­te un­ter­schie­den wird, bei BioNTech je­doch im­mer die­sel­be Do­sis ge­spritzt wird, ent­schied sich die Ärz­tin schließ­lich für ein er­neu­tes Imp­fen mit BioNTech. Mir per­sön­lich wäre al­les recht ge­we­sen. Ich habe kei­ne Ah­nung (so wie die meis­ten, auch wenn vie­le Men­schen plötz­lich glau­ben, Impf­ex­per­ten zu sein, weil sie zwei Ar­ti­kel im In­ter­net ge­le­sen ha­ben) und ver­las­se mich da­her voll­kom­men auf die Mei­nung der ge­schul­ten Ärz­te. Mei­ne Impf­re­ak­ti­on war die­ses Mal ein biss­chen stär­ker als die bei­den vor­he­ri­gen Male. Ich fühl­te mich etwa eine Wo­che lang schlapp und hat­te ver­stärkt Glie­der- und Rü­cken­schmer­zen. Das war‘s dann aber auch. 

Schlech­te Nachrichten

An­fang De­zem­ber er­hielt ich in mei­ner MDS-Face­book-Grup­pe die trau­ri­ge Nach­richt, dass die jun­ge Frau, von der ich vor ein paar Mo­na­ten er­zählt hat­te, ge­stor­ben ist. Das Wis­sen dar­um, dass ein Fünf­jäh­ri­ger ge­ra­de sei­ne Mut­ter für im­mer ver­lo­ren hat, stimm­te mich furcht­bar trau­rig. Auch ein an­de­res Grup­pen­mit­glied, eine et­was äl­te­re Frau, de­ren Trans­plan­ta­ti­on schon zwei Jah­re zu­rück­lag und die be­reits wie­der voll im Le­ben stand, hat­te an­schei­nend ei­nen Rück­fall er­lit­ten und war schon vor ei­ni­gen Mo­na­ten verstorben. 

KMT-Am­bu­lanz

Am 17. De­zem­ber war mein letz­ter Be­such in der KMT-Am­bu­lanz im Jahr 2021. Mei­ne Blut­wer­te wa­ren ein biss­chen schlech­ter als sonst, was di­rekt nach der Imp­fung aber nor­mal sei, mein­te mei­ne Ärz­tin. Ich be­rich­te­te ihr von mei­nen an­hal­ten­den und teil­wei­se sehr star­ken Rü­cken­schmer­zen, wor­auf­hin sie mir IBU 800 ver­schrieb und sag­te, ich kön­ne sie mir ru­hig mehr­mals täg­lich „rein­bal­lern“. Zu­dem ver­ord­ne­te sie mir Wär­me & Mas­sa­gen für Kie­fer und Rü­cken. Wir wa­ren uns bei­de dar­über ei­nig, dass die Ur­sa­che mei­ner Schmer­zen wahr­schein­lich in mei­ner Psy­che liegt. Wäh­rend der Ver­ar­bei­tung mei­ner ne­ga­ti­ven Er­in­ne­run­gen und de­pres­si­ven Ge­dan­ken, presst sich mein (eh schon ka­put­ter) Kie­fer so stark zu­sam­men, dass sich die Ver­span­nung auf mei­nen Na­cken und schließ­lich auf den ge­sam­ten Rü­cken auswirkt. 

Ki­ne­sio­lo­ge

Da ich aber ei­gent­lich nur nachts von die­sem psy­chi­schen Stress „heim­ge­sucht“ wer­de, lehn­te ich eine ge­ne­rel­le Be­hand­lung mit Anti-De­pres­si­va oder Ähn­li­chem ab. Statt­des­sen schrieb mir mei­ne Ärz­tin Schlaf­ta­blet­ten auf, die ich bei Be­darf neh­men kann. Bis­her muss­te ich aber glück­li­cher­wei­se noch nicht auf sie zu­rück­grei­fen. Statt­des­sen mach­te ich ei­nen Ter­min bei ei­nem Ki­ne­sio­lo­gen und Psy­cho­the­ra­peu­ten (er hat auch noch 13 an­de­re Schwer­punk­te), der mir vor ei­ni­gen Jah­ren schon ein­mal sehr hel­fen konn­te, als ich un­ter gro­ßem Stress litt und mei­ne Pro­ble­me nachts ver­ar­bei­tet habe. Mei­ne Ärz­tin mein­te, das sei eine gute Idee, da sie mir an­sons­ten ei­nen Ter­min beim Psy­cho­on­ko­lo­gen emp­foh­len hätte.

