Letzte Nacht habe ich richtig gut geschlafen und wurde heute Morgen von der Sonne geweckt, die mir ins Gesicht schien. Eine nette Schwester kam für die allmorgendliche Blutentnahme in mein Zimmer. Gleichzeitig überprüfte sie meine Werte und stöpselte mich von der Leine ab, die alle zwei Tage gewechselt wird. Sie sagte, ich könne ganz entspannt aufstehen und duschen gehen. Danach sollte ich sie für ein neues ZVK-Pflaster anklingeln. Ich gab mir noch eine halbe Stunde in meinem Sonnenbett und ging dann ins Bad.
Mundgefühl
Mir fiel auf, dass ich besser schlucken konnte als am Vortag, mein Zahnfleisch sah jedoch immer noch sehr seltsam verfärbt aus. Die Mukositis erlaubt es mir momentan leider nicht, die Zähne zu putzen, weil das Zahnfleisch sonst sofort anfangen würde zu bluten. Da ich die letzten Tage nur über den ZVK „gegessen“ habe, konnten sich immerhin keine Essensreste festsetzen, aber ich freue mich schon richtig doll auf die nächste Verwendung meiner elektrischen Zahnbürste. Die regelmäßigen Mundspülungen verhindern die Ausbreitung von Bakterien und Pilzen in meinem Mundraum und ersetzen in dieser Akutphase das Putzen mit einer Zahnbürste. Insgesamt fühlt sich mein gesamter Mund betäubt und pappig an, tut aber zum Glück kaum weh.
Morgenroutine
Duschen ohne Haare geht SO schnell! Inklusive Abtrocknen, Eincremen und Mundspülung war ich innerhalb weniger Minuten wieder draußen. Ich schlüpfte in frische Sachen und bezog mein Bett. Dabei wurde mir furchtbar heiß, weil die Sonne immer noch in mein Zimmer knallte und ich ja keine Möglichkeit zum Lüften habe. Also zog ich mich wieder aus und wechselte zu Boxershorts und T‑Shirt. Völlig erschöpft von so viel körperlicher Aktivität ließ ich mich auf dem frischen Bett nieder und fuhr das Kopfteil hoch, schaltete meine Gute-Laune-Playlist ein, drücke den Schwestern-Knopf und schloss die Augenlider, während mir die Sonne weiter ins Gesicht schien. Herrlich!
Als ich die Augen wieder öffnete, stand eine strahlende Schwester vor meinem Bett und hielt mir einen Zettel vors Gesicht. (siehe Titelbild)
„Die Blutwerte sind schon gekommen!“
7,6
Wow! Meine Leukozyten sind innerhalb von nur drei Tagen von quasi nicht vorhanden (<0,2) auf 7,6 (Mrd/l) gestiegen. Diese neuen Leukozyten wurden alle aus den neuen Spender-Stammzellen gebildet und sind somit gesund. Nachdem der Wert gestern bereits auf 0,7 angestiegen war, hatte die Ärztin heute mit einem Wert um die 2,0 gerechnet, aber dass die Zellen gleich so gut reagieren, hat auch sie freudig überrascht. Ich bin unendlich erleichtert, denn die neuen Leukos haben sofort ihre Arbeit aufgenommen und damit begonnen, meine Mundschleimhaut wiederherzustellen. Ab Morgen werde ich wieder anfangen, zu essen, auch wenn es um meinen Appetit noch nicht so gut steht.
ZVK & Medikamente
Von dieser positiven Nachricht überrollt, musste ich mich erstmal wieder hinlegen. Die Schwester wechselte das Pflaster auf meinem ZVK. Da die Haut um die Einstichstelle zuletzt gerötet war und eine erneute Entzündung vermutet wurde, bekam ich seit zwei Tagen zwischen den Pflasterwechseln einen 10-minütigen antiseptischen Umschlag. Während der Zeit „muss“ ich einfach ruhig auf meinem Bett liegen, ohne mich zu bewegen. Das kann ich! Erfreulicherweise sei die Rötung schon zurückgegangen, bemerkte die Schwester. Was für ein schöner Tag! Während ich so da lag überlegte ich erst noch, ob ich mich nicht lieber mit irgendetwas am Tisch beschäftigen sollte, wurde dann aber regelrecht von der Müdigkeit übermannt und schlief ein. Drei Stunden später erwachte ich aus meinem Tiefschlaf. Die Stationsärztin kam zu mir und gratulierte mir zu den ersten gesunden Zellen. Sie erklärte auch, dass die Werte der Leukozyten in den nächsten Tagen auch immer mal wieder sinken würden, dass das aber völlig normal und in Ordnung wäre. Wir beschlossen, einige meiner Schmerzmedikamente abzusetzen bzw. schrittweise zu reduzieren, um zum einen meine Leber etwas zu entlasten und zum anderen, um meine Schläfrigkeit zu mindern. Sie kündigte an, später noch einmal für eine weitere Untersuchung wiederzukommen. Außerdem soll morgen ein Differentialblutbild erstellt werden, welches Auskunft über die Untergruppen der Leukozyten geben soll.
Essen
Zum Mittag aß ich eine zerdrückte Banane – die erste Nahrung seit mehreren Tagen, die ich über den Mund zu mir nahm!
