+14

+14

Bo­cki­ges Kind

Wenn ich nachts nicht gut schla­fe, ist der nächs­te Tag im Ei­mer. Wer schon mal eine Nacht wach­ge­le­gen hat, weiß si­cher wo­von ich spre­che. Ich hat­te den gan­zen Mor­gen schlech­te Lau­ne und fühl­te mich wie ein bo­cki­ges Kind. Ich woll­te nicht mehr in die­sem Zim­mer sein, ich woll­te die­ses ek­li­ge Es­sen nicht es­sen, ich woll­te kei­nen Ta­ge­buch­ein­trag schrei­ben, ich woll­te mich auch nicht sinn­voll be­schäf­ti­gen. Ich woll­te ein­fach nur nach Hau­se zu den Men­schen, die ich lie­be und die mir un­heim­lich feh­len. Ich woll­te ku­scheln und end­lich nicht mehr al­lei­ne einschlafen. 

Rou­ti­ne

Nach drei Wo­chen ist al­les Rou­ti­ne. Je­der Tag ver­läuft mehr oder we­ni­ger par­al­lel zu dem vo­ri­gen und dem fol­gen­den. Mor­gens wirst du vom Blut­ab­neh­men ge­weckt. Dann wird dir ein Fie­ber­ther­mo­me­ter ins Ohr ge­steckt, Blut­druck, Puls und Sau­er­stoff­sät­ti­gung ge­mes­sen und am Ende musst du so­gar dein Bett ver­las­sen, um dich auf die Waa­ge zu stel­len. An­schlie­ßend wird ge­duscht, das ZVK-Pflas­ter ge­wech­selt, das Bett neu be­zo­gen und ge­früh­stückt. Nach je­dem Es­sen folgt das Mund­spül­pro­gramm. Wenn du da­mit durch bist und ge­ra­de wie­der auf dem Bett sitzt, kommt der Rei­ni­gungs­dienst und wischt um dich her­um. Da­nach kommt die Vi­si­te, be­stehend aus 2–6 Ärz­ten. Dann kommt schon wie­der der Typ, der fragt, was du zum Mit­tag es­sen möch­test, kurz dar­auf bringt er das Es­sen. Der glei­che Typ kommt auch noch mal zum Ab­räu­men, zum Fra­gen was du zum Abend­brot möch­test, zum Abend­brot ser­vie­ren und zum Ab­räu­men. Nach­mit­tags kommt die Putz­ko­lon­ne manch­mal ein zwei­tes Mal. Abends folgt die glei­che Vi­tal­funk­tio­nen- und Ge­wichts­kon­trol­le wie mor­gens. Diens­tags und don­ners­tags wird zu­sätz­lich ein Co­ro­na­test durch­ge­führt. Zwi­schen­durch kommt au­ßer­dem im­mer mal wie­der ein Pfle­ger oder eine Schwes­ter ins Zim­mer, um ir­gend­wel­che Me­di­ka­men­te neu einzustellen.

Flur­gang

Heu­te (+14) gab es ei­nen klei­nen Aus­bruch aus die­ser Rou­ti­ne: Ich durf­te auf den Flur! Ge­mein­sam mit der Phy­sio­the­ra­peu­tin ver­ließ ich mein Zim­mer und ging den Gang ent­lang. Das Ge­hen funk­tio­nier­te recht gut, al­ler­dings muss­te ich mich am Ende kurz auf ei­nen Stuhl fal­len las­sen, da mein Kreis­lauf von so viel An­stren­gung über­rascht war. Wir gin­gen noch ein paar Mal hin und her. Auf die­ser Iso­lier­sta­ti­on lie­gen mo­men­tan 14 Pa­ti­en­ten im Al­ter zwi­schen 18 und 80 Jah­ren. Lei­der wa­ren alle Zim­mer­tü­ren ge­schlos­sen, so­dass ich nie­man­den se­hen konn­te. Ir­gend­wie ist es ein ko­mi­sches Ge­fühl, zu wis­sen, dass hier, di­rekt ne­ben mir, noch 13 an­de­re Men­schen in ähn­li­cher Si­tua­ti­on wie ich lie­gen, wir uns aber nicht se­hen oder mit­ein­an­der spre­chen kön­nen. Da ich ein biss­chen er­höh­te Tem­pe­ra­tur hat­te, gin­gen wir nicht an mei­ne Gren­zen, son­dern hör­ten nach ei­ni­gen Run­den auf, mit dem Vor­ha­ben, am Frei­tag die Iso­lier­sta­ti­on zu ver­las­sen, um die Trep­pen hoch und run­ter zu gehen. 

Es­sen, Trin­ken, Tabletten

Wie­der im Zim­mer, wur­de ich an mei­ne Lei­ne an­ge­schlos­sen und leg­te mich ins Bett. Die Ober­ärz­tin kam zu mir ins Zim­mer und sprach mit mir über das wei­te­re Vor­ge­hen. In den nächs­ten Ta­gen wür­den wir im­mer mehr Me­di­ka­men­te aus dem Turm ab­set­zen, bzw. auf Ta­blet­ten um­stel­len. Au­ßer­dem muss ich es schaf­fen, am Tag min­des­tens zwei Li­ter zu trin­ken und ge­nü­gend Ka­lo­rien zu mir zu neh­men. Die Ärz­tin geht da­von aus, dass ich am Diens­tag (even­tu­ell Mitt­woch) nach Hau­se ge­hen darf. Mon­tag ist eher un­rea­lis­tisch, weil am Nach­mit­tag vor der Ent­las­sung ein Ab­schluss­ge­spräch mit Er­näh­rungs­be­ra­tung etc. statt­fin­det und das am Sonn­tag et­was schwie­rig wer­den würde. 

Stim­mungs­schwan­kun­gen

Den gan­zen Tag kam nicht ein­mal die Son­ne raus. Der Schnee war in­zwi­schen kom­plett ver­schwun­den, so­dass der Blick aus dem Fens­ter eher trü­be und grau war. Mei­ne Grund­stim­mung war des­halb mal wie­der eher de­pres­siv, ob­wohl ich ei­gent­lich al­len Grund zur Freu­de hat­te. Noch we­ni­ger als eine Wo­che im Kran­ken­haus! Dass mei­ne neu­en Zel­len so schnell an­ge­fan­gen ha­ben zu ar­bei­ten, ist echt sel­ten und su­per gut. Den­noch war ich trau­rig. Ge­ra­de als ich rich­tig down war, be­kam ich Post. Der Um­schlag ent­hielt eine schö­ne Kar­te, meh­re­re selbst­ge­mach­te Kar­ten mit auf­bau­en­den Sprü­chen und ein paar Kno­bel­spie­le. Ich wur­de ein biss­chen von mir selbst über­rascht, denn plötz­lich gin­gen mir die Kar­ten­sprü­che to­tal nahe. Die Post kam also ge­nau im rich­ti­gen Moment. 

Den Rest des Ta­ges ver­brach­te ich mit Te­le­fo­nie­ren, Dö­sen, Mu­sik hö­ren und Se­ri­en gu­cken. Abends ließ ich mir eine Schlaf­ta­blet­te ge­ben, in der Hoff­nung, we­nigs­tens die­se Nacht durch­schla­fen zu kön­nen. Fehl­an­zei­ge. Nach ein paar Stun­den Schlaf lag ich wach und war­te­te auf den Morgen. 

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Tagebuch
  • Beitrags-Kommentare:0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar