Wie ich bereits im Februar geschrieben hatte, wird mein Fall bei Abenteuer Diagnose gezeigt. Dabei handelt es sich um eine 15-minütige Fernsehsendung, die sich mit rätselhaften Erkrankungen, ungewöhnlichen Symptomen und der Jagd nach Ursachen beschäftigt. A.D. wird immer am Ende (und als Teil) der Sendung Visite gezeigt.
Die Betroffenen und ihre Angehörigen werden einzeln im Interview vor einem Greenscreen sitzend gezeigt. Während ein Sprecher den Verlauf der Krankengeschichte schildert, werden dazu passende Rückblenden aus dem Leben der Patienten gezeigt. Normalerweise werden diese Rückblick-Szenen von Komparsen bzw. Kleindarstellern gespielt. Ich hatte anfangs etwas Angst, dass man mich bzw. die Arztsituationen falsch darstellt. Außerdem fand ich es irgendwie unnötig, mich selbst von einer fremden Person spielen zu lassen. Ich verstehe, weshalb das so gemacht wird, denn es kann für die Betroffenen bestimmt traumatisch sein, die Szenen noch einmal zu durchleben und vielleicht fällt es auch schwer, die Situationen mit dem heutigen Wissen nicht zu „verfälschen“. Außerdem hat sicher nicht jeder Spaß daran, sich vor der Kamera zu bewegen. Zudem ist es für die Redakteure eventuell anstrengend, die „echte“ Person am Set zu haben, da ja doch nicht alles genauso dargestellt werden kann, wie es tatsächlich war. Manchmal müssen Szenen gestaucht oder dramatisiert werden, da es sich schließlich um eine Fernsehsendung handelt, die interessant gestaltet sein will. Außerdem wird das gefilmte Material (inklusive Ton) die meiste Zeit im Hintergrund gezeigt, während der Off-Sprecher die Situation schildert. Daher weiß man als Darsteller nicht, was sich der Redakteur bei bestimmten Anweisungen denkt, die einem selbst vielleicht unnötig erscheinen oder komisch vorkommen.
Gerade weil einige Gründe gegen das „Selbstdarstellen“ sprechen, bin ich umso glücklicher darüber, dass der Redakteur sich dafür entschieden hat, dass wir uns selbst spielen dürfen. Auch für ihn war es nach 12 Jahren Abenteuer Diagnose, das erste Mal, dass er ein Skript an eine Protagonistin rausgab. Wir waren aber beide optimistisch, dass das funktionieren wird.
Es gab allerdings auch eine Person, die überhaupt nicht glücklich darüber war. Jan hatte von Anfang an gesagt, dass er sich ganz bestimmt nicht selber spielen wird, da er sich vor der Kamera mega unwohl fühlt. Schon die Interviews waren eine große Überwindung für ihn gewesen. Ich bemühte mich, ihm deutlich zu machen, wie wichtig es für mich wäre, wenn er mitmachen würde. Denn es wäre halt echt scheiße gewesen, wenn ich mich selbst gespielt hätte und dann ein anderer Jans Rolle eingenommen hätte. Schließlich handelte es sich um die schwerste und emotionalste Zeit meines Lebens. Es wäre wirklich seltsam gewesen, hätte ich einem fremden Typen um den Hals fallen müssen. Noch komischer wäre es geworden, meinen Ehering von einem anderen wieder aufgesteckt zu bekommen. Ich fand es zu Beginn ziemlich doof von Jan, dass er sich mit der Begründung: „Dafür nehme ich mir keinen Urlaubstag“ geweigert hat, mitzumachen, da er sich für weitaus weniger „wichtige“ Dinge frei nahm. Erst später wurde mir klar, dass es auch für Jan die schwerste Zeit seines Lebens gewesen war und dass es für ihn sicher nicht leicht war, die ganze Geschichte noch einmal zu durchleben. Als mir das bewusst wurde, fühlte ich mich plötzlich furchtbar egoistisch und unsensibel.
Aber Jan ist halt nicht umsonst der beste Ehemann der Welt. Er tut sogar Dinge für mich, die ihm absolut widerstreben und die auch nicht unbedingt nötig wären.
Insgesamt bestand der Dreh aus vier Drehtagen: zwei in Wedel, einer beim NDR und einer bei uns in Winsen. Das Team war sehr sympathisch und gut organisiert. Dadurch, dass jeder zu jeder Zeit wusste, was er zu tun hatte, war die Atmosphäre sehr entspannt. Als ich am ersten Tag in einer Seitenstraße parkte, stieg vor mir eine rothaarige Frau aus ihrem Auto und ich wusste auf den ersten Blick, dass sie meine Hausärztin spielen würde. Im späteren Arztgespräch half ich ihr, die passenden Sätze zu finden. Hätte man es nicht besser gewusst, hätte man ihr den Job als anthroposophische Allgemeinmedizinerin voll abgenommen.
Als das Bild „Isolation und Fotos“ anstand, betrat ich einen Raum, der von den netten Damen der Requisite ähnlich wie mein Krankenhauszimmer gestaltet war. Ich hatte ihnen vorher eine Tasche mit lauter Zeitschriften, Fotos und Bildern gegeben, die tatsächlich bei mir im UKE hingen/lagen. Zudem hatten sie eine Lichterkette aufgehängt und entsprechende Geräte neben das Bett gestellt. Im Nachthemd durfte ich unter der kuscheligen Decke Platz nehmen und auf meinem iPad herumtippen. Hier fühlte ich mich viel wohler als ein Jahr zuvor im Krankenhaus, was einerseits natürlich daran lag, dass ich keine Behandlung über mich ergehen lassen musste, andererseits aber auch daran, dass das Zimmer etwa doppelt so groß war wie das im UKE und nicht nach Sterillium roch.
Am folgenden Tag hatte ich Begleitung auf der Fahrt nach Wedel. Luise durfte mitkommen, um zunächst eine Krankenschwester und später meine Freundin zu spielen (die Freundin musste sie natürlich nicht „spielen“). An diesem Tag wurde unter anderem die erste Knochenmarkpunktion nachgestellt. Währenddessen kam auch Jan an, der den halben Tag gearbeitet hatte. Nachdem die Szene fertig war, sagte er zu mir: „Uh, ich glaube, damit wirst du nicht zufrieden sein. Man sieht dich von unten, während du im Liegen deinen Kopf ganz komisch nach hinten drehst und voll das Doppelkinn hast.“ Wow. Naja, es ist halt wie es ist. Meine eh schon vorhandene Problemzone hat durch die Behandlung zusätzlich gelitten. Meine Haut am Hals ist irgendwie dünner/weicher geworden. Vielleicht werde ich aber auch einfach nur alt. Im Mittelalter wäre ich wahrscheinlich schon seit vier Jahren tot.
Mit Jan und Luise feierte ich im Anschluss eine WG-Party in einem Haus in der Nähe. Wieder hatte die Requisite ganze Arbeit geleistet und den Raum liebevoll zur Partylocation umgestaltet. Es gab Häppchen und Getränke, die jedoch nicht getrunken werden durften. Einige Teammitglieder waren ebenfalls als Partygäste unterwegs. Während alle feierten, musste ich auf dem Sofa einschlafen. Das ist mir früher öfters passiert. Deshalb hatte ich damals auch echt Angst davor, auf meiner eigenen Hochzeit irgendwann wegzunicken.
Nachdem die Partyszene abgedreht war, warteten wir vor dem Haus, während innen alles umgestaltet wurde.
Die Fenster waren immer noch verdunkelt, da draußen die Sonne schien und es in der Szene bereits Abend war. Jan deckte den Tisch und forderte mich auf, Platz zu nehmen, während ich jammernd mit Wärmflasche und Wollsocken auf dem Sofa lag, weil es mir schlecht ging.
In der nächsten Szene saßen Jan und ich bei Sonnenschein am Esstisch, wo ich ihm aus einem Buch über Histaminintoleranz vorlas, während er mir Essen auftat.
Der nächste Drehtag fand erst einen Monat später statt. Zusammen mit meiner Mutter fuhren Jan und ich zum NDR, wo wir bereits die Interviews aufgenommen hatten. Im Foyer, welches als Krankenhausflur vom AK St. Georg herhalten musste, wurde gefilmt, wie ich mit meiner Mutter zur Rezeption ging und anschließend mit dem Arzt über die Ergebnisse sprach. Anschließend zogen wir in das Tagesschau-Gebäude um, da dort ein gläserner Fahrstuhl vorhanden ist, der sich für eine Abschiedsszene gut anbietet. In Wirklichkeit ist der Fahrstuhl des UKE nicht gläsern. Ich musste mich in der Halle von meiner Mutter und im Fahrstuhl von Jan verabschieden. Diesmal warteten beide draußen vor der Glasfront des großen Gebäudes und winkten mir zu, während ich nach oben fuhr.
Nachdem wir uns umgezogen hatten, folgte das große Wiedersehen. Diesmal fuhr ich mit dem Fahrstuhl nach unten, drängte mich zwischen den sich öffnenden Türen heraus, um gleich darauf Jan in die Arme zu fallen. Dieser Augenblick des Wiedersehens damals war tatsächlich ein besonderer Moment in meinem Leben. Daher sollte er auch möglichst emotional nachgespielt werden. Kein Ding! Ich fiel Jan um den Hals und weinte vor Glück. Endlich konnte ich mal meine Fähigkeit, auf Knopfdruck zu heulen, gebrauchen. Wir wiederholten diese Szene (wie jede andere auch) mehrfach. Am Ende meinte Jan: „Ich glaub dir nie wieder, wenn du weinst!“ Nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten, sollte mir Jan meinen Ehering aufstecken. Ich war bereits wieder nach oben gefahren, als die Beleuchter noch eine Stellprobe machen wollten. Da ich nicht zugegen war, sprang kurzerhand der Kameramann ein und bekam von Jan meinen Ehering aufgesteckt. Dieser romantische Moment wurde zum Glück fotografiert. #hesaidyes
Am Ende des Tages gab es leckeren Spargel mit Schinken und Kartoffeln in der Kantine.
Am letzten Drehtag konnte ich zuhause bleiben, denn das Team kam zu mir. Wir drehten zuerst eine Szene im DRK-Kreisverband. Sie stellten mir netterweise den Seminarraum zur Verfügung. Dargestellt wurde ein Elterngespräch in der Schule. Während der Verabschiedung wurde mir plötzlich schwarz vor Augen und ich sank zusammen. Das ist mir mal im Büro der Konrektorin passiert. Ich hatte sowieso häufiger das Gefühl, dass mir die Beine wegsacken und ich kurz vorm Umkippen bin. Es wurde dann meistens (auch von mir selbst) auf das Wetter geschoben oder darauf, dass ich zu wenig gegessen/getrunken hatte.
Anschließend wechselten wir ins Schulgebäude der Alten Stadtschule, in deren Obergeschoss wir wohnen. Die Stufen bis zu unserer Haustür waren immer ein ganz guter Gradmesser für meine Fitness. Zwischenzeitlich schaffte ich die Treppen oft nicht in einem Zug, sondern musste zwischendurch Pause machen und mich hinsetzen. Deshalb sollte auch hier gefilmt werden. Da die Reinigungskräfte der Schule sowohl die Treppe als auch das Treppengeländer so gut wie nie putzen, war beides ziemlich verdreckt und eklig. Ich glaube, in den letzten zwei Jahren waren meine Mutter und ich die einzigen, die die Treppen und das Geländer ernsthaft (mit Wasser!) gewischt und gereinigt haben, obwohl jeden Tag mehrere Klassen mehrfach hinauf und hinunter gehen und laut Hygienekonzept (zumindest in der Coronazeit) die Handläufe täglich gereinigt werden müssten. Wenn wir in der Vergangenheit die Reinigungskräfte direkt auf die Treppen ansprachen, bekamen wir von allen zu hören, dass sie nicht dafür zuständig seien. Offenbar fühlte sich jeder nur für sein Stockwerk, aber niemand für die Treppe dazwischen verantwortlich. Naja, bevor das Filmteam kam, schwangen wir also wieder selbst den Putzlappen, um wenigstens den groben Dreck zu beseitigen.
Ich schleppte mich immer wieder am Geländer nach oben, während aus verschiedenen Blickwinkeln gefilmt wurde. Am Ende war ich tatsächlich kaum noch in der Lage, die Stufen hinaufzusteigen.
Dann kam Jan von der Arbeit und wir zogen unsere Laufkleidung an. Auf dem vorderen Schulhof joggten wir an den Büschen und Spielgeräten vorbei zu einer kleinen Holzplattform, auf die ich mich erschöpft fallen ließ. Jan zog mich wieder hoch und motivierte mich, noch ein kleines Stück weiter bis zur Haustür zu laufen. Als diese Szene abgedreht war, war für alle Schluss, denn es war nicht nur für Jan und mich, sondern für das ganze Abenteuer Diagnose-Team der letzte Drehtag der Staffel.
Am 30. August wird die Sendung ausgestrahlt. Ich bin gespannt und hab auch ein bisschen Angst!
Hallo.
Ich habe heute die Ausgabe der Abenteuer Diagnose gesehen und bin so auf die Seite gekommen. Du hast es sehr gut geschildert was so herum passiert und wie es einem dabei geht (das erfährt man nicht immer in solchen Beiträgen).
Ich würde gerne wissen ob du jetzt noch Begleiterscheinungen hast oder ob du komplett wieder gesund bist.
Auch Hochachtung für deinen Mann der dir immer beigestanden ist denn so etwas muss man ja erst verdauen und damit klarkommen und jeder geht mit dieser Situation anders um.
Ich wünsche dir alles Gute weiterhin und hoffe das du so etwas nicht noch einmal durchmachen musst.
Gruss Martin