+ 9 Haa­re ab

+ 9 Haa­re ab

Nele = Mucki

Heu­te Mor­gen hat mir eine et­was äl­te­re und ins­ge­samt et­was ver­plan­te­re Schwes­ter die Haa­re ab­ra­siert. Ich glau­be, sie macht das nicht so oft. 

Es be­gann da­mit, dass ich beim Auf­wa­chen ziem­lich vie­le Haa­re auf mei­nem Kopf­kis­sen vor­fand. Dass die­ser Tag kom­men wür­de war mir ja vor­her klar und es war auch völ­lig ok für mich, so­fort Ab­schied von mei­nen Haa­ren zu neh­men, denn ich fühl­te mich be­reits wie Mucki (der stark haa­ren­de Ka­ter mei­ner El­tern) und woll­te die­ses Pro­blem mög­lichst schnell aus dem Weg schaf­fen. (Wenn ich so drü­ber nach­den­ke, füh­ren Mucki und ich ein ziem­lich ähn­li­ches Le­ben. Er liegt auch die meis­te Zeit ir­gend­wo rum, ku­schelt ger­ne, ist mit sich selbst im Rei­nen, kann kämp­fen, wenn es sein muss und hat Men­schen um sich, die ihn lie­ben und al­les für ihn tun wür­den. Manch­mal ist er auch ein­fach mau­lig, an­stren­gend und weiß nicht, was er will.) 

Wäh­rend die Schwes­ter mei­ne Me­di­ka­men­te ein­stell­te, sag­te ich ihr, dass ich vor dem Du­schen ger­ne mei­ne Haa­re ab­ra­sie­ren wür­de. Sie frag­te, ob ich Hil­fe bräuch­te, was ich be­jah­te, da es mir hier nicht mög­lich ist, mei­nen Kopf von hin­ten zu se­hen. Hät­te ich bloß nein gesagt! 

Was soll schon schiefgehen?

Was kann man beim Ra­sie­ren ei­nes Kop­fes schon falsch ma­chen, fragt ihr euch? Eine gan­ze Men­ge! Zu­nächst ein­mal hielt sie den Haar­schnei­der falsch her­um, so­dass nicht über­all eine gleich­mä­ßi­ge 2 mm-Län­ge ent­stand, son­dern mei­ne Haa­re teil­wei­se bis auf die Kopf­haut ab­ge­sä­belt wur­den und an an­de­ren Stel­len „Haar­fel­der“ von bis zu ei­nem Zen­ti­me­ter ste­hen­blie­ben. Sie ging in keins­ter Wei­se sys­te­ma­tisch (von rechts nach links, oben nach un­ten, un­ten nach oben, vor­ne, hin­ten, ir­gend­was) vor, son­dern ra­sier­te ir­gend­wie drauf los. Als sie (ih­rer Mei­nung nach) fer­tig war und mei­ne Haa­re ver­teilt auf dem Ba­de­zim­mer­bo­den la­gen, ging ich du­schen und nahm an­schlie­ßend ein paar Kor­rek­tu­ren an mei­ner Stirn mit dem Nass­ra­sie­rer vor. Auf­grund der er­höh­ten Ver­let­zungs- und In­fek­ti­ons­ge­fahr soll­te ich ei­gent­lich gar kei­nen Nass­ra­sie­rer mehr be­nut­zen und we­gen der Im­mun­sup­pres­si­va habe ich zur­zeit auch ei­nen leich­ten Tre­mor (Mus­kel­zit­tern) in den Hän­den, aber so konn­te ich das nicht ste­hen­las­sen. Ver­dammt, ich hat­te echt Angst, mir die Schlä­fen aufzuschlitzen.