Blut­grup­pe und Corona

Im wei­te­ren Ver­lauf des Ge­sprächs frag­te ich noch, ob mei­ne Blut­grup­pe in­zwi­schen kom­plett ge­wech­selt habe. Das kön­ne sie mir lei­der erst beim nächs­ten Ter­min sa­gen, da sie die­ses Mal kei­ne Blut­grup­pen­be­stim­mung an­ge­for­dert habe. Sie gehe aber da­von aus, dass ich in­zwi­schen 0+ habe. Mei­ne Phy­sio­the­ra­peu­tin sag­te mir neu­lich, dass es wohl welt­weit meh­re­re Stu­di­en gäbe, die den Zu­sam­men­hang von Blut­grup­pen und Co­ro­na­in­fek­tio­nen un­ter­sucht hät­ten. Dem­nach gäbe es Hin­wei­se dar­auf, dass Men­schen mit der Blut­grup­pe A am an­fäl­ligs­ten für Co­vid-In­fek­tio­nen sei­en, wäh­rend Per­so­nen mit der Blut­grup­pe 0 hin­ge­gen kaum in­fi­ziert wür­den. Soll­te das stim­men, hät­te ich mit mei­nem Wech­sel von A+ zu 0+ ja al­les rich­tig gemacht. 

Brief an mei­nen Spender

Am Ende mei­nes Be­suchs in der KMT-Am­bu­lanz gab ich bei der SZT-Ko­or­di­na­to­rin ei­nen Brief für mei­nen Spen­der ab. Na­tür­lich hat­te ich al­les Per­sön­li­che weg­ge­las­sen, um die nö­ti­ge An­ony­mi­tät zu wah­ren. Zur Kon­trol­le wur­de der Brief von der Ko­or­di­na­to­rin durch­ge­le­sen und an­schlie­ßend über die DKMS an mei­nen Spen­der wei­ter­ge­lei­tet. Ob ich eine Ant­wort von ihm be­kom­men wer­de, weiß ich nicht. Ich wür­de es ihm aber auch nicht übel neh­men, wenn er mir (wenn über­haupt) sehr spät zu­rück­schrie­be, denn ich bin selbst grot­ten­schlecht im Be­ant­wor­ten von Brie­fen. Das kön­nen di­ver­se Bei­na­he-Brief­freun­din­nen aus mei­ner Kind­heit be­stä­ti­gen. Ein Brief­pro­jekt, das ich mit mei­nem ers­ten Jahr­gang 2015 durch­ge­führt habe, hat mir ge­zeigt, dass auch ei­ni­ge mei­ner männ­li­chen Freun­de es nicht ge­schis­sen krie­gen, ei­nen Brief zu be­ant­wor­ten, ob­wohl kei­ne böse Ab­sicht da­hin­ter­steckt. Au­ßer­dem bin ich da­von über­zeugt, dass Fa­bi­ans Brief ir­gend­wann bei Ja­son an­kom­men wird, auch wenn sich sei­ne Adres­se bis da­hin be­stimmt ge­än­dert ha­ben wird. Bei Mat­ze hab ich al­ler­dings jede Hoff­nung auf­ge­ge­ben. Das wird nichts mehr, Leon! 

So. Ich den­ke, dass ich nun ge­nug ge­schrie­ben habe. Zwar blei­ben ei­ni­ge wirk­lich fan­tas­ti­sche Mo­men­te mit mei­nen Freun­den und mei­ner Fa­mi­lie un­er­wähnt und ich habe auch nicht er­zählt, dass Jan bei EBay plötz­lich Tho­mas hieß und aus Er­furt kam, aber das ist ja auch egal. In mei­nem Kopf ist al­les ab­ge­spei­chert und au­ßer­dem exis­tie­ren noch di­ver­se Fo­tos und Vi­de­os, die mich im­mer an die schö­nen Stun­den mei­nes Le­bens er­in­nern werden.

Bleibt oder wer­det gesund!

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Bärbel

    Dan­ke für den Ein­blick und dei­ne ab­so­lut fes­selnd ge­schrie­be­ne Zu­sam­men­fas­sung. ❤️
    Die Wahl für den Na­men He­le­na hat­te vie­le Grün­de. An die graue Dame habe ich nicht ge­dacht. Aber es ist ein schö­ner Ge­dan­ke. Mir schweb­ten da eher die He­le­na Löck­chen vom Grie­chen im Kopf. 🤣

  2. Eva

    Hör den Har­ry Pod­cast! In mei­nem Kopf (weil Han­dy neh­men und in echt schrei­ben ist schwer, du weißt) hab ich dir den schon so oft emp­foh­len 😀 die ers­te Mi­nu­te fand ich da­mals auch doof aber so­bald man sich rein­ge­hört hat ist es großartig 😘

    1. Nele

      Ihr habt voll­kom­men recht! So­bald man sich an die Sprech­wei­se ge­wöhnt hat, ist es gran­di­os!😃 Vor al­lem ent­spricht ihre Sicht­wei­se sehr oft mei­nen Gedanken.

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