Visite
Anschließend kam die Oberärztin zur Visite. Auch sie war ganz begeistert von meinem Turbo-Start und hofft, dass es bei mir so positiv weitergeht. Natürlich können ab jetzt auch Spender-gegen-Empfänger-Reaktionen auftreten, aber wie bereits öfters erwähnt: alles kann, nichts muss. Es wird jedenfalls nicht extra abgewartet, ob etwas passiert, sondern sobald die neuen Zellen ihre Produktion gestartet haben, das Immunsystem aufs Nötigste wiederhergestellt wurde, der Patient wieder selbstständig essen, trinken und Tabletten schlucken kann (sehr, sehr viele Tabletten), ist die Zeit der Isolation vorbei. Dann darf man endlich das Krankenhaus verlassen und sich wieder wie ein freier Mensch (in häuslicher Isolation) fühlen! „Wenn sich bei Ihnen alles so gut weiterentwickeln sollte, kann es sein, dass sie schon in einer Woche hier raus sind.“ Wooohooooo! Das wäre ein Traum!
Kniffel & UNO
Nach dem Schichtwechsel war Laura wieder da und forderte mich zu einer zweiten Runde Kniffel heraus. Ich gewann mit nur 4 Punkten Vorsprung. Anschließend spielten wir noch ein paar Runden UNO und quatschten dabei, bevor sie sich wieder anderen Aufgaben widmen musste. Es ist schon krass, wie schnell man auf andere Gedanken kommt und wie die Zeit vergeht, wenn man sich mit jemandem unterhalten kann. Falls das hier irgendwer liest, der noch überlegt, eine Stammzelltransplantation über sich ergehen zu lassen: Sofern es dir irgendwie möglich ist (als Low-Risk-Patient), mach es NACH Corona, wenn man wieder besucht werden darf. Die Behandlung an sich ist schon scheiße und anstrengend genug, da sollten einem Freunde und Familie nicht nur per Video oder Telefon, sondern auch physisch beistehen können. In den meisten Fällen bestimmt die Krankheit, wann die SZT stattzufinden hat, aber es gibt ja auch durchaus Fälle, in denen sich Patienten erst nach vielen Jahren für diesen großen Schritt entscheiden und denen kann ich nur raten: wartet ab. Ich habe vorher tatsächlich unterschätzt, was es heißt, hier ganz allein mit sich zu sein.
Kleidertausch
Gerade als Laura gegangen war, rief Jan mich per Videotelefonat an, um mit mir meine Wechseltasche zu packen. Er kommt morgen nach der Arbeit her, holt meine Schmutzwäsche ab und bringt frische Kleidung. Die Übergabe erfolgt wieder über eine Pflegekraft. Immerhin kann ich ihm dann vom Fenster aus winken. Yay.
Weshalb Kotzen im Krankenhaus besser ist als auf ner Party
Noch während Jan diverse T‑Shirts und Socken in die Kamera hielt, merkte ich, wie mir irgendwie mulmig zumute wurde. Ich drückte den Schwesternknopf, zeitgleich kam auch schon Laura mit neuen Infusionen herein. Noch während ich ihr sagte, dass mir gerade total schlecht würde, griff ich mir eine Kotztüte und begann mich zu übergeben. Dank der Banane war das Grün diesmal nicht mehr so dunkel, sondern sah aus wie aus einem Comic: giftgrün. Jan ließ ich am Telefon zurück und wechselte mit Laura auf den Badezimmerfußboden. Wie wir da so nebeneinander vor dem Klo saßen, ich in meine Tüte reiherte und Laura meinen Rücken streichelte, kam ein bisschen Party-Feeling von früher in uns hoch. Allerdings hatte die jetzige Situation Vorteile gegenüber den damaligen:
- Die Welt drehte sich nicht unnötig. Mir war einfach nur schlecht. Ohne Drehen.
- Niemand musste mir die Haare halten!
- Ich verpasste nichts von der Party.
- Ich hatte keinen Alkohol getrunken und fast nichts gegessen, sodass es nicht mal besonders unangenehm roch.
- Laura hatte sofort Medikamente parat, die sie mir über den ZVK direkt in die Vene spritzen konnte.
Freunde sehen
Als es mir besser ging, rief ich Jan erneut an, der mit mir zu Anna und Kimbo fuhr. „Wir“ aßen Obstsalat und die drei suchten sich einen Film aus. Da das WLAN in Ashausen aber echt miserabel zu sein scheint und ich Jans Datenvolumen nicht weiter strapazieren wollte, verabschiedeten wir uns voneinander und ich begann, meine Tagebucheinträge der letzten Tage nachzuholen. Naja und hier sitze ich jetzt immer noch auf meinem Bett mit meiner Gute-Laune-Musik auf den Ohren und einem flauen Gefühl im Magen. Die Schwester hat mir eben ein neues Medikament gegen Übelkeit angehängt, von dem ich mir erhoffe, dass es schnell wirkt, denn ich bin wirklich müde und würde mich gerne einfach hinlegen, ohne gleich wieder spucken zu müssen.
Fragen???
Habt ihr eigentlich irgendwelche Fragen? Wenn ja, schreibt sie einfach in die Kommentare und ich werde sie diesmal auch garantiert alle beantworten.
Gute Nacht!
Das sind so tolle Nachrichten!!!Ich drücke die Daumen das du bald nach Hause kannst:)
Liebe Nele,
Ich hab erst mal keine Fragen. Denke an dich und drücke die Daumen, tapfere Frau! Liebe Grüße Bo