Knast­fri­sur

Als ich end­lich im Ba­de­zim­mer durch war, be­zog ich schnell mein Bett neu und ließ mich hin­ein­fal­len. Je­des Mal, wenn ich aus die­sem schwü­len, hei­ßen Zim­mer kom­me, habe ich das Be­dürf­nis, mich an ein ge­öff­ne­tes Fens­ter zu stel­len. Tja, Pech ge­habt, viel­leicht in zwei Wo­chen wie­der. Ich saß also auf dem Bett und woll­te Jan ein Foto mei­ner neu­en Fri­sur schi­cken. Be­reits beim An­blick des ers­ten Bil­des mei­nes Hin­ter­kop­fes hat­te ich zwei Er­kennt­nis­se: 1. Ich habe ei­nen ziem­lich gro­ßen Le­ber­fleck auf der rech­ten Sei­te, der mir bis­her ver­bor­gen ge­blie­ben war. 2. Die Schwes­ter hat­te ihre Ar­beit noch viel schlech­ter ver­rich­tet als ge­ahnt. Auf kei­nen Fall möch­te ich hier sa­gen, dass ich mich wie Jana aus Kas­sel ge­fühlt habe oder ir­gend­wel­che un­pas­sen­den Ver­glei­che zu Na­zis und Ju­den auf­stel­len. REIN OP­TISCH sah mein Kopf aber so aus wie der ei­nes Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger­in­sas­sens. Als hät­te man ei­nem grob­mo­to­ri­schen Kind eine stump­fe Sche­re in die di­cken Fin­ger ge­drückt und ge­sagt: „Mach mal die Haa­re ab.“

Ret­tungs­ver­such

Ich war­te­te den Schicht­wech­sel ab und bat dann die neue Schwes­ter um Hil­fe. Sie er­kann­te das of­fen­sicht­li­che Pro­blem und hol­te schnell den Haar­schnei­der. Es hät­te also doch noch al­les gut aus­ge­hen kön­nen. Hät­te. Wenn der Haar­schnei­der nicht plötz­lich ka­putt ge­we­sen wäre und die Schwes­ter statt­des­sen ei­nen Ein­weg­ra­sie­rer ge­holt hät­te. Im­mer­hin war sie ja nicht Schuld an dem Pro­blem und gab sich größ­te Mühe, mei­nen Kopf zu ret­ten. Am Ende wa­ren die dunk­len Haar­in­seln wei­ßen Fle­cken ge­wi­chen. Da­mit konn­te ich le­ben, schließ­lich fal­len auch die Stop­peln bald aus und dann ist eh al­les „weiß“ bzw. glatt und haar­los. Dar­auf freue ich mich ein biss­chen, denn die­se pik­si­gen Haa­re stö­ren mich beim Schla­fen. Als wür­den sich die Stop­peln wie bei ei­nem Klett­ver­schluss in mei­nen Kopf­kis­sen­be­zug haken.

Voll schön

Da­durch, dass ich die letz­ten Wo­chen Cor­ti­son be­kom­men habe, ist mein Ge­sicht ein biss­chen an­ge­schwol­len oder fühlt sich zu­min­dest so an. Da mir au­ßer­dem noch seeee­ehr vie­le an­de­re Me­di­ka­men­te ein­ge­flößt wur­den, ist mei­ne Le­ber mo­men­tan et­was über­for­dert und mei­ne Wer­te sind nicht die bes­ten. Ganz leicht kann man das auch an mei­nen Au­gen se­hen, de­ren Weiß mei­ner Mei­nung nach ein biss­chen gelb­lich ist. Im­mer­hin hat das ers­te Che­mo-Me­di­ka­ment (Thio­te­pa) da­für ge­sorgt, dass sich mei­ne Haut ins­ge­samt et­was bräun­lich ver­färbt, wo­durch ich aus­se­he wie nach ein paar Ta­gen Tu­ne­si­en. Ich hab so­gar rich­tig vie­le Som­mer­spros­sen be­kom­men! Was die Mu­ko­si­tis op­tisch in mei­nem Mund an­rich­tet, will ich euch gar nicht er­zäh­len. Aber es ist echt ek­lig. Ich bin in­zwi­schen so weit, dass ich mei­nen Spei­chel in eine Kotz­tü­te spu­cke, weil das Schlu­cken zu schmerz­haft ist. Auch das Spre­chen fällt mir sehr schwer und ich höre mich gar nicht nach mir an. Mei­ne Stim­me hat mo­men­tan eher Ähn­lich­keit mit der von Ve­ro­ni­ca Ferres. 

Ihr seht also, op­tisch bin ich ge­ra­de ganz vor­ne mit da­bei. Gut, dass ich mit dem The­ma Da­ting durch bin und in­zwi­schen ge­nug Selbst­be­wusst­sein habe, um mein Äu­ße­res so hin­zu­neh­men wie es ist. In ei­nem Mo­nat wer­de ich eh wie­der ganz an­ders aus­se­hen. Au­ßer­dem darf man dank Co­ro­na so­wie­so nie­man­den im rea­len Le­ben ohne Mas­ke sehen. 

Ca­lip­po und Spiegelreflex

Mein Ver­such, ei­nen Schluck Sal­bei­tee zu trin­ken, ging ge­ra­de gründ­lich schief. Ich hab mich so ver­schluckt, dass ich ei­nen üb­len Hus­ten­an­fall be­kam, der ECHT weh­tat. Das mit dem Es­sen und Trin­ken lass ich erst­mal sein. Wozu gibt es schließ­lich künst­li­che Ernährung?! 

Hab es noch nicht mal ge­schafft, mein Ca­lip­po-Eis zu es­sen. Es ist dann trau­rig vor sich hin ge­schmol­zen und wur­de schließ­lich von mir ins Wasch­be­cken ge­gos­sen. So soll­te kein Ca­lip­po-Le­ben aus­se­hen! Am Ki­osk mit dem letz­ten Klein­geld er­wor­ben, freu­dig er­war­tet, von der Son­ne ge­küsst soll­te es von ei­nem strah­len­den Kind ge­nüss­lich ge­schleckt, ge­lutscht, ver­zehrt wer­den. Das Gan­ze am bes­ten im Frei­bad, beim Som­mer­fest oder wäh­rend ei­ner Tretbootfahrt.

So ähn­lich wie mein Ca­lip­po müs­sen sich auch die gan­zen schö­nen Spie­gel­re­flex- und Sys­tem­bild­ka­me­ras vor­kom­men, die soooo viel kön­nen. Sie wur­den her­ge­stellt, um Leis­tung zu zei­gen, um ihre fach­kun­di­gen Be­nut­zer an­ge­sichts ih­rer Ein­stel­lungs­mög­lich­kei­ten in Ver­zü­ckung zu ver­set­zen. ABER DANN wird so eine arme Ka­me­ra von je­man­dem ge­kauft, der denkt, die Ka­me­ra wür­de die Fo­tos ohne Un­ter­stüt­zung des Fo­to­gra­fen ma­chen. „Ich fo­to­gra­fie­re im­mer in der Au­to­ma­tik“, hört man sol­che Be­sit­zer oft sa­gen. Ver­dammt, dann reicht auch die Ka­me­ra dei­nes iPho­nes! Die macht im Auto-Mo­dus in­zwi­schen bes­se­re Bil­der als die Kameraautomatik.

High­light

Sor­ry, ich schwei­fe ab. Zu­rück zu mei­nem Tag: Am Ende gab es noch ein schö­nes High­light für mich. Mei­ne Tan­te und mein On­kel sind vor­bei­ge­kom­men und ha­ben mir eine Auf­mun­te­rung vor­bei­ge­bracht. Ich konn­te ih­nen vom Fens­ter aus win­ken. Alke hat es so­gar fast bis zu mei­nem Zim­mer ge­schafft! Erst an der Schleu­se zur Iso­lier­sta­ti­on hat man sie „zu­rück­ge­hal­ten“. Ich stel­le mir ger­ne vor, dass sie mit ei­nem Pfle­ger kämp­fen muss­te, der es schließ­lich schaff­te, sie un­ter star­kem Pro­test und Ge­gen­wehr zu­rück in den Fahr­stuhl zu schie­ben. Sie hat be­stimmt al­les ver­sucht, um bis zu mir vor­zu­drin­gen, aber ich lebe hier nun mal in ei­ner Festung.